Hans Johan Sagrusten

Pergamente und Papyri


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die Hände werden taub, und ständig fällt der Stift aus der Hand. In einem anderen Manuskript ist ganz unten auf dem letzten Bogen dieser poetische Vergleich zu lesen: »Wie sich ein Reisender darüber freut, die Heimat zu sehen, so ist das Ende des Buches für jenen, der sich damit abgemüht hat.« Andere Manuskripte enden mit einer Lobpreisung Gottes: »Das Ende des Buches – Gott sei gelobt!«1

      Wir bezeichnen die alten Bücher also als Manuskripte. Wofür steht dieses Wort? Es hört sich wie eine Art erster Entwurf eines literarischen Werkes an, eine Kladde, die nach Fertigstellung des Buches beiseitegelegt wird. Man denkt leicht an etwas Unfertiges, etwas Vorläufiges.

      Das war in der Antike (im Zeitraum von ca. 700 v.Chr. bis 500 n.Chr.) anders. Zu dieser Zeit gab es keine Druckereien. Alle Bücher mussten zwangsläufig von Hand geschrieben werden. Und sie wurden keineswegs nach dem ersten Lesen beiseitegelegt; sie waren so selten und ihre Herstellung so teuer, dass sie bis zur vollständigen Abnutzung verwendet wurden. Aus diesem Grund sind alle bisher gefundenen Manuskripte in mehr oder weniger starkem Umfang beschädigt.

      Das Wort Manuskript stammt aus dem Lateinischen und bedeutet schlicht und einfach »von Hand Geschriebenes«. Manus steht für »Hand« und scriptum bezeichnet »etwas Geschriebenes«.

      So verhielt es sich die gesamte Zeit über, bis Johannes Gutenberg (1398–1468) Mitte des 15.Jahrhunderts die Kunst des Buchdrucks erfand. Bis dahin galt: Wollte man ein Buch haben, dann musste es von Hand geschrieben werden. Jedes einzelne Exemplar des Buches musste von Hand geschrieben werden, Wort für Wort, Seite für Seite. Daher wird alles schriftliche Material aus dieser Zeit Manuskript genannt.

      Auch die Texte des Neuen Testaments wurden von Beginn an durch Abschrift von Hand verbreitet. Innerhalb kürzester Zeit zirkulierten die Bücher im gesamten Mittelmeerraum. Um das Jahr 300 finden wir den Glauben an Jesus in Gebieten, die heute zu Israel und Palästina, dem Libanon und Syrien, der Türkei und Griechenland, Italien und Deutschland, Frankreich und Spanien, Algerien, Tunesien und Ägypten gehören. Sogar so weit nördlich wie im heutigen Belgien, den Niederlanden und England gab es christliche Glaubensgemeinschaften. Der Glaube an Jesus von Nazareth war dabei, eine Weltreligion zu werden.

      Aber wie sah ein Bibeltext in den ersten Jahrhunderten nach Christus aus? Welches Format hatte er? Woraus waren die Bücher gefertigt? Viele dieser Manuskripte sind bis heute erhalten geblieben, einige von ihnen sind in diesem Buch auch mit Foto wiedergegeben. Dabei sind einige Gemeinsamkeiten erkennbar:

      Zum einen wurden die ältesten Manuskripte auf Bögen aus Papyrus geschrieben. Papyrus wuchs in Ägypten und wurde von dort aus in den gesamten Mittelmeerraum exportiert. Zur Fertigung der Bögen wurden die Halme der Papyruspflanze, genannt biblos, in dünne Streifen geschnitten. Diese Streifen wurden in zwei Schichten quer übereinandergelegt; dieses Kreuzmuster ist bei allen Papyrusbögen leicht zu erkennen. Dann wurden die beiden Schichten aufeinandergepresst, wobei der Pflanzensaft wie Leim wirkte und die Schichten zusammenklebte. Anschließend wurden die Bögen getrocknet und später in der passenden Größe zugeschnitten. Mit dem Schreiben begann man stets auf der Seite mit den horizontalen Linien, weil diese am leichtesten zu beschreiben war.

      Bis etwa 300 n.Chr. war Papyrus das gebräuchlichste Schreibmaterial. Im 4.Jahrhundert übernahm nach und nach Pergament diese Rolle. Dieses wurde aus feiner Tierhaut hergestellt. Dabei war es üblich, sowohl Ziegen- als auch Schafshaut zu verwenden. Das feinste Pergament hingegen wurde aus Kalbshaut gewonnen. Die Stadt Pergamon, die in der Offenbarung des Johannes (2,12) erwähnt ist, war für die Veredelung der Pergamentherstellung bekannt, weswegen das feine Leder nach dieser Stadt benannt wurde. Heute trägt sie den Namen Bergama und gehört zur Türkei.

      Die Herstellung war arbeitsintensiv: Um sie geschmeidig zu machen, wurde die Tierhaut zuerst eingeweicht. Anschließend wurde sie in einen Rahmen gespannt, um die Haare auf der Außenseite und das Fett auf der Innenseite zu entfernen. Nachdem sie getrocknet war, wurde die Haut geglättet und in der gewünschten Größe zu Bögen zugeschnitten. Die fertigen Bögen wurden nach Qualität sortiert. Hatte die Haut Löcher oder anderweitige Beschädigungen, wurde sie für weniger wichtige Dokumente verwendet. Das feinste Pergament war äußerst kostbar und wurde nur für große literarische Werke genutzt. Zum Beispiel wurde das prachtvolle Manuskript Codex Sinaiticus auf dem dünnsten und teuersten Kalbslederpergament geschrieben, das es seinerzeit gab.

      Im Vergleich zu Pergament ist Papyrus weniger haltbar. Es grenzt an ein Wunder, dass bis heute 135 alte Papyrusmanuskripte mit Texten des Neuen Testaments gefunden wurden, alle in Ägypten. Nur dort war das Klima so trocken, um den Papyrus in verfallenen Ruinen oder vergraben im trockenen Wüstensand zu erhalten. Alle Papyrusmanuskripte, die in anderen Ländern rund um das Mittelmeer existiert haben müssen, sind verloren gegangen. Die wenigen Exemplare, die sich nach den Verfolgungen im 4.Jahrhundert noch dort fanden, hatten gegen das Klima und den Niederschlag keine Chance. Unter dem Sand Ägyptens lagen die Papyrusmanuskripte hingegen wie ein versiegeltes Geschichtsbuch, bereit, um von späteren Generationen geöffnet zu werden. Im 20.Jahrhundert ist das verborgene Geschichtsbuch unter den Sanddünen geöffnet worden. Es bot den Forschern einen schier unglaublichen Einblick in biblische Manuskripte aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Dieses neu geöffnete Geschichtsbuch möchte ich in Pergamente und Papyri präsentieren.

      Die Schriften, aus denen das Neue Testament entstanden ist, waren von Beginn an zum Vorlesen gedacht. In der Antike war es unüblich, still für sich allein zu lesen; gelesen wurde vorwiegend laut, damit andere es hören konnten. Mit anderen Worten: Ein Buch wurde erst dann lebendig, wenn es Stimme und Ton bekam. Das entsprach dem eigentlichen Sinn niedergeschriebener Bücher: Die schriftliche Fassung sollte dem Vorleser bei der Erinnerung an das mündlich Vorgetragene helfen.

      Bei einer Bevölkerung, von der lediglich zehn bis fünfzehn Prozent lesen und schreiben konnten, war es wichtig, hören zu können, was gelesen wurde. Dem Vorleser kam deshalb nicht nur in der Kirche, sondern in der ganzen Gesellschaft eine wichtige Funktion zu. Die einzige Möglichkeit der Menschen, Informationen zu erhalten, bestand darin, dass jemand auf dem Markt oder in der Kirche laut aus einem Manuskript vorlas.

      Aus diesem Grund findet sich das Wort »vorlesen« über dreißig Mal im Neuen Testament. Es wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass es lauten Vorlesens bedurfte, wenn Jesus Dinge sagte wie: »Habt ihr nicht gelesen, […] dass Gott am Anfang den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat.« Vorlesen war ein selbstverständlicher und notwendiger Teil der antiken Gesellschaft.

      »Bis ich komme, lies wie bisher aus den Heiligen Schriften vor …« (1.Tim 4,13)

      So schreibt der alte Apostel Paulus an seinen jungen Mitarbeiter Timotheus. Es ist kein Zufall, dass er das Vorlesen so betont. Aus den Schriften zu lesen war noch wichtiger als zu predigen und zu unterrichten. Nur so konnte die Gemeinde erfahren, was in den Schriften stand. Der Vorleser musste seine Aufgabe daher ernst nehmen. In der Johannesoffenbarung werden sowohl der Vorleser als auch die Zuhörer gepriesen, weil sie das Gelesene in Obhut nehmen:

      »Freuen darf sich, wer die prophetischen Worte in diesem Buch anderen vorliest, und freuen dürfen sich alle, die sie hören und beherzigen; denn die Zeit ist nahe, dass alles hier Angekündigte eintrifft.« (Off 1,3)

      Dieser Bibelvers schildert die konkrete Situation, in der der Text verwendet wurde: Einer las laut vor, während andere zuhörten. Es gibt eine ergreifende Schilderung eines Gottesdienstes, wie er von Christen Mitte des 2.Jahrhunderts abgehalten wurde. Darin berichtet der christliche Autor Justin der Märtyrer, dass viel Zeit auf das laute Vorlesen verwendet wurde:

      »An dem Tag, der der Tag der Sonne genannt wird, versammeln sich alle, ob sie in den Städten oder auf dem Land wohnen. Man liest aus den Erinnerungen der Apostel oder aus den Schriften der Propheten, solange es die Zeit erlaubt. Wenn der Lesende das Vortragen beendet hat, spricht der Vorsteher ein Wort der Ermahnung, worin er uns auffordert, die guten Dinge, die wir gehört haben, zu befolgen.«2

      Wie man sieht, verwendeten die Christen sowohl Schriften des Alten als auch des Neuen Testaments, wie die beiden Sammlungen später genannt wurden. Mit »Erinnerungen der Apostel« wurden in der Urkirche für gewöhnlich die vier Evangelien bezeichnet und mit »Schriften der Propheten« die Bücher,