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      Richard und ich glauben beide, dass beim Geist, beim Bewusstsein und beim Pfad des Erwachens etwas Transzendentales mitspielt – nennen Sie es Gott, den Heiligen Geist, die Buddhanatur, den Seinsgrund, oder benennen Sie es gar nicht. Was immer es ist, per Definition liegt es jenseits des physischen Universums. Da es sich weder auf die eine noch auf die andere Art beweisen lässt, ist es wichtig, es als eine Möglichkeit anzuerkennen. Dies steht im Einklang mit dem Geist der Wissenschaft.

      Abgesehen davon zeigen immer mehr Studien, wie stark der Geist vom Gehirn abhängig ist. Wenn sich beispielsweise in der Kindheit das Gehirn entwickelt, entwickelt sich auch der Geist; ist das Gehirn jemals beschädigt, gilt dasselbe auch für den Geist. Feine Veränderungen in der Chemie des Gehirns ändern die Stimmung, die Konzentration und die Erinnerung (Meyer und Quenzer 2004).Der Einsatz starker Magnete zur Unterdrückung des Emotionen verarbeitenden limbischen Systems verändert die Art, wie Menschen moralische Urteile fällen (Knoch et al. 2006).Selbst einige spirituelle Erfahrungen korrelieren mit neuronalen Aktivitäten (Vaitl et al. 2005).

      Jeder Aspekt des Geistes, der nicht transzendental ist, muss sich auf die physischen Prozesse des Gehirns verlassen. Geistige Aktivität, ob bewusste oder unbewusste, leitet sich von neuronaler Aktivität ab, ganz so, wie ein Bild eines Sonnenuntergangs auf Ihrem Computerbildschirm sich von einem Muster magnetischer Ladungen auf Ihrer Festplatte ableitet. Abgesehen von potentiellen transzendentalen Faktoren ist das Gehirn die notwendige und nahezu ausreichende Bedingung für den Geist; es ist nur nahezu ausreichend, weil das Gehirn in ein größeres Netzwerk aus biologischen und kulturellen Ursachen und Bedingungen eingeschachtelt ist und selber vom Geist beeinflusst wird.

      Natürlich weiß heute noch niemand genau, wie das Gehirn den Geist erzeugt oder – wie Dan Siegel es ausdrückt – der Geist das Gehirn benutzt, um den Geist zu bilden. Manchmal wird gesagt, die größten verbliebenen wissenschaftlichen Fragen seien die folgenden: Was verursachte den Urknall? Welches ist die große vereinheitlichte Theorie, die die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie integriert? Und: Welches ist die Beziehung zwischen Geist und Gehirn, insbesondere in Bezug auf die bewusste Erfahrung? Die letzte Frage steht hier gemeinsam mit den zwei anderen, da sie genauso schwer zu beantworten und genauso wichtig ist.

      Um eine Analogie zu verwenden: Nach Kopernikus akzeptierten die meisten gebildeten Menschen die Theorie, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Aber keiner wusste, wie das eigentlich geschieht. Etwa 150 Jahre später erarbeitete Isaac Newton das Gravitationsgesetz, das zu erklären begann, wie die Erde um die Sonne kreist. Dann, nach weiteren 200 Jahren, entwickelte Einstein Newtons Erklärung mit Hilfe der allgemeinen Relativitätstheorie weiter. Es könnte noch 350 Jahre oder länger dauern, bis wir die Beziehung zwischen dem Gehirn und dem Geist vollkommen verstehen. In der Zwischenzeit aber ist der Satz Der Geist ist das, was das Gehirn tut eine vertretbare Arbeitshypothese.

      Folglich bedeutet ein erwachender Geist auch ein erwachendes Gehirn. Die gesamte Geschichte hindurch haben sowohl unbesungene Männer und Frauen als auch große Lehrmeister bemerkenswerte Geisteszustände kultiviert, indem sie bemerkenswerte Gehirnzustände erzeugten. Wenn sich zum Beispiel erfahrene tibetische Praktizierende in tiefe Meditation versenken, produzieren sie äußerst starke und durchdringende Gamma-Gehirnwellen elektrischer Aktivität, die ungewöhnlich große Flächen neuronalen Territoriums synchron 30- bis 80-mal die Sekunde pulsieren lassen (Lutz et al. 2004) und dabei weite Bereiche des Geistes integrieren und vereinigen. Mit einer tiefen Verbeugung vor dem Transzendentalen bleiben wir also im Rahmen der westlichen Wissenschaft und sehen uns an, was die moderne Neuropsychologie – geprägt von der kontemplativen Praxis – im Hinblick auf wirksame Methoden zum Erleben größeren Glücks sowie größerer Liebe und Weisheit zu bieten hat.

      Selbstverständlich ersetzen diese Methoden keine traditionellen spirituellen Praktiken. Sie brauchen kein EEG und keinen Doktortitel in Neurowissenschaften, um Ihre Erfahrungen und die Welt zu beobachten und ein glücklicherer und gütigerer Mensch zu werden. Aber zu verstehen, wie man sein Gehirn beeinflussen kann, kann sehr hilfreich sein, insbesondere für Menschen, die nicht die Zeit für intensive Praxis haben, wie sie etwa im Kloster stattfindet, wo rund um die Uhr, sieben Tage die Woche am Leben geschliffen und poliert wird.

      Die Ursachen des Leidens

      Gehört zum Leben auch viel Freude und Vergnügen, so beinhaltet es doch ebenfalls beträchtliches Unbehagen und Leid – der bedauerliche Nebeneffekt dreier Strategien, die sich herausgebildet haben, um Tieren, wir Menschen eingeschlossen, bei der Weitergabe ihrer Gene zu helfen. Was das bloße Überleben angeht, funktionieren diese Strategien hervorragend, jedoch führen sie auch zum Leiden (wir werden dies in den nächsten zwei Kapiteln eingehend untersuchen). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass immer dann, wenn es bei einer Strategie zu Schwierigkeiten kommt, unangenehme – bisweilen sogar quälende – Alarmsignale durch das Nervensystem pulsieren, um das Tier wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Nur kommt es jedes Mal zu Schwierigkeiten, da eine jede Strategie inhärente Widersprüche enthält, versucht das Tier doch:

      • zu trennen, was eigentlich miteinander verbunden ist, um eine Grenze zwischen sich selbst und der Welt zu schaffen

      • zu stabilisieren, was in ständiger Veränderung begriffen ist, um seine inneren Systeme innerhalb enger Grenzen zu halten

      • an vergänglichen Freuden festzuhalten und unvermeidlichem Schmerz zu entfliehen, um sich Chancen zu nähern und Bedrohungen zu meiden

      Die Nervensysteme der meisten Tiere sind nicht komplex genug, als dass sie es den Alarmsignalen der Strategien erlauben würden, zu beträchtlichem Leid anzuwachsen. Unser wesentlich stärker entwickeltes Gehirn aber ist ein fruchtbarer Boden für eine Ernte des Leidens. Nur wir Menschen machen uns Sorgen um die Zukunft, bedauern die Vergangenheit und machen uns Vorwürfe wegen der Gegenwart. Wir sind frustriert, wenn wir nicht bekommen können, was wir möchten, und enttäuscht, wenn zu Ende geht, was uns lieb ist. Wir leiden darunter, dass wir leiden. Wir regen uns darüber auf, dass wir Schmerzen haben, ärgern uns darüber, dass wir sterben, und sind traurig darüber, dass wir einen weiteren Morgen traurig erwachen. Diese Art des Leidens – das den größten Teil unseres Unglücklichseins und unserer Unzufriedenheit umfasst – wird durch unser Gehirn konstruiert. Es ist erfunden. Was zugleich ironisch und schmerzlich ist, aber auch Hoffnung macht.

      Denn wenn das Gehirn die Ursache für das Leiden ist, kann es auch dessen Heilmittel sein.

      Tugend, Achtsamkeit und Weisheit

      Vor über zweitausend Jahren verbrachte ein junger Mann namens Siddhartha Gautama – noch nicht erleuchtet und noch nicht der Buddha genannt – viele Jahre damit, seinen Geist und folglich sein Gehirn zu trainieren. In der Nacht seines Erwachens sah er tief in seinen Geist hinein (der die ihm zugrunde liegenden Aktivitäten seines Gehirns widerspiegelte und zum Vorschein brachte) und sah dort sowohl die Ursachen des Leidens als auch den Weg zur Leidensfreiheit. Anschließend wanderte er vierzig Jahre lang durch Nordindien und lehrte allen, die ihm zuhörten, wie man

      • die Feuer der Habgier und des Hasses kühlt, um integer zu leben

      • den Geist festigt und konzentriert, um durch seine Verwirrungen hindurchzusehen

      • befreiende Erkenntnis entwickelt

      Kurz, er lehrte Tugend, Achtsamkeit (auch Konzentration genannt) und Weisheit. Dies sind die drei Säulen der buddhistischen Praxis sowie die Quellen täglichen Wohlbefindens, psychologischen Wachstums und Erkenntnis.

      Tugend bedeutet einfach, dass man seine Handlungen, Worte und Gedanken reguliert, um sich selber und anderen Nutzen statt Schaden zu verschaffen. In unserem Gehirn stützt sich Tugend auf die Top-Down-Kontrolle des präfrontalen Kortex (PFC); „präfrontal“ steht für die vordersten Regionen des Gehirns, eben hinter und über der Stirn, und Ihr „Kortex“ (nach dem lateinischen Wort „Cortex“ für „Rinde“) ist die äußere Schicht des Gehirns. Tugend ist auch auf Beruhigung durch das parasympathische Nervensystem nach dem Bottom-up-Verfahren und auf positive Emotionen aus dem limbischen System angewiesen. In Kapitel 5 werden Sie lernen, wie Sie mit dem Schaltkreis dieser Systeme arbeiten können. Weiterhin werden wir die Tugend im Rahmen von Beziehungen untersuchen,