Patrick Freudiger

Das Phönix-Prinzip


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Engagement und in ihrer Loyalität.

       Bedingungsloser Gehorsam? Die Zeiten sind vorbei!

      Sie sind für diese Leistung bereit, wenn sie seitens ihrer Vorgesetzten auch die erforderliche Anerkennung und Wertschätzung erfahren – und zwar nicht nur in Form von Phrasen wie »das schaffst du schon« oder »das haben Sie gut gemacht«. Sie erwarten von ihren Führungskräften vielmehr eine aktive Unterstützung, Weitergabe von Information und Einbindung in Entscheidungsprozesse. Das Prinzip des bedingungslosen Gehorsams stützt sich historisch gesehen auf die Funktion der Führung, die sich von oben nach unten richtet. Führungspersönlichkeiten waren Meister ihres Handwerks und sie gaben ihr Wissen an eifrige Schüler weiter. Ein Schüler ließ sich von seinem Meister unterweisen, eiferte ihm nach und gehorchte seinen Anweisungen. Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung ist das heute nicht mehr der Fall. Oftmals wissen die Mitarbeitenden mehr als die Führungskraft, was einen neuen Führungsstil erfordert. Für die neuen Generationen sind Führungskräfte gefragt, die mehr als Coach oder Facilitator unterstützend an der Seite ihrer Teams stehen.

      Fazit: Die Führungskraft im Schraubstock

      Kennen Sie die Karikatur einer Führungskraft unter Druck? Sie hat einen großen Schraubstock auf ihrem Kopf als Symbol dafür, dass sie von allen Seiten bedrängt wird: Von außen sendet die VUCA-Welt Schockwellen, von innen ist die Führung der Mitarbeitenden deutlich anspruchsvoller geworden. Die Digitalisierung wirkt dabei als Beschleuniger.

      Das Fazit fällt so simpel wie klar aus: Es war schon immer anspruchsvoll, eine gute Führungskraft zu sein. In der heutigen Zeit ist es noch etwas anspruchsvoller geworden.

Von entscheidender Bedeutung ist es deshalb, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren, aber auch gezielt zu verbessern. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine spannende Diskrepanz: Viele Führungskräfte erkennen, dass Führung komplexer geworden ist, haben aber das Gefühl, die Komplexität im Griff zu haben. Demgegenüber zeigen empirische Untersuchungen immer wieder aufs Neue, dass der größte Faktor der Unzufriedenheit von Mitarbeitenden das Verhalten ihrer Führungskräfte ist14.

      Leider wird diese Tatsache den Führungskräften kaum in dieser Deutlichkeit gespiegelt, begegnet man der Beurteilung von Vorgesetzten doch immer noch mit Vorsicht und Skepsis. Kritik an Vorgesetzten zu üben, ist noch vielerorts ein Tabu. In durchgeführten 360°-Assessments, eigentlich ein perfektes Instrument zur Schaffung einer Grundlage, um sich als Führungskraft zu verbessern, werden Vorgesetzte von den Mitarbeitenden in der Regel zu positiv beurteilt. Mitarbeitende fühlen sich als Überbringer schlechter Nachrichten und sehen sich der möglichen Gefahr ausgesetzt, von ihrem Vorgesetzten dafür bestraft zu werden.

      Andererseits sieht sich die Führungskraft mit Mitarbeitenden konfrontiert, die, häufig losgelöst von ihrer tatsächlichen Leistung, hohe Erwartungen an ihren Arbeitgeber haben. Erwartungen hinsichtlich flexibler Gestaltung der Arbeitszeiten, Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung, interessanten Aufgaben und eines grundsätzlichen Mitsprache- und Vetorechts bei allen aus ihrer Sicht relevanten Fragen.

      Durch den Fachkräftemangel werden Führungskräfte deshalb oft »erpressbar«. Sie sind sich gewärtig, dass sie sich von einem Mitarbeitenden trennen sollten, weil er die vereinbarte Leistung nicht bringt oder sein Verhalten inakzeptabel ist. Dennoch halten sie am Mitarbeitenden fest, aus Furcht, die Stelle nicht mehr mit einem geeigneten Kandidaten besetzen zu können. Ein Verhalten, welches von manchen Personalabteilungen noch gefördert wird. Aus meiner Erfahrung ist dieses Phänomen insbesondere in öffentlichen Verwaltungen und staatsnahen Betrieben weit verbreitet.

      Der Schaubstock fühlt sich für die Führungskraft so an, dass sie per se nur verlieren kann. Dies wiederum führt zu Stresssymptomen und damit letztlich zum Burn-out. Der Schraubstock trägt dazu bei, dass sich die Führungskraft gegenüber ihrem Vorgesetzten verbiegt, aus Angst, die Stelle zu verlieren.

      Jürgs Feierabend beginnt in der Regel um 20 Uhr, am Wochenende arbeitet er regelmäßig zusätzlich ein paar Stunden und im Urlaub ist er telefonisch für die Kollegen und Mitarbeitenden durchgängig erreichbar. Das ist Jürgs Arbeitsalltag. Er liebt seine Arbeit im Versicherungsunternehmen und setzt sich mit ganzem Engagement ein. Sein Motto: alles für die Firma. Er war unentbehrlich geworden und stolz darauf, dass sein Wirken maßgeblich zum Unternehmenserfolg beiträgt. Das blieb natürlich auch bei seinen Vorgesetzten nicht unbemerkt. »Jürg, kannst du dieses Projekt übernehmen?«, »Diesen wichtigen Kunden wissen wir in deinen Händen am besten aufgehoben«, »Das bedeutet zwar viel Arbeit, aber wenn einer es schafft, dann du«. Jeder wusste, was Jürg zu leisten im Stande ist, und er wurde immer wieder aufs Neue zu Höchstleistungen angespornt. Gerne lief er Extrameile um Extrameile für »sein« Unternehmen. Selbstverständlich erwartete er diese Einstellung auch von seinen Mitarbeitenden. Sein Erfolg und auch der seiner Mannschaft waren für ihn immer das Ergebnis aus Einsatzbereitschaft, Engagement und Fachwissen.

      Seit acht Monaten leitet Manfred Bickel nun die Verkaufsorganisation der Phönix Versicherung. Der 43-jährige Hamburger hat eine Promotion in Versicherungsmathematik und sorgt bei Jürg regelmäßig für Frustration. Er übergeht ihn bei wichtigen Entscheidungen, die eigentlich in seinen Aufgaben- und Verantwortungsbereich fallen, spart es sich, Informationen weiterzugeben, und noch seltener gibt es Feedback oder gar Wertschätzung für Jürgs Arbeit. Mehr als deutlich bekommt Jürg bei jeder Gelegenheit zu spüren, dass Manfred nichts von ihm und seiner Arbeitsweise zu halten scheint. Ein Gefühl von Verunsicherung, das er bis dato nicht kannte, macht sich bei Jürg breit. Er zeigt sich proaktiv und sucht das Gespräch; doch all seine Bemühungen schlagen fehl. Manfreds Haltung Jürg gegenüber ist klar: »Du und deine Mitarbeitenden, ihr müsst einfach flexibler werden« und »ihr seid zu viele Leute in deiner Abteilung«. Auf Jürgs Nachfragen, was denn »flexibel« bedeutet und weshalb er zur Annahme gelange, dass Jürg zu viele Leute habe, erhält er keine Antwort von Manfred – sondern noch mehr Forderungen. Jürg erhält Ziele und Deadlines, welche aus seiner Sicht vollkommen unrealistisch sind. Gespräche? Fehlanzeige. Manfred beharrt auf seinen Vorgaben und bekommt dazu noch Rückenwind von den anderen Abteilungsleitern. Jürg fühlt sich verraten und gerät zunehmend in die Opferrolle – es kommt ihm so vor, als ob Manfred ihn loswerden will.