Kommunismus
Die Jahre 1948 und 1989 sind die Grenzmarker der tschechoslowakischen kommunistischen Ära. Sie beschreiben den Zyklus eines Experiments, stehen für seine Entstehung, Entwicklung sowie sein Ende und zeigen das historische Ausmaß einer nie wieder zurückkehrenden Vergangenheit.
Das kommunistische Regime lässt sich durch einige substantielle Eigenschaften charakterisieren. Dazu gehörten eine diktatorische Regierungsart, das Monopol der Staatspartei und ihrer Polizei, die Beseitigung politischer Gegner, die Durchsetzung einer zentralen und direktiven Wirtschaftsplanung, eine marxistisch-leninistische Ideologie und Propaganda sowie die Unversöhnlichkeit mit dem Imperialismus und der Kampf gegen ihn. Die innenpolitische Diktatur wurde von der Kommunistischen Partei bestimmt, die innerhalb von wenigen Jahren alle politischen, ökonomischen, kulturellen und moralischen Bereiche des Landes sowie des Lebens unzähliger Menschen komplett übernahm. Verbunden damit waren außenpolitische Aspekte, etwa das Schließen des Eisernen Vorhangs unter der Ägide des Moskauer Kremls sowie die konsequente Propaganda, dass der Westen bestrebt sei, das gerade weltweit entstehende, gerechte sozialistische System zu vernichten. Laut dieser Propaganda wurde der Kommunismus ebenso von „Verrätern“ untergraben, die einzeln oder in Gruppen, zu Fuß über natürliche Landesgrenzen, mit Autos oder Flugzeugen flohen. Tausende erlangten auf diese Weise die Freiheit, doch Zehntausende ihrer Familienmitglieder, Freunde oder Bekannten in der ČSR wurden für diese Freiheit durch die tschechoslowakische Staatssicherheit (ŠtB) liquidiert. Insbesondere für den behandelten Zeitraum, der Gründungszeit des kommunistischen Totalitarismus, war eine solche sogenannte „Reinigung“ der Gesellschaft prägend.
Gleichzeitig war auch das kommunistische totalitäre System – wie alle politischen Regime – von Änderungen gekennzeichnet. Es entstand in der Phase des Hochstalinismus, erlebte in den Jahren 1948–1953 die „Eiszeit“, ein mäßiges Tauwetter im Jahr 1956 nach Abflachung des Personenkults um Stalin, das jedoch in den 1960er Jahren während der Krise und der Reformversuche wieder abkühlte. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1968 geriet das Land in das Feuer des Neostalinismus, das 1989 endgültig erlosch.
Das kommunistische totalitäre System in der Tschechoslowakei formte sich 1948 innerhalb von wenigen Monaten nach dem Prager Februarumsturz. Kaum jemand war sich damals des Ausmaßes der damit verbundenen politischen Änderungen bewusst. Edvard Beneš verblieb im Amt des Präsidenten. Die Nationalfront als politische Vereinigung wurde formal aufrechterhalten, doch veränderte sich ihre Ausrichtung. Sie wurde zu einer politischen Fassade, hinter der sich die kommunistische Diktatur versteckte.
Grundlegende Veränderungen in der tschechoslowakischen Gesellschaft betrafen Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch die Bereiche Wirtschaft, Sozial- und Schulwesen und Kultur. Unmittelbar nach dem Februarumsturz 1948 wurde die zweite Etappe der Verstaatlichung und die dritte Etappe der Grundstücksreform verabschiedet. Am Jahresende wurden Maßnahmen zur „Einschränkung und Verdrängung kapitalistischer Elemente“ und zur Beseitigung des Gewerbes ausgelöst. 1949 begann die Kollektivierung der Landwirtschaft, die nach einer kurzen Pause zwischen 1953–1955 über ein Jahrzehnt andauerte.1 Die tschechoslowakische Wirtschaft wurde strukturell umgebaut und dabei auf den Aufbau der Schwerindustrie ausgerichtet. Die Tschechoslowakei wurde zu einer „Weltmacht des Ostblocks im Maschinenbau“. Bestandteil dieser wirtschaftlichen Neuausrichtung der ČSR war auch die Industrialisierung der Slowakei, in der aus strategischen Gründen der Ausbau der Schwerindustrie, u.a. der Rüstungsproduktion, priorisiert wurde.2 Es wurde ein neues einheitliches Schulsystem eingeführt und die Ikonografie des Sozialrealismus in der Kunst wie in der Belletristik als auch die marxistisch-leninistische Methodologie und Ideologie in den Sozialwissenschaften durchgesetzt3, ebenso wie die Säkularisierung und Atheisierung der Gesellschaft. Zu den Eingriffen in das Eigentum, die zwischenmenschlichen Beziehungen, Kultur, Tradition sowie den Alltag gehörten kommunistische Gewalt und Terror. Die Menschen wurden aus politischen, sozialen sowie religiösen Gründen diskriminiert. Für das kommunistische Regime besonders gefährlich waren aktive Teilnehmer der zweiten Widerstandsbewegung, die in den tschechoslowakischen Streitkräften oder im Dienst der Royal Air Force (RAF) an der Seite der Alliierten gekämpft hatten. Diese ‚Westler‘ wurden nach dem Februarumsturz 1948 ungeachtet ihrer (zivilen oder militärischen) Orientierung als die größten inländischen Feinde eingestuft.
Die genannten tiefgreifenden totalitären Umbrüche in der tschechoslowakischen Gesellschaft führten zu zahlreichen Fluchtbewegungen über die Landesgrenzen. Diese Fluchten sind bis heute nicht vollständig wissenschaftlich bearbeitet und sie sind auch heute noch aktuell und interessant. Die ersten Fluchtbewegungen erfolgten nach dem „Siegesfebruar“ als direkte Folge der Machtübernahme der tschechoslowakischen Kommunisten, die mit ihrem verlängerten Arm, der ŠtB, reale oder fiktive Feinde der „Diktatur des Proletariats“ in Schauprozessen beseitigten. Die Schauprozesse Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre werden heute zu Recht als dunkles Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte betrachtet. Sie vereinte ihre Rechtlosigkeit.4 Die Schauprozesse bedienten sich erzwungener Geständnisse und sie verletzten grundlegende Menschen- und Bürgerrechte. Sie betrafen die gesamte Gesellschaft, alle soziale Schichten der Bevölkerung.
Die Funktionen der Schauprozesse im behandelten Zeitraum waren vielfältig. Es ist schwer zu bestimmen, welche Funktion am bedeutendsten war, doch das bereits erwähnte Bestreben, die Gegner des kommunistischen Regimes zu beseitigen, zu bestrafen und auszuschalten stand zweifellos im Vordergrund. Das Wecken von Ängsten bei der Bevölkerung war ein bedeutendes Mittel der Einschüchterung. Eine wichtige Rolle bei den Schauprozessen spielte die ŠtB, die vor allem eine politische Polizei war. Sie unterstützte und schützte das kommunistische Regime und arbeitete aktiv an seinem Aufbau. Selbstverständlich war sie weder anonym noch namenlos. Im Gegenteil, sie bestand aus Menschen, Tschechen und Slowaken, die sich als vorbildliche Schüler sowjetischer Lehrer und Berater erwiesen. Die Fänge der ŠtB waren überall präsent – in Städten, Dörfern, Regionen, gesellschaftlichen Organisationen, Schulen, Unternehmen und Genossenschaften, überall dort, wo Menschen waren. Im Verhör setzte die ŠtB eine Kombination zweier Methoden ein: physische Gewalt und psychischen Terror. Durch den gezielten und abwechselnden Einsatz dieser Methoden, gelang es, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Physische und psychische Gewalt wurde von Fall zu Fall unterschiedlich eingesetzt. Es gab ein breites Spektrum an Mitteln: langer Aufenthalt im Gefängnis, Einzelhaft, brutale Folter, Züchtigung, nächtliche Verhöre, Verweigerung von Schlaf und Trinken, Demütigung, Einschüchterung der Verwandten, unrealistische Versprechungen u. ä.
Die ŠtB arbeitete bei der Vorbereitung der Schauprozesse nach einem bestimmten Muster: Festnahme des Opfers, Untersuchungshaft, totale Isolierung des Beschuldigten, für den keine Gesetze und kein Recht mehr galten. Er war nun kein Mensch mehr, sondern nur eine Nummer, ein bereits vorab verurteilter Verbrecher. Der Beschuldigte war der Willkür des Ermittlers ausgesetzt. Die Verhöre wurden sorgfältig vorbereitet. Kooperierte der Verhörte, so wurde er von physischer und psychischer Gewalt verschont. Andernfalls wurde Gewalt angewandt, und früher oder später knickte jeder ein.
Der Beschuldigte stand nicht allein unter Beobachtung. Die ŠtB baute gleichzeitig ein Netz aus Komplizen und Zeugen auf. Als Grundlage dienten Aussagen von Bekannten oder Verwandten. Es entstand ein detailliert ausgearbeitetes Drehbuch, nach dem die ŠtB handelte. Auch gerichtliche Verhandlungen vor dem Staatsgericht oder dem Obersten Gericht hatten ein eigenes Muster. Es handelte sich meist um öffentliche Schauprozesse, bei denen der Senatsvorsitzende und der Staatsanwalt die Zuschauer aktiv in das Geschehen einbanden. Es war ein psychologisches Spiel, eine clevere Nutzung von Massenpsychologie. So durfte bei keinem der Prozesse die Geräuschkulisse fehlen, etwa Empörungsschreie, der Ausdruck von Ärger und Freude über die Enthüllung einer staatsfeindlichen Verschwörung, die durch die Beschuldigten, die angeblich in Diensten von Imperialisten, Trotzkisten, Zionisten oder bürgerlichen Nationalisten standen, vorbereitet worden war. Zu diesem ‚Theaterstück‘ gehörte auch die Verteidigung. Bei den Verteidigern handelte sich zumeist um von Amts wegen