Ulrich Wißmann

Wer die Geister stört


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Scharen von Apachen als Scouts für die US-Armee arbeiteten, die ihre Spuren verfolgen konnten und ähnlich ausdauernd waren wie sie. Diese Apachen-Scouts waren ihre gefährlichsten Gegner.

      Der kleine Trupp näherte sich über eine weite Ebene, die bis zum Horizont ohne jede Bewegung dalag, dem immer höher aufragenden Rücken eines gewaltigen Berges. Im Nachtlicht schien der Gipfel mit dem Himmel zu verschmelzen. Auf den weiten Flanken des einsam daliegenden Kolosses konnte man die weiten Kiefernwälder im fahlen Mondlicht liegen sehen. Das war der heilige Berg der Apachen, Dzil Nchaa Si‘An, der große ruhende Berg. Hier hatten die N‘de, wie sich „die Menschen“ selbst nannten, die 32 heiligen Gesänge des Lebens von ihrem Schöpfergott Yusen erhalten. Hier lebten die Berggeister, die Ga‘an, die die Schamanen unterwiesen und ihnen die Heilkräuter zeigten, die sie brauchten, hier fanden heilige Zeremonien und Begräbnisse statt. Der Berg hatte ursprünglich zur San Carlos Apache Reservation gehört, aber als die Weißen das den Indianern zugesprochene Land immer weiter beschnitten hatten, war er aus dem Gebiet herausgenommen worden. Goyathlay hoffte, dass man sie hier nicht vermuten und nicht finden würde. Ihre Spuren hatten sie so gut es ging verwischt. Sie hatten Lappen um die Hufe der Pferde gebunden und ritten möglichst vorsichtig über felsiges Gelände, so dass auch die Apachen-Scouts Schwierigkeiten haben würden, ihnen zu folgen. Der Dzil Nchaa Si‘An ragte hoch über das ihn umgebende ebene Gelände auf, so dass man mit geschickt auf dem Berg postierten Spähern Verfolger entdecken konnte lange bevor sie in die Nähe kamen. Besonders den Frauen und Kindern würde es gut tun, eine Zeit lang in den kühlen Wäldern des heiligen Berges auszuruhen. Die Pferde würden auf den saftigen Wiesen mit ihren klaren Bergbächen endlich wieder genügend Futter und Wasser finden und die Männer würden auf die Jagd gehen können. Und sie würden etwas hier zurücklassen, was sie nicht mit sich tragen konnten, wenn sie ihre Flucht fortsetzten.

       II

      Frank Begay betrat das Hauptquartier der Navaho Nation Tribal Police ein paar Minuten nach acht Uhr morgens. Er hatte einen Termin um acht Uhr bei seinem Vorgesetzten, Captain Blackhat, war also nach Maßstäben der „Indian Time“ sehr pünktlich. Begay hatte die markanten Gesichtszüge seines Stammes und trug sein Haar schulterlang, wie viele Angehörige der Dineh. Er war mittelgroß und schlank und für sein Alter von fünfzig Jahren in ziemlich guter Form, was er darauf zurückführte, dass er sich viel im Freien bewegte. Während er sich bei Zeremonien oder Festen, oder wenn er sich in der Natur aufhielt, gerne traditionell kleidete, trug er jetzt Jeans, Jeansjacke und Cowboystiefel.

      Begay fand den Captain wie erwartet hinter seinem riesigen Schreibtisch vor, der mit Stapeln von Aktenordnern und Papieren bedeckt war. Hinter Blackhat gab das Fenster den Blick frei auf einen tiefblauen Himmel und die roten Sandsteinformationen, die über dem Ort Window Rock aufragten. Die Wand des Büros zierte die Fotografie eines Navaho-Mädchens von Edward S. Curtis sowie eine Landschaftsaufnahme des Monument Valley. Begay erstattete seinem Vorgesetzten Bericht über die Vorkommnisse der letzten Tage. Es hatte einige Verkehrsdelikte gegeben, Geschwindigkeitsübertretungen, die eigentlich immer von durchreisenden Anglo-Amerikanern begangen wurden, da es auf dem Reservat kaum schnelle Autos gab.

      In zwei Fällen waren ein paar Touristen irgendwo in der Weite der Reservation liegen geblieben, weil sie die immensen Entfernungen zwischen den wenigen Tankstellen in dieser Gegend unterschätzt hatten. Neugierige, die sich von den wenigen Hauptstraßen der „Big Rez“ auf die oft in katastrophalem Zustand befindlichen Nebenstraßen wagten, erlitten oft einen Achsbruch oder landeten neben der Fahrbahn, unfähig aus eigener Kraft weiterzufahren. Auch in diesen Fällen wurde die Stammespolizei gerufen, von hilfsbereiten Dineh, oder solchen, die die Touristen nicht in ihrer Gegend haben wollten, meistens ohne dass diese überhaupt wussten, dass man sie bemerkt hatte. Die Polizisten sorgten dann dafür, die Fremden aus der Wildnis zu holen und ihre Fahrzeuge zu bergen und gegebenenfalls reparieren zu lassen. Es hatte auch einige Prügeleien gegeben, wie eigentlich immer in Folge von Alkoholkonsum, der auf der Reservation strengstens verboten war. Es hatte einen Fall von Wilderei gegeben und zwei Fälle von Viehdiebstahl. Im ersten hatten die frei herumlaufenden Schafe eines Navaho-Züchters sich im Canyon de Chelly der Herde einer anderen Familie angeschlossen, wahrscheinlich ohne deren Wissen. Im zweiten Fall war der Verbleib mehrerer Schafe und Ziegen noch nicht geklärt.

      „Und was machen unsere Grabräuber?“, fragte Captain Blackhat. In einem Seitencanyon des San Juan Rivers im Norden der Navaho Reservation trieben sich schon seit fast zwei Wochen einige junge Weiße unter dem Deckmäntelchen herum, dort zu wandern und zu campen, die aber ganz offensichtlich ein starkes Interesse an den vielen dort gelegenen Anazasi-Ruinen hatten. Begay hatte bei ihnen Keramik sicherstellen können, die aus den Ruinen stammte. Gegenstände aus den Ruinen zu entwenden war strengstens verboten, selbst das Betreten war nicht erlaubt. Bereits einmal hatte die Stammespolizei die Weißen aufgefordert, das Reservat zu verlassen.

      „Ich habe sie persönlich aus dem Canyon begleitet“, sagte Begay, „und bin ihren Autos bis über die Grenze bei Mexican Hat gefolgt.“

      „Gut gemacht, Frank“, lobte Blackhat, „wollen wir hoffen, dass sie nicht wiederkommen!“

      Der Captain räkelte sich in seinem Sessel, nahm eine Zigarette aus der auf dem Schreibtisch liegenden Marlboro-Packung und klopfte sie, nachdem er Begay vergeblich auch eine angeboten hatte, ein paar Mal umständlich auf die Tischkante. Bagays Blick wanderte derweil sehnsüchtig zu den hinter Captain Blackhat im Sonnenlicht liegenden Felsspitzen.

      „Frank, ich habe Sie hergebeten, weil ich mal wieder eine Sonderaufgabe für Sie habe. Wir haben eine Anfrage vom Sheriff des Graham County. Dort wird ein Mann seit einigen Tagen vermisst. Sie brauchen einen anständigen Fährtenleser.“

      „Und warum rufen sie da nicht einen San-Carlos-Apachen? Der hätte es nicht so weit!“, fragte Begay mürrisch.

      „Der Mann ist am Mount Graham verschwunden“, sagte Blackhat und sah Begay musternd an.

      Begay ahnte sofort den Zusammenhang.

      „Wissen Sie über den Mount Graham Bescheid?“, fragte Blackhat.

      „Ja, es ist einer der heiligen vier Berge der Apachen. Und der Mount Graham ist der absolut wichtigste davon, wenn ich mich recht erinnere.“

      Die meisten Menschen hier im Südwesten wussten von der Bedeutung des Mount Graham für die Ureinwohner und auch, dass auf dem Berg gegen den Widerstand der traditionellen Apachen, für die das unerträglich war, seit Jahren Teleskopanlagen gebaut wurden.

      „Ja“, sagte Blackhat, „nun arbeitet der Vermisste für das Konsortium, das die Teleskope errichtet und dafür eine neue Straße auf den Mount Graham führen möchte. Es könnte natürlich sein, dass sein Verschwinden damit zu tun hat. In diesem Fall kämen, wenn es sich um ein Kapitalverbrechen handeln sollte, natürlich auch Apachen von San Carlos als Täter in Frage.“ Er machte eine Pause und sah Begay verschwörerisch an. „Und Sie wissen ja, dass man uns generell Vetternwirtschaft vorwirft.“

      Mit „uns“ schien er alle Ureinwohner zu meinen. Natürlich wollte der Sheriff deshalb einen Fährtenleser aus einer anderen Gegend hinzuziehen.

      „Wann könnten Sie fahren?“, fragte Blackhat.

      „Ich kann morgen früh losfahren. Es sind etwa dreihundert Meilen. Also könnte ich so gegen Mittag dort sein“, antwortete Begay.

      „Gut! Sie melden sich bei Sheriff Lawson in Safford. Ich werde ihm mitteilen, dass Sie kommen. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie wieder da sind!“ Blackhat stand auf und verabschiedete Begay mit einem kräftigen Händedruck.

       III

      Am nächsten Tag gegen Mittag erreichte Begay den kleinen Ort Safford. Er fuhr über die in Folge der Sommerhitze immer wieder geflickte Main Road zwischen hübschen aus Adobe errichteten Häusern im Westernstil und altertümlichen Straßenlaternen entlang. Nach Süden gab die Hauptstraße den Blick auf das wuchtige Massiv des Mount Graham frei. Vor dem Büro des Sheriffs stellte er seinen Wagen ab.

      Sheriff Lawson, ein freundlicher Mitvierziger, der die gut erhaltene sportliche Jugendlichkeit vieler Amerikaner seines Alters verströmte, hatte Begay