Ulrich Wißmann

Tanz mit Schlangen


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die anderen. Es gab ein deutliches Klappern von sich und wand sich in den Händen des Mannes, der es zur Sicherheit kurz hinter dem Kopf hielt. Einen Moment lang trafen sich die Blicke der beiden Männer.

      Tasajeswa versuchte eine Verbindung mit der Schlange herzustellen. Er konzentrierte sich ganz auf den Geist des Tieres und sprach in Gedanken zu ihm, aber er spürte die Verbindung nicht. Die Schlange wirkte auffällig nervös. Während die anderen, kleineren Tiere eher lethargisch wirkten und sich bereitwillig von den Tänzern tragen ließen, wand seine Klapperschlange sich, gab ein nervöses Klappern von sich und zischte hörbar. Das hatte er in den früheren Jahren nie erlebt. Die Schlangen hatten sich ihm scheinbar bedingungslos hingegeben, als ob sie gewusst hatten, dass sie nach der Zeremonie wieder freigelassen werden würden und das, was sie taten, der ganzen Erde und allen Lebewesen zu Gute kam. Er hatte sich immer eins gefühlt bei dem Tanz mit der Schlange. Dieses Tier war anders. Es war gut, dass sie es für ihn ausgesucht hatten. Er war der Anführer der Schlangenzeremonie und der erfahrenste der Männer. Deshalb gebührte es ihm, die größte und vielleicht gefährlichste Schlange zu tragen. Um ihn herum wiegten sich die anderen Männer, vorsichtig mit den Zähnen die Schlangen haltend, weiter im Takt der Trommeln vor und zurück.

      Behutsam nahm Tasajeswa die Schlange mit den Zähnen entgegen. Das Tier gab ein drohendes Rasseln von sich, aber Tasajeswa ließ sich nicht beirren. Langsam drehte er sich, um im Gleichklang mit den anderen Männern zurück in die Mitte der Plaza zu tanzen. Aber er befand sich nicht im Einklang mit dem Tier, das sich weiter nervös zwischen seinen Zähnen wand. Alle anderen Tänzer schienen sich im Einklang mit ihren Tieren zu befinden. Die Schlangen ließen sich von den Männern tragen und bewegten sich kaum noch. Aber die Schlange, die Tasajeswa im Mund hielt, bewegte sich weiter, richtete ihren Kopf auf und zischte ihn an. Sie drehte sich zwischen seinen Zähnen und er musste nachfassen, um das Tier nicht zu verlieren. In diesem Moment sah er den breiten, gedrungenen Kopf der Schlange neben seinem Gesicht auftauchen.

      Und dann geschah es. Mit einer blitzschnellen Bewegung stieß die Schlange zu. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen spürte Tasajeswa etwas wie den Stich zweier spitzer Nadeln in seinem Hals. Das Reptil fiel ihm aus dem Mund und rollte sich sofort auf dem Boden zusammen. Ein Aufschrei ging durch die Menschenmenge und Tasajeswa stolperte aus der Reihe der Tänzer. Er hatte das Gefühl, einen starken Druck in seinem Hals zu spüren. Er taumelte und wurde von mehreren Händen gepackt. Er wollte protestieren. Es war seine Pflicht, den Tanz weiter zu führen. Aber mehrere Männer und Frauen, die ihn an den Armen gefasst hatten, geleiteten ihn zum Rand der Plaza. Tasajeswa fühlte sich benommen und wehrte sich nicht mehr. Sie würden ihm das traditionelle Heilmittel gegen Schlangenbisse geben, das der Schlangenbund verwendete. Sie hatten ihn auf eine Brüstung am Rande der Plaza gesetzt. Tasajeswa glaubte, das Gift in seinem Körper zu spüren. Mehrere Personen blieben bei ihm. Seine Frau war da, seine Kinder.

      Tasajeswa registrierte, dass der Tanz weiter andauerte. Das Schlangenritual war ein Bitten um Regen, um Fruchtbarkeit und Gesundheit des Volkes und gehörte zu dem Reigen der regelmäßig ausgeführten Hopi-Rituale. Es war zu wichtig für das Überleben des Stammes, um es abzubrechen. Er hörte den dumpfen Schlag der Trommeln und sah mit unscharfem Blick die Bewegung auf dem Dorfplatz vor sich. Dann sank sein Kopf auf seine Brust und er wurde ohnmächtig.

       III

      Officer Frank Begay saß vor dem Schreibtisch in seinem Büro im Polizeidepartement von Window Rock. Vor ihm türmte sich ein Haufen unbearbeiteter Akten. Begay schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, nahm vorsichtig einen Schluck und seufzte. Er hasste Papierkram. Aber leider gehörte auch das zu seiner Arbeit für die Navaho Nation Tribal Police.

      Der Hauptteil seiner Arbeitszeit bestand aus Außendienst. Er liebte es, in den menschenleeren Weiten der großen Reservation unterwegs zu sein, oft tagelang, und dabei auch manchmal irgendwo im Freien kampieren zu müssen. Und er liebte den Umgang mit den Angehörigen seines Volkes, besonders mit den verstreut in der Wildnis lebenden Feldbauern und Viehzüchtern. Er hatte immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte dieser Menschen und sein Beruf vermittelte ihm oft das Gefühl, helfen zu können. Kapitalverbrechen gab es auf der Big Rez äußerst selten und Gewalt kam eigentlich nur in Fällen von Notwehr oder als Folge von Alkoholmissbrauch vor. Meist musste man als Navaho-Stammespolizist eher helfend oder vermittelnd eingreifen. Er liebte diesen Teil seiner Arbeit. Und er hasste den Papierkram. So wurde er denn auch oft von seinem Vorgesetzten, Captain Blackhat, gerügt, wenn ein Bericht wieder einmal zu kurz oder ungenau ausgefallen war. Lustlos nahm Begay den obersten Hefter von dem Stapel.

      „Werwolf in den Chuska Mountains?“, stand auf der Pappe. Er legte ihn zur Seite und nahm die zweite Akte hoch. „Viehdiebstahl bei Tec Nos Pos“, las er und klappte den Hefter auf. Einer Familie waren in den letzten Wochen fünf Schafe abhanden gekommen. Dass ein oder zwei Tiere sich verirrten und nicht zur Herde zurückfanden, gab es in dieser Gebirgslandschaft öfter und auch dass ein Schaf oder eine Ziege sich ein Bein brach und nicht gefunden wurde, kam häufig vor. Aber diese Zahl von verschwundenem Vieh musste eine andere Ursache haben. Manchmal schlossen sich Tiere der Herde eines anderen Besitzers an, was der in dieser unwegsamen Landschaft, in der man sein Viehmanchmal tage-oder wochenlang nicht zu Gesicht bekam, oft nicht entdeckte. Der eigentliche Besitzer konnte dieses aber sehr wohl als Diebstahl auslegen und so musste die Stammespolizei vermittelnd eingreifen. Es konnte aber auch sein, dass ein paar Kojoten oder ein Berglöwe sich über längere Zeit an Tieren dieser Herde gütlich taten. Begay hatte sich selbst schon in der Gegend umgesehen, aber keine Hinweise auf ein Verbrechen oder Spuren großer Raubtiere finden können.

      Er legte den Hefter zur Seite und nahm sich einen dickeren Aktenordner vor. „Harold Nez“ stand darauf und „Alkoholmissbrauch“. Begay nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee und schüttelte den Kopf. Vor ein paar Tagen hatte Begay Nez‘ Frau und Kinder zu Verwandten gebracht, um sie nicht weiter der trunkenen Tobsucht ihres Familienvaters auszusetzen, und hatte ihn selbst im Gefängnis abgegeben. Nez war auch wiederholt mit anderen in gewalttätige Auseinandersetzungen verstrickt gewesen. Immer wieder hatte er kurze Haftstrafen verbüßt. Begay setzte sich seine Computerbrille auf, mit der er sowohl den Bildschirm wie auch die Tastatur gut sehen konnte, und öffnete eine Datei. „Harold Nez“, schrieb er und seufzte.

      In diesem Augenblick klingelte das Telefon. „Officer Frank Begay, Navaho Nation Tribal Police“, meldete er sich.

      „Hallo Frank“, tönte es leutselig aus dem Hörer, und Begay erkannte sofort die Stimme seines FBI-Kollegen Jackson Caldwalder. „Alter Siedlerschreck! Wie geht es Ihnen?“

      „Hallo Jack“, antwortete Begay, der mit dieser Floskel noch nie viel hatte anfangen können, und ärgerte sich gleich darauf über seine Reserviertheit. Er war mit dem Agenten Caldwalder sozusagen durch Dick und Dünn gegangen und er hatte sich dabei, obwohl ein Weißer, als guter und verlässlicher Partner erwiesen. „Schön, Sie zu hören“, setzte Begay etwas unbeholfen hinzu.

      „Ja, Frank, das finde ich auch“, meinte Caldwalder. „Was machen Sie so?“

      Begay erzählte dem Agenten, dass er gerade vor einem Stapel unerledigter Akten säße und nun Berichte schreiben müsse, und erntete Caldwalders Mitgefühl.

      „Vielleicht kann ich Sie etwas ablenken“, sagte Caldwalder und Begay stellte sich vor, dass er das augenzwinkernd tat.

      „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

      „Wir haben einen Fall im Hopi-Reservat.“

      Begay horchte auf. Das bedeutete, dass es sich wahrscheinlich um einen Todesfall handeln musste. Die Indianerreservate besaßen eine Teilautonomie und ihre Polizei und Gerichte bearbeiteten einen Großteil der Straftaten, die im Reservat vorkamen, unabhängig. Nur bei Kapitalverbrechen und Mord schaltete sich automatisch die Bundespolizei ein.

      „Ein Mord?“

      „Das wissen wir nicht“, antwortete Caldwalder. „Ein Hopi ist oben in Hotevilla auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Scheint ein wichtiger Mann gewesen zu sein, der aber mit vielen Leuten im Clinsch lag, und jetzt denken wohl einige, dass es bei seinem Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, und haben die Polizei informiert.“

      „Was