Goran Vojnović

Tschefuren raus!


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in der Halle hin und her schleudert. Wir sind die Stärksten, die Stärksten!

      Das ist sonst der Slogan der Zvezda-Fans, aber wir rufen ihn alle in der Mannschaft seit damals, als in der Halle der Pioniere in Belgrad am Ende eines Spiels, das Zvezda vergeigt hatte, einer der Fans aufs Spielfeld gestürmt kam und anfing, den besten Spieler der italienischen Mannschaft, einen Schwarzen, mit Fäusten zu bearbeiten, und die anderen Fans schrien: „Wir sind die Stärksten, die Stärksten! Zigos sind wir, Zigos!“ Dieser tschefurische Primitivismus, verfickt, vulgär, grauenvoll, krank, dieser morbide balkanische Narzissmus ist für dich auf eigenartige Weise immer cool, wenn dir etwas so Tierisches passiert oder du abgefüllt bist wie eine Mamba. Da ist etwas Genetisches in uns, zumindest in den Tschefuren. Und deshalb brüllst du: „Wir sind die Stärksten, die Stärksten! Zigos sind wir, Zigos!“ Und mit dir brüllen alle anderen in der Kabine, auch die Slowenen, und wedeln mit ihren nassen Handtüchern über ihre nackten Arschbacken, sie hüpfen und grinsen, und als diese grünweißen Luschen vorbeimarschiert kamen, hast du einem direkt in die Fresse gebrüllt: „Wir sind die Stärksten, die Stärksten! Zigos sind wir, Zigos!“ Er stößt mich nur kurz weg und schon fallen Schläge. Und wir klopfen uns wie nie im Leben! Mein Gott, wie haben wir uns geprügelt! Ich hab ihnen echt die Mutter gefickt, meine Fresse!

      3. Warum wir wegen Radovan im Kübel gelandet sind

      Die Bullen sind wegen Radovan gekommen. Davon bin ich überzeugt. Schon als ich noch zu Hause war, war er fertig, plus dass bei uns noch Rile und Krstić waren. Meiner Schätzung nach haben sie sich Miroslav Ilić oder Šaban Šaulić oder einen von den anderen alten Säcken reingezogen, die Radovan auf Originalkassetten hat und die er jedes Mal rausholt, wenn er abgefüllt ist. Und dann brüllen sie „Komm, wir werden gemeinsam alt“. Wir haben noch zusammen angestoßen, ich mit Holundersaft und sie mit Scharfgebranntem, den sie ich weiß nicht wann aus Bosnien mitgebracht und für besondere Gelegenheiten gebunkert hatten. Allerdings ist bei ihm jedes Mal, wenn er sich einen Schluck genehmigt, eine besondere Gelegenheit. Nicht, dass er so oft abgefüllt wäre, aber wenn er mal zulangt, ist das jenseits von Gut und Böse. Ich kann mir richtig vorstellen, wie er im Flur auf die Blauen zuschwankt, mit dem Pokal unterm Arm, und ihnen erklärt, dass sein Sohn Marko gewonnen hat und dass sie ein bisschen feiern und lustig sind, weil Marko in der letzten Sekunde einen Korb gemacht und den Pokal als bester Werfer des Turniers gekriegt hat. Dann hat er ihnen wahrscheinlich versprochen, dass er die Musik leiser dreht und schlafen geht, und die Cops sind wieder gegangen, aber dann hat er gebrüllt, sie sollen die Musik voll aufdrehen, und hat gegen die Tür der dicken Maršička getreten, was sie die Polizei zu rufen hat und dass er ihr jedes Kilo zu viel extra fickt und dass er nicht schuld ist, wenn ihr Sohn ein Fixer ist. Obwohl Pero kein Fixer, sondern Kiffer ist, nur was weiß Radovan, dass nicht jeder Kiffer automatisch an der Nadel hängt und dass er möglicherweise nur Blätter raucht. Das ist für ihn alles ein und dasselbe. Er würde sie alle auf die Baustelle jagen, damit sie ein oder zwei Jahre malochen. Die Bullen hatten ihn sicher gehört, aber sie hatten keinen Bock, noch mal zurückzugehen. Sie waren ja nur gekommen, um eine Ermahnung auszusprechen. Von Gesetzes wegen sind sie dazu verpflichtet. Aber dann sind sie uns im Parterre entgegengekommen. Ach, Radovan, da hast du uns was eingebrockt.

      Wir hatten uns mit dem Schnaps niedergekübelt, den Dejan bei seinem Vater hatte mitgehen lassen. Der alte Mirtić kriegt das gar nicht mit, der hat genug andere Flaschen, und dem ist das sowieso egal, was für’n Schnaps er trinkt. Jedenfalls hatten wir uns voll die Ölung gegeben. Dann ist einer von uns vier Genies, also Dejan, Aco, Adi und ich, auf die Idee gekommen, wir singen für den ganzen Block We Are the Champions. Und haben bei allen Sprechanlagen gedrückt und uns alle vier umarmt und angefangen zu brüllen, was sich aber mehr nach Kotzen als nach Singen angehört hat. In dem Moment kamen die Bullen vorbei, die Radovan erklärt hatten, dass sein Šaban zu laut sei. Sie waren schon an uns vorbei und verdrehten nur die Augen, aber dann fing Adi, der den meisten Schnaps intus hatte, damit an, auf die Sprechanlage einzuschlagen.

      „Uns kann keiner was, wir sind stärker als das Schicksal!“

      Der verfickte Mitar Mirić machte die ganze Situation noch schlimmer, die Bullen verloren die Geduld, und noch vor dem Ende des Refrains der inoffiziellen Hymne der Republika Srpska waren wir alle vier im Kübel. Ich weiß nicht, wie ich plötzlich da drin war, ich weiß nur, dass Adi unter mir lag und Dejan auf mir. Und dass die Tür zuknallte und der beschissene Kübel losfuhr und wir im Dunkeln durchgeschüttelt wurden.

      Mir war klar, worum es ging. Das ist der Klassiker. Gewöhnlich stecken die Bullen die, die an der Ljubljanica ein bisschen die Angel ausgeworfen haben, in den Kübel. Die fahren sie dann ein bisschen spazieren und werfen sie irgendwo in der Pampa wieder raus, mitten im Wald. Auch Adi haben sie einmal hopsgenommen. Da ist er herumgeirrt und auf ein anderes Polizeiauto gestoßen. Er machte ihnen weis, er komme von der Tanzstunde und habe sich verquatscht, und ob sie ihn nach Hause fahren könnten. Und das taten sie auch, die Spackos. Damals haben sie ihn nicht so durchgeschüttelt wie uns jetzt. Am Anfang war noch alles cool, und Dejan hat rumgebrüllt wie ein Wahnsinniger.

      „Wir sind von Fužine, wir wissen, wo wir sind. Ihr werdet uns nicht verarschen, denn wir haben den Konpas!“

      „Was für ein Konpas! Kompass, du Pfosten!“

      Dejan drehte auf und wir grinsten bis über beide Ohren und Adi machte weiter mit dem Song von Mitar Mirić.

      „Uns kann nur hassen, wer uns nicht liebt!“

      „Fährt Miško nach Belgrad!“

      „Das kann Miško auch mit geschlossenen Augen!“

      Aber dann war Schluss mit lustig. Wir wurden in dem Kübel hin und her geschleudert, einer fiel über den anderen, und die Idioten machten die Sirene an, fuhren wie die Wilden und legten sich wie die Verrückten in die Kurve. Keiner von uns brachte mehr einen Ton heraus. Du hörtest nur das Poltern und das Jammern, wir prallten gegeneinander, und ich wusste nicht, ob ich mit den Armen lieber das Gleichgewicht halten oder meinen Kopf schützen sollte. Ich tat irgendwas dazwischen, und plötzlich flog in einer Kurve jemand gegen mich, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand knallte, zu Boden ging und wieder hochgeschleudert wurde. Es drehte sich mir im Kopf, und ständig flogen die anderen drei auf mich drauf. Ich versuchte meinen Kopf mit den Händen zu schützen und wartete, dass dieser Wahnsinn ein Ende hatte. Das hier war kein Spaß mehr. Ich hab mich angeschissen hundert die Stunde und gedacht, mit uns ist es aus. Der Kübel legte sich immer mehr in die Kurve, wir lagen auf dem Boden und hielten uns aneinander fest. Und dann trat der Idiot mit einem Mal auf die Bremse und schleuderte uns mit den Köpfen direkt gegen die Wand. Der Kübel hielt. Dann ging die Tür auf und jemand zog mich am Bein raus und ich flog auf die Erde. Direkt in den Dreck. Und Aco auf mich drauf. Und der Kübel raste davon. Ich lag auf der Erde, und Aco wälzte sich langsam von mir runter. Ich hörte Adi, wie er am Kotzen war. Dejan weinte, wie mir schien. Wir waren mitten in einem tiefen Wald. Am Arsch der Welt. Und dazu regnete es noch. Wir lagen im stinkenden Dreck, und mindestens fünf Minuten rührte sich keiner.

      Hundert Jahre liefen wir in diesem verfickten Wald herum. Was für eine ausgemachte Sauerei, dass sie dich hier rausschmeißen, und du dann sehen kannst, wo du bleibst. Adi war wieder am Reihern. Dejan ging es auch schlecht. Wir fuckten uns an, weil wir uns nicht einigen konnten, in welche Richtung wir gehen sollten. Wir schrien uns an und Aco setzte sich auf den Boden und sagte, er gehe nirgends hin. Wir sollten uns verpissen. Dejan fauchte ihn an, und Aco wollte ihn sich schon vorknöpfen, um ihn zu vermöbeln. Aber dann sprintete er einfach los, ab durch den Wald. Und wir hinterher. Ich weiß nicht, ob ich jemals im Leben so wütend war. Ich hätte ihn umbringen können. Drecksäcke, verfluchte! Ich reiß ihnen die Tuntenärsche auf! Dejan und Adi stritten sich um etwas.

      „Soweit ich weiß, ist das Šiška.“

      „Was für Šiška. Šiška ist da, wo Dravlje ist.“

      „Dann ist das Črnuče.“

      „Im Leben warst du nicht in Črnuče.“

      „Und wo sind wir dann?“

      „Was weiß ich? Šmarna gora.“

      „Ja,