der Johanniterkommende von Überlingen, an das Großherzogtum Baden übergegangen waren, ließ das Adelshaus am Rande von Ernatsreute wenige Jahre später ein Forsthaus errichten. Theodor Lattner war als Bezirksförster seit über dreißig Jahren im Dienste des Großherzogs Friedrich von Baden in den Wäldern tätig und lebte zusammen mit seiner Frau Hedwig in dem Bau. Das alte Forsthaus war im Untergeschoss aus Sandstein und im Obergeschoss aus Fachwerk mit schwarz bemalten Balken und einem Walmdach gebaut. Zum Forsthaus gehörte ein Speichergebäude mit Stall, das neben dem Haus stand. Dahinter lag ein großer Weiher, der ursprünglich eine kleine Kiesgrube gewesen und über die Jahrzehnte mit dem Wasser des Geißbachs vollgelaufen war. Im Weiher lebten Enten und Forellen, die Theodor nebenher züchtete, und vor dem Speicher lag Hedwigs großer Gemüsegarten. Elisabeth brachte Pankraz im Hof des Forsthauses zum Stehen. Hedwig arbeitete im Garten und hatte ihre Freundin mit dem Einspänner wohl schon von Weitem auf dem Weg herfahren sehen. Freudig lief sie Elisabeth entgegen. Hedwig war nur ein paar Jahre jünger als sie. Sie trug eine graue Kittelschürze und auf dem Kopf ein rotes Tuch.
»Ja, Liesl, sieht man dich auch mal wieder«, begrüßte Hedwig sie. »Schön, dass du zu uns kommst.«
»Grüß Gott, Hedwig. Ich wollte schon lange einmal wieder bei euch vorbeischauen. Ich habe euch einen Korb von meiner Ernte mitgebracht.«
Elisabeth stieg vom Wagen und gab Hedwig einen der drei Körbe mit Trauben, die sie auf der Fahrt unter einem großen Leinentuch schützte.
»Ich habe so viele Weintrauben dieses Jahr geerntet, ich könnte ganz Ernatsreute damit versorgen. Da habe ich gedacht, ich bringe dir und Theo einen Korb voll mit, dann kann ich bei dieser Gelegenheit fragen, wie es euch geht.«
»Das ist aber nett.« Hedwig lächelte freudig. »Der Theo ist seit dem Mittagessen im Wald oberhalb von Bambergen unterwegs. Im Frühjahr hat er dort einen neuen Bestand Fichten anpflanzen lassen. Etwa drei Hektar sind es, doch der Wildschaden ist dieses Jahr so groß, dass über die Hälfte neu gepflanzt werden muss. Das hält ihn seit Wochen auf Trab.«
»Oh je, der Arme!«, seufzte Elisabeth.
»Jaja, so ist es mit den Mannsbildern eben«, sagte Hedwig flapsig. »Immer haben sie etwas zu tun und meistens sind sie fort.«
Die beiden lachten und Hedwig nahm Elisabeth am Arm.
»Aber komm mit. Wir setzen uns am Weiher auf das Bänkchen und gönnen uns eine kurze Pause.«
Elisabeth nickte und die beiden liefen zum Weiher hinüber. Unter einem großen Birnbaum stand dort eine Holzbank im Schatten und die beiden setzten sich.
»Hier kann uns niemand sehen, wenn wir ein Päuschen machen, gell«, bemerkte Hedwig und schmunzelte.
»So schön habt ihr es hier.« Elisabeth schaute auf den großen Weiher, der auf der anderen Seite von hohem Schilf umrandet war. Am vorderen Ufer, nur ein paar Schritte von der Bank entfernt, war ein Holzsteg, vor dem sich ein paar Enten tummelten. Auf der Wiese um den Weiher herum standen vereinzelt Obstbäume, Libellen flogen über das Wasser und ein Frosch quakte irgendwo im dichten Uferbewuchs.
»Du hast sicher Durst von der Fahrt. Ich hol uns schnell einen Krug Apfelsaft.«
Bevor Elisabeth antworten konnte, war Hedwig aufgestanden und lief ins Haus. Während sie etwas zu trinken holte, blickte Elisabeth auf den Weiher hinaus. An manchen Stellen sah sie Fische, die an der Oberfläche nach Mücken schnappten. Elisabeth waren alle Leute in Ernatsreute bekannt, doch nur wenige kannte sie gut. Zu denen zählte an erster Stelle Hedwig. Sie war Elisabeth eine gute Freundin und mit ihr konnte sie über fast alles reden – auch über ihre Heilmethoden. Dann war da noch Johanna Biehle, mit deren Mutter sie bereits befreundet gewesen war. Nach einem Schwatz mit Hedwig wollte sie zu den Villingers fahren und Sofie mitteilen, dass sie das Mittel gegen die Kopfschmerzen bald fertig habe. Den dritten Korb hatte Elisabeth für die Biehles hergerichtet. Dort wollte sie Johanna einen Besuch abstatten und fragen, wie es ihr mit der Schwangerschaft ging. Bis sie all diese Bekannten besucht hatte, würde es spät am Nachmittag sein, dachte sie sich. Danach würde sie zurück zum Vrenenhof fahren und wieder nach Kilian sehen. Vielleicht konnte sie ihm dann endlich die vielen Fragen stellen, die sie seit seiner Ankunft beschäftigten. Elisabeth hing ihren Gedanken nach, bis Hedwig mit der Erfrischung zurückkam.
»So, jetzt trinken wir erst einmal was.«
Hedwig drückte Elisabeth ein Glas in die Hand und schenkte ein. »Wie geht es deinem Adam?«
»Dem geht es gut. Du kennst ihn ja. Er ist viel im Wald unterwegs, dort fühlt er sich einfach wohl.«
Hedwig nickte lächelnd. »Ich sag es ja, unsere Männer eben. Ständig sind sie unterwegs.«
Sie setzte sich neben Elisabeth und die beiden tranken einen Schluck.
»Aber ich bin auch nicht ganz unschuldig, dass er ständig im Wald ist«, erklärte Elisabeth. »Grad heute Morgen habe ich ihn losgeschickt, weil er mir eine Kreuzspinne suchen muss.«
Hedwig setzte im Trinken ab und blickte Elisabeth verwundert an. »Eine Kreuzspinne? Braust du wieder ein Mittel zusammen?«
Elisabeth lächelte und begann zu erzählen. »Na ja, ein Mittel wird es nicht direkt. Die Spinne muss bei hohem Fieber am Hals als eine Art Amulett getragen werden – und zwar lebend. Ich habe einen jungen Mann bei uns in der Stube, der sie dringend braucht.«
Hedwig wurde neugierig. »Ein junger Mann? Wie ist der denn zu euch gekommen und warum?«
»Es war vorgestern am späten Abend, als er schwer verletzt zu uns kam«, erzählte Elisabeth. »Ich saß in meinem Kräuterzimmer, als ich draußen ein lautes Kratzen am Fensterbrett hörte. Irgendwie war ich mir sicher, dass es kein Tier war, und wie ich draußen nachgeschaut habe, lag er bewusstlos da. Ein junger Kerl, vermutlich ein Handwerksbursche, dem Aussehen nach, der eine schwere Verletzung am Kopf hat. Kilian heißt er, mehr weiß ich bis jetzt nicht. Adam und ich haben ihn gleich darauf in die Stube auf das Sofa getragen und ich habe erst einmal seine Wunde versorgt. Später kam das Fieber. Die hohen Temperaturen haben wir durch Wadenwickel und ein Kräuterpflaster gesenkt, doch um das Fieber ganz zu kurieren, braucht er nun das Amulett mit der Kreuzspinne.«
Hedwig war von den Neuigkeiten völlig eingenommen und löcherte ihre Freundin weiter.
»Aber warum war der junge Mann verletzt? Und warum ist er denn zu euch gekommen?«
»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Elisabeth.
»Hast du ihn nicht gefragt?«
»Kilian war am ersten Abend, als wir ihn gefunden hatten, ohnmächtig«, erklärte Elisabeth. »Danach war er eingeschlafen und seither plagt ihn das Fieber, sodass er völlig verwirrt komische Sachen erzählt. Er sprach etwas von einem Mann, der sich hinter dem Vorhang in meiner Stube versteckt, und von einem Schäferwagen. Wie soll man ihn da nur fragen? Da muss sich erst einmal das Fieber bei ihm legen.«
Hedwig nickte verständnisvoll. »Aha. Dann bin ich aber gespannt, was du mir das nächste Mal erzählst. Es ist schon eine seltsame Geschichte.«
»Ja, ich komme gerne wieder vorbei, sobald ich mehr darüber weiß«, versprach Elisabeth.
»Und jetzt gehst du gleich zu ihm zurück?«, wollte Hedwig wissen.
»Nein, ich gehe zuerst zur Villinger Sofie.«
»Zu den Villingers?«, fragte Hedwig. »Wie kommst du denn zu denen?«
»Die Sofie hat schon längere Zeit abends starke Kopfschmerzen und deswegen war sie vor ein paar Tagen bei mir. Ich habe ein Mittel für sie, aber das ist noch nicht ganz fertig. Deswegen wollte ich kurz bei ihr vorbeigehen, dann kann ich schauen, wie es ihr geht, und sagen, dass das Mittel fast fertig ist.«
»Und warum dauert es so lange, bis das Mittel für die Sofie fertig ist?«
»Mir fehlt eine Zutat. Eine Fledermaus«, antwortete Elisabeth.
Hedwig sah ihre Freundin erneut erschrocken an. »Eine Fledermaus? Wieso um Gottes willen brauchst du eine Fledermaus dazu?«
»Das