Nähe.”
“Nun, ich bin... etwas irritiert...”
“Wenn meine Bemerkung etwas feindselig geklungen haben sollte, dann ist das durchaus zutreffend.”
“Wie?”
“Ich mag Sie nämlich nicht. Sie verkörpern das, was ich ablehne: Selbstgerechtigkeit und eine Gleichgültigkeit dem Recht gegenüber, die für Ihren Berufsstand eine Schande ist.”
Sie sah ihn erstaunt an. “Wieso haben Sie mich zum Essen eingeladen, wenn Sie mich nicht leiden können?”
“Dazu kommen wir noch. Lassen Sie es sich bis dahin weiter schmecken. Und trinken Sie Ihr Glas leer! Dass ich nicht mit Ihnen angestoßen habe, bitte ich zu entschuldigen, aber es hat seine Gründe.”
“Sie haben mich in dieses teure Restaurant eingeladen, um mich zu beschimpfen? Ich dachte... Ist auch egal!”
“Sie sind eine bestenfalls mittelmäßige Begabung. Aber Sie haben große Pläne und sind sehr ehrgeizig. Mittelmäßig begabte Menschen fühlen sich zu echten Genies mitunter hingezogen und das ist bei Ihnen in Bezug auf mich zweifellos der Fall”, sagte Förnheim. “Deswegen haben Sie sich auch von mir einladen lassen. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber den Appetit kann ich Ihnen ja nicht mehr verderben. Sie haben ja schon gegessen.”
“Vielleicht sollte ich jetzt einfach gehen...”
“Nein, das sollten Sie nicht. Denn dann erfahren Sie weder, warum ich Sie trotz meiner Abneigung eingeladen habe, noch was in Kürze mit Ihnen passieren wird.”
“Was?”
“Und Sie erfahren nicht, was ich über Sie herausgefunden habe.”
“Hören Sie...”
“Luigi, bringen Sie mir die Flasche?”, rief Förnheim. Der Kellner kam herbei und stellte eine Flasche auf den Tisch. Sie war halb leer. “Danke sehr”, sagte Förnheim.
“Bitte sehr.”
Der Kellner verschwand wieder.
Förnheim deutete auf die Flache. “Da war der Wein drin, den Sie heute getrunken haben. Meinen Hinweis, dass das hier in diesem Lokal mit dem Wein einschenken etwas anders gehandhabt wird, als normalerweise üblich, haben Sie ja klaglos akzeptiert - auch wenn ich Sie, wie ich jetzt zugeben muss, etwas angelogen habe.”
“So?”
“Ich habe Luigi gebeten, den Wein umzufüllen - in diese Flasche. Die Hälfte haben Sie getrunken. Ich trinke ja nur Wasser.”
“Würden Sie mir vielleicht mal erklären, was das alles soll?”
“Sehr gerne. Sie haben sicher bemerkt, dass dies keine Weinflasche ist.”
“Ja, das sieht man auf den ersten Blick.”
“Genau so eine Flasche hat man einem gewissen Mario Rugowski in den Hintern gesteckt. An den Verletzungen ist er gestorben.”
“Jetzt ist Schluss”, sagte sie. “Ich will nichts mehr hören!”
“Ich entnehme Ihrer Reaktion, dass der Name Mario Rugowski Ihnen etwas sagt. Es hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Schließlich haben Sie ihn ja auf dem Gewissen. Und wenn Ihnen die Gerechtigkeit so wichtig wäre, wie Sie immer behaupten, dann müssten Sie eigentlich jeden Tag an ihn denken.”
Sie schluckte. Wurde rot.
Friedrich G. Förnheim lächelte zufrieden.
Und eiskalt.
“Was wollen Sie von mir?”, fragte sie.
“Mit Ihnen über den Fall Rugowski sprechen. Sie haben ihn auf dem Gewissen. Er soll sich an Kindern vergangen und sie umgebracht haben. Sie waren von seiner Schuld überzeugt und haben für seine Verhaftung gesorgt.”
“Die Beweise waren erdrückend.”
“Die Beweise, die Sie gefälscht und manipuliert hatten!”
“Er wäre sonst wieder rausgekommen!”
“Sie haben auch dafür gesorgt, dass seine Mitgefangenen wussten, weswegen er verhaftet worden war. Und Sie haben dafür gesorgt, dass das mit der Einzelhaft organisatorisch nicht so richtig geklappt hat. Sie dachten wohl, Sie bekommen doch noch ein Geständnis...”
“Ach, kommen Sie!”
“Sie wissen, dass es so war. Und ich weiß es auch. Dumm nur, dass die Sache aus dem Ruder lief. Und genauso dumm, dass dieser Mann völlig unschuldig war, wie sich später herausstellte. Er hatte mit den toten Kindern nichts zu tun.”
“Haben Sie sich nie geirrt, Herr Förnheim?”
Er sah sie gerade an. “Nein”, sagte er mit Bestimmtheit. “Und damit das so bleibt, arbeite ich mit höchster Sorgfalt und lasse mich nicht von vorgefassten Meinungen beeinflussen. Ich bin ein Fanatiker der Gerechtigkeit und der Wahrheit.”
Sie lehnte sich zurück.
Ihr Mund verzog sich spöttisch.
“Und was gedenken Sie, jetzt zu tun? Mich anzuzeigen - wegen was auch immer?”
“Nein.”
“Nein?”
“Nein, denn das werden Sie selbst tun.”
“Wie bitte?”
“Wenn die inneren Schmerzen zu groß werden. Dann werden Sie sich selbst anzeigen. Diese inneren Schmerzen werden bei Menschen mit einem Gewissen durch das Gewissen verursacht. Man nennt diese Schmerzen deswegen auch Gewissensqualen. Sie hingegen sind frei davon. Sie haben kein Gewissen. Sie wollten diesen unschuldigen, geistig etwas zurückgebliebenen Mann einfach nur benutzen, um sich selbst beruflich in Szene zu setzen. Daher musste ich in Ihrem Fall etwas nachhelfen, was die inneren Schmerzen angeht.”
“Jetzt wird es wirklich eigenartig, was Sie so reden”, sagte sie. “Wollen Sie mich etwa erpressen?”
“Sehen Sie, diese Aussage von Ihnen zeigt, wie unterschiedlich wir denken. Sie können sich anscheinend gar nicht vorstellen, dass jemand an nichts anderem, als an der Wahrheit und der Gerechtigkeit interessiert sein könnte. Das ist völlig außerhalb Ihrer Vorstellung.” Er deutete auf die Flasche. “Wollen Sie noch einen Schluck aus dieser Flasche?”
“Ich glaube, mir ist der Appetit vergangen.”
“Sehen Sie, wenn ich einem anderen Milieu entstammen würde, dann hätte ich Sie vielleicht entführt, in irgendeine einsame Lagerhalle gebracht, Ihnen eine Pistole vor den Kopf gehalten und Ihnen diese Flasche gegeben und gesagt: Ich will sehen, dass Sie sich diese Flasche so tief reinstecken, wie man es bei Rugowski getan hat. Dann lasse ich Sie vielleicht am Leben!”
“Was Sie sagen, ist pervers!”
“Nicht perverser als das, was Sie getan haben.”
“Ich habe nichts getan!”
“Nein stimmt, Sie haben dafür gesorgt, dass es andere es tun. Sie hätten sich im übrigen die Körperöffnung aussuchen können. Diese Wahl hatte Rugowski nicht.”
“Ich gehe jetzt”, sagte sie. “Das nimmt mir alles jetzt einen zu... eigenartigen Verlauf.“
“Dann wollen Sie gar nicht wissen, für welche Möglichkeit ich mich stattdessen entschieden habe? Denn Sie haben völlig Recht, die Möglichkeit, die ich Ihnen gerade als halbwegs gerechte Alternative geschildert habe, würde nicht meinem Niveau entsprechen. Sie würden auch nicht lange genug leiden. Und davon abgesehen würde ich Sie der Möglichkeit berauben, sich noch selbst anzuzeigen und auf den Weg der Wahrheit und der Gesetzlichkeit zurückzufinden.”
Sie war blass geworden.
“Sie wollen mir drohen?”
“Nein,