René Buchholz

Falsche Wiederkehr der Religion


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      René Buchholz

      Falsche Wiederkehr der Religion

      René Buchholz

      Falsche

      Wiederkehr

      der Religion

      Zur Konjunktur des Fundamentalismus

      echter

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

      1. Auflage 2017

      © 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg

       www.echter.de

      Umschlag: Peter Hellmund (Bild: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ von Francisco de Goya, © Landesmuseum Hannover)

      Satz: Hain-Team (www.hain-team.de)

      ISBN

      978-3-429-04354-4

      978-3-429-04917-1 (PDF)

      978-3-429-06337-5 (ePub)

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

       Inhalt

       Einleitende Bemerkungen

       1. Der strittige Kontext des Themas:postreligiöse oder postsäkulare Gesellschaften?

       a) Antiquiertheit der Säkularisierungsthese?

       b) Wissenschaft, Emanzipation und Religion

       c) Zerfall religiöser ‚Zivilisationen‘

       d) Säkularisierung, Märkte und die Persistenz der Religion

       2. Was ist Fundamentalismus?Keusche Annäherung an ein hässliches Phänomen

       a) Christliche Copyrights: ein starkes Fundament zur Abwehr des verführerischen Gegners

       b) Entwicklungen in Judentum und Islam

       c) Warum Sarah nichts zu lachen hat: die fundamentalistische Petrifizierung des Genderverhältnisses

       d) Definitionsversuche

       3. Der Hörer des autoritären Wortes:das Individuum im Augenblick seines Sturzes

       a) Vorüberlegungen

       b) Postdemokratische Moderne

      c) Individualisierung als Sturz des Individuums.

      d) Die lebensweltliche Evidenz des Autoritären ….

       4. Religion für die Infantilgesellschaft Die zwei Modi fundamentalistischer Regression …

       a) ‚Soft religion‘: die kulturindustrielle Produktion religiöser Aura

       b) ‚Strong religion‘: die Apotheose des Befehls und die Lust an der Unterwerfung

       c) Zerstörung der Religion im Zeichen ihrer Renaissance

       5. Die Erfindung des Glaubens oder:Der Rückzug in die ‚sturmfreie Zone‘

       a) Liaisons dangereuses: fundamentalistische Versuchungen von Kirche und Theologie

       b) „… daher ist der Zweifel ausgeschlossen“: Kierkegaard, Bultmann und die Flucht in die Entscheidung

       6. „Religion für Erwachsene“ (E. Levinas)

       a) Monotheistische Aufklärung: die Alternative zur Alternativlosigkeit

       b) Kein Opium bitte! Der nüchterne Bundespartner Gottes

       Bibliographie

       Anmerkungen

      „Das Übel gedeiht nie besser,

      als wenn ein Ideal davorsteht.“

      Karl Kraus

       Einleitende Bemerkungen

      El sueño de la razon produce monstruos. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer; die bekannte Radierung Goyas (1797/98)1 ist zur Mahnung der Aufklärer geworden. Bild und Titel lassen sich allerdings nicht auf die schlichte Dichotomie von Aufklärung/Humanität einerseits und Irrationalität/Barbarei andererseits festlegen. Die Vernunft schläft, aber die Monster kommen nicht etwa von außen, die mangelnde Wachsamkeit nutzend, sondern werden von der Vernunft selbst produziert. Das Organon der menschlichen Orientierung, des autonomen Subjekts und des Fortschritts bringt all das hervor, was der Aufklärung nicht ohne Grund ein Gräuel ist und so oft in der menschlichen Geschichte sein destruktives Potenzial entfaltete. Hat die Vernunft selbst ein Unterbewusstsein, dem all das entsteigt? Ist ihre Überlegenheit bloßer Schein, mehr schlecht als recht kaschierter Schrecken über die irrationalen Abgründe und archaischen Erbschaften in ihr selbst? Denkbar, dass es die Dämonen der Vergangenheit sind, die hier die Vernunft und ihren Träger (den schlafenden Künstler selbst?) heimsuchen als Wiederkehr des Verdrängten. Vielleicht liegt sogar in der kontrollierenden, beherrschenden Gewalt der Rationalität etwas Irrationales, das sich fortschreitend mit der Vernunft entfaltet. Was geschieht, wenn die Vernunft die Contenance verliert?

      Goyas meisterhafte Radierung, welche ursprünglich die Caprichos eröffnen sollte, die, in den Worten Paul Nizons, „in monströsen Angstträumen eine dem Irrsinn verfallene Gesellschaft spiegeln und gleichzeitig den Raum des Irrationalen und Dämonischen aufbrechen“2, entscheidet zwischen diesen Möglichkeiten nicht. Goyas Werk verarbeitet an der Schwelle zur Moderne bereits deren sich abzeichnende Ambivalenz. Nach Spanien gelangt der Fortschritt 1807 im Zeichen des Krieges. Der Export der Freiheit mit Kanonen und Bajonetten durch die Truppen Napoleons bereitet keineswegs ungetrübte Freude. Sie bringen nicht Aufklärung und Reformen in ein politisch hoffnungslos rückständiges Land, sondern Schrecken und Gewalt, als hätten die Menschen unter der Herrschaft des alten Regimes davon nicht schon genug erlebt; in den Desastres de la Guerra findet dies auch seinen künstlerischen Ausdruck.3 Goya bewegte sich zwischen dem spanischen Hof und den Kreisen der stets von der Inquisition bedrohten Aufklärer in Spanien, und in beide, nur schwer versöhnbare Sphären wurde er fast zeitgleich eingeführt. Seine Karriere begann 1773 unter der Protektion des Hofmalers Francisco Bayeus und setzte sich unter dem aufgeklärten Absolutismus Karls III. fort.4 Der bald zum Hofmaler avancierte Goya musste, um zu überleben, „ein feines Gespür haben für das Ränkespiel und das politische Klima“, das in seinem Leben häufig wechselte.5 Nicht immer gelang ihm die Kunst der vorsichtigen Balance oder der klandestinen Subversion wie etwa im Portrait der Familie Karls IV. (1798),6 die ungeschönt dargestellt wird, als wären sie der Unterwelt entstiegen.

      Sind Goyas Monster und Dämonen gebannt, seine Albträume verflogen? Wohl kaum. Angesichts fortbestehender totalitärer und regressiver Tendenzen, die sich im Gewande der Emanzipation ebenso wie der Religion zeigen, scheint die Frage ihre Aktualität nicht verloren zu haben. Die Vernunft scheint auch den Schlaf im Wachen, ja in scheinbar höchster Aktivität zu kennen. Dort, wo sie in den Augen der Strategen und Eroberer ihre stärkste Seite hat, in ihrer instrumentellen Form, produziert sie jene Ungeheuer neu, die zu vertreiben sie sich einst anschickte. Das Ineinander