für den Literaturnobelpreis hochgehandelte Haruki Murakami, der in diesem Buch auch über seine Lauf- und Marathonerlebnisse berichtet.
Ich erfuhr von seiner Motivation zu laufen, die vielen Jahrzehnte, die ihn lustvoll bewegten, bis eines Tages die Lust doch ein wenig schwand. Ich erfuhr, wie es war, als Bestzeiten am Horizont des Denkbaren entschwanden und mit anderen Zeiten man nunmehr vorlieb nehmen musste. Ich fand in Haruki Murakami einen Läufer vor, dem der Wettstreit mit anderen immer gleichgültig war und dass jeder Wettstreit, den jeder Sport trotz alledem auszeichnet, allein mit sich selbst ausgefochten wurde. Das sich messen mit anderen war Haruki Murakami immer gleichgültig gewesen. Eine über Jahrzehnte tragende Trainingsstrategie lernte ich kennen, und dass der Individualsport des Autors Sache ist und Mannschaftssportarten eher nicht, auch das erfuhr ich. Ferner lernte ich, dass Laufen und Schreiben für den Literaten durchaus Verwandtschaften darstellten.
All dies fand ich interessant zu lesen, doch daneben gibt es noch eine ganze Menge anderer Lebensgeschichten, mit denen Haruki, wie ich ihn manchmal in gedanklicher Verbundenheit freundschaftlich anspreche, das Buch füllt. Wir erfahren viel über den Autor Murakami, über sein Leben, wie er zum Schreiben kam, wie sich erste Erfolge einstellten, die Übersetzungsarbeiten von Literatur ins Japanische, von seinen Gastvorträgen, Dozenturen im Ausland, von den Kneipen, die er betrieben hat, und wie er sich irgendwann entschlossen hat, ganz auf die Karte Schreiben zu setzen. Und wir erfahren ganz viel über die Musik, die Haruki Murakami mag und die ihn begleitet durch sein Leben. Und so en passant erfahren wir auch das eine oder andere über seine Einstellung zum Laufen, seine weitergehende Passion, dem Triathlon, über Stürze u.a.m.
Im Grunde ist es weniger ein Buch vom Laufen als vielmehr eine Art Lebensbiografie. So gerne ich dieses Buch damals auch gelesen habe und dadurch viel über den Autor erfahren habe, so ein ganz klein wenig war ich auch enttäuscht, weil mich mehr als die Lebensereignisse und Stationen des Autors seine jahrzehntelangen Lauferfahrungen interessierten.
Murakami nun ist fraglos ein Meister seines Fachs, dem Schreiben, aber ebenfalls nur ein Mitläufer in Sachen Laufen. Mich interessierte gerade nicht, was ein weltbekannter Autor zum Laufen zu sagen hatte. Mich interessierte allein der im Grunde namenlose Läufer, der versprach, vom Laufen zu reden, der aber in großen Bögen abschweifend sein Versprechen nicht so ganz einlöste. Das fand ich schade. Ich war neugierig auf den Namenlosen, in dem ich mich wiederfinden konnte. So kam es, dass mich der Gedanke immer wieder bewegte, selbst ein Buch zum Marathon zu schreiben aus der Sicht eines ebenfalls Namenlosen.
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede, diesen Titel fand ich damals schon und auch heute noch immer sperrig. Mich störte das Fragepronomen, der ganze Satzbau mit der zweifachen Verwendung desselben Verbs; auch das widersprach meinem persönlichen Lesefluss und einer ganz individuell geprägten literarischen Ästhetik, wie ich sie schätze. Und doch war mir von Anfang an klar gewesen, sollte ich einst ein Buch vom Marathon schreiben, das Buch sollte aus dem mir so sperrigen erwachsen, den ich mir auch dann zum Arbeitstitel erwählte. Er machte im Verlaufe des Schreibens dann seine allmähliche metamorphosengleiche Wandlung durch. Immer wieder verschob sich ein Wort, veränderte sich, um doch nicht zu bleiben, bis der Titel ein anderer war und zwischenzeitlich geschrieben stand: Woran ich denke, wenn ich Marathon laufe. Damit war ich auf Zeit zufrieden. Aber auch der stellte sich im weiteren Verlauf nur als Übergangstitel heraus. Irgendwann stand mir klar vor Augen, wie dieses Buch für mich nur heißen kann, denn mehrfach kam es beim Schreiben zu einer sprachlichen Wendung, die da heißt: Wenn ich denn laufe, dann laufe ich. So heißt es nun, das Buch vom Marathon, und ich spüre und weiß – trotz der zweimaligen Verwendung des Verbs laufen – zugleich, so klingt es richtig, nur so soll und darf es heißen.
Eingestanden ist dabei – das sei vorausgestellt –, dass in diesem Buch ich nicht allein mein marathongesättigtes Gedankenkonvolut vorstelle. Am Ende würde weitgehend Nichtssagendes stehen (eben wie zu Beginn erwähnt: nichts Bedeutendes), was Langeweile nur bewirkte. Auch meine Ausführungen werden – wie schon bei Haruki – vom thematischen Kern hier und da mal abweichen, um aber doch immer – wie ich hoffe – dem eigentlichen Thema treu zu bleiben, es mehr konzentrisch umkreisen, als in riesigen Ellipsen, wie es Haruki macht, der nur dann und wann dem Thema nahekommt, um alsbald wieder fortzustreben. Es bleibt demnach immer ein Buch zum Marathon. Also kein Haruki 2 auf fraglos anderem Niveau. Es bleibt immer ein Buch über das Laufen, dessen Beweggründe, die Erschwernisse, die mit dem Laufen verbunden sind, die Freuden, die das mit sich bringt, und das ganz selten nur ... von Gedanken spricht, die sich einfinden, einschleichen ... und die dem Laufen ferne stehen.
Verschiedentlich nenne ich im Buch Trainings- und Wettkampfzeiten. Sie stellen für mich – mit den Worten von Haruki Murakami – ernsthafte Zeiten dar. Manch einer mag über diese Zeiten schmunzeln, andere vielleicht daran scheitern.
Wie kommt man dazu,
sich am Marathon zu versuchen?
Ein Marathon ist ein Marathon ist ein Marathon. So möchte ich mein Buch über das Langstreckenlaufen beginnen. Ein Marathon hat immer 42,195 km, und doch erzählt jeder gelaufene Kilometer im Marathon eine andere Geschichte. Gertrude Stein wusste wohl, warum sie einst den so schönen Satz schrieb: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Keine Rose ist wie die andere, und doch sind es immer Rosen und bleibt die Faszination an der Rose erhalten, selbst wenn die Rose in einer Redundanzschleife sich verlöre: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose usf.
Ist es nicht so ähnlich beim Marathon? Der Marathon, der zunächst wie ein Berg vor einem steht, den erstmals zu bewältigen einem kaum möglich scheint und den man doch angeht, dann das Training zum Marathon, anstrengend und zuweilen von Zweifeln begleitet, endlich die Erstbesteigung mit ihren Höhen und Tiefen, später die weiteren Marathons, bei dem jeder einzelne andere und neue Erlebnisse in Körper und Bewusstsein einschreibt. Also beginne ich: Ein Marathon ist ein Marathon ist ein Marathon.
Verschiedentlich habe ich Bücher über das Laufen eines Marathons gelesen. Oft wird davon gesprochen, dass gerade Männer zwischen 40 und 50 Jahren es sich noch einmal beweisen wollen. (Für Frauen möchte ich hier nicht reden). In der Regel etabliert im Beruf, in einer festen Partnerschaft verbunden, in der Summe gut situiert, suchen sie noch einmal eine große Herausforderung, wo so viele Herausforderungen schon bewältigt sind. Zuweilen wird parallel dazu gern der Gedanke aufgegriffen, dass die Manneskraft ihren Zenit überschritten habe, dass bei aller fraglos stabilen sexuellen Potenz doch alles etwas ruhiger geworden sei und Mann seine Männlichkeit nunmehr auf anderem Felde unter Beweis stellen wolle.
Ich weiß nicht, was ich davon so halten soll. Mir sind diese psychologisch gestrickten Erklärungen allzu oft zu schlicht gestrickt. Am Ende läuft immer alles auf ein Freudsches Drama heraus, bei dem der Sexus und der Phallus allein die Regie führen. Sexualität ist fraglos ein bestimmendes Moment im Leben von Mann und Frau, aber nicht jedes Motiv nimmt seinen Ursprung aus triebgesteuerten und irgendwie unlustig gewordenen Bewegungsaktivitäten im Bett oder muss zwangsläufig daraus resultieren. Ich schließe den sexuellen Einfluss nicht aus, aber er verengt den Fokus doch sehr, er blendet aus. So manches andere verliert man da aus den Augen. Zumindest ist das meine Überzeugung.
Mag der Leser selbst sich ein Bild machen, ob er zwischen Lust und Lauf bei mir eine unlösliche nachvollziehbare Verbindung sieht.
Jahrzehnte ist es her, dass mir zum ersten Mal der Gedanke kam, warum sich nicht mal am Marathon zu versuchen; mein Motiv dazu lag gleichwohl nicht im Unterleib, so jung, wie ich damals war, vor jugendlicher Kraft nur so strotzend und sie gerne jungen Damen offerierend, wenn sie denn mochten.
Als ich dann Jahrzehnte später tatsächlich den Marathon realisierte, war der geistige Urheber dieser Idee ich gerade nicht. Mit abebbendem Mannesstolz hatte also auch da die Sache nichts zu tun.
Ich blicke zurück, als das erste Mal die Idee zum Marathon in mir keimte. Dieser Moment liegt – wie schon erwähnt