Bernhard Weissberg

Wie die Swissair die UBS rettete


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gibt allerdings einen Unterschied: Der erste Fall, die Swissair-Krise, erwischt die Regierung auf dem linken Fuss. Sie ist unvorbereitet, auch weil Bundesrat und Chefbeamte hoffen, dass «die Wirtschaft» ihr Problem selbst löst. Das zweite Mal hingegen, im Fall UBS, sind die Politiker zwar weiterhin passiv, aber die Verwaltung ist inzwischen gerüstet und mehr als gewillt, nicht noch einmal in ein Debakel hineinzuschlittern.

      Beide Unternehmen sind heute kleiner, schlanker – und vor allem erfolgreicher. Die UBS ist dank der Konzentration auf ihre Kernkompetenzen grösster Vermögensverwalter der Welt, die Swiss als Teil der Lufthansa mit zweistelligen Umsatzrenditen der grösste Gewinnbringer im deutschen Luftfahrtkonzern. Beide Firmen wollen sich die führende Stellung nun nicht erkaufen, sondern erarbeiten.

      Zwei Krisen also. Doch wie kommt es überhaupt zu einer Krise? Und vor allem: Wie geht man sie an? Wie kommt man aus ihr heraus? Wer hilft – und wer nicht? Gibt es Netzwerke, die nützen, solche, die schaden? Und fast noch wichtiger: Gibt es griffige Rezepte aus der Geschichte? Oder anders formuliert: Was kann man aus der Geschichte für die Bewältigung von Krisen lernen?

      Diese Fragen standen am Anfang des Buchs.1 Dabei bildeten die zwei Krisen, welche die Schweiz in den Nullerjahren beschäftigten, das Zentrum der Überlegungen: das Grounding der Swissair 2001 und die Rettung der taumelnden UBS im Jahr 2008. Die Schlüsselfrage war, ob es eine Beziehung zwischen diesen beiden Ereignissen gibt, und wenn ja, welche. Anders gesagt: Hat das Grounding der Swissair die Rettung der UBS beeinflusst? Barry Eichengreen ist Ökonom und Politikwissenschaftler. Der Amerikaner lehrt als Professor an der Berkeley-Universität nahe San Francisco. Eichengreen analysierte nach der Finanzkrise das Krisenmanagement. Er zeigt auf, dass sich Handelnde in Momenten, in denen wenig Zeit ist – in Krisen ist das fast immer der Fall –, mit Analogien aus der Geschichte behelfen, dass sie also zum Beispiel auf frühere Krisen zurückblicken, um daraus Lehren zu ziehen. Das alleine allerdings reicht oft nicht aus, sagt Eichengreen. Aber Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft hat der Blick zurück alleweil.

      Dies gilt auch für die zwei hier geschilderten Krisen in der Schweiz, das sei schon jetzt gesagt: Ja, die Swissair-Krise hatte Einfluss auf die Art und Weise, wie die Stabilisierung der UBS angegangen wurde. Aber der Weg dorthin war nicht mühelos und die Schlussfolgerungen nicht immer eindeutig. Um herauszufinden, wie stark der Bezug der Ereignisse zueinander ist, reicht es nicht, die heute zugänglichen Akten zu studieren. Es braucht den Zugang über mündliche Quellen, über die Nacherzählung von Beteiligten. Sechs von ihnen waren bereit, Auskunft zu geben. Andere der damals Handelnden wollten die Zeitreise zurück nicht mitmachen. Der Dank gilt deshalb den sechs Herren, die sich der Erinnerung stellten. Zwei waren bei beiden Ereignissen in massgeblichen Rollen mit dabei: Peter Kurer, Anwalt und General Counsel der UBS im Jahr 2001 und sieben Jahre später, im Jahr 2008, Verwaltungsratspräsident der Grossbank. Peter Siegenthaler war in beiden Krisen Leiter der Finanzverwaltung der Eidgenossenschaft, also oberster Finanzchef des Bundes. Wichtige Auskunft gaben des Weiteren Alt-Bundesrat Kaspar Villiger, ungewollt mit dabei im Zentrum der Swissair-Krise, und René Lüchinger, der den Untergang der Swissair als Publizist und Chronist ganz nah begleitete. In der UBS-Krise in wichtigen Rollen tätig waren Philipp Hildebrand, damals Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, und Daniel Zuberbühler, Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, der damaligen Aufsichtsbehörde über die Banken und Vorgängerin der heutigen Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma.

      Die Leserinnen und Leser sollten sich bei der Lektüre des Buchs bewusst sein, dass Erinnerungsarbeit – sowohl der Befragten wie des Autors – immer lückenhaft ist. Und nicht nur das: Der Mensch schafft sich seine eigenen Realitäten, rückt sich die Ereignisse im Rückblick oft etwas zurecht, bewusst und unbewusst. Genauso willkürlich ist die Auswahl der vom Autor verwendeten Zitate: Ein anderer Schreiber hätte möglicherweise eine andere Gewichtung vorgenommen. Mir schien sie die richtige zu sein. Weil wir ja in einer Welt der Transparenz leben, finden Sie am Ende des Buchs die Transkripte der von mir geführten Gespräche.2 Damit können Sie sich nochmals ein eigenes, Ihr ganz persönliches Bild machen. Und so können Sie «Ihre» Geschichte lesen – eine besondere Art von Exklusivität. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.

      Prolog

      «Vielleicht», sagt Peter Kurer, «vielleicht würde ich das heute nicht mehr so sagen. Aber wir waren einfach hässig!» Die schlechte Laune des Chefjuristen der UBS kommt an diesem Septemberwochenende im Jahr 2001 nicht von ungefähr. Erstens war es ein langer Tag, die Uhr zeigt schon 1.30 Uhr an. Zweitens hat Kurer noch nie in seinem langen Berufsleben ein solches Tohuwabohu an Zahlen und Fakten erlebt. Und drittens provoziert ihn Roche-Manager und Economiesuisse-Präsident Andres Leuenberger mit einem herablassenden Spruch über die Banken. Da verliert der ansonsten sehr kontrolliert auftretende Jurist in Bankdiensten seine Fassung und kanzelt den Wirtschaftsmann ab: «Ich wäre an einem Wochenende auch gerne anderswo als hier, um eure Probleme zu lösen!» Die «Probleme» sind gross in diesen Herbsttagen des Jahres 2001. Die «nationale Airline» Swissair steht vor dem Ende. Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001, seit «9/11», geht nichts mehr am Himmel, und am Boden schaut der amtierende Swissair-Chef Mario Corti verzweifelt zu, wie das Geld von seinen Konten verschwindet.

      Nun sollen Kurer und dessen Chef, UBS-Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel, helfen, die Airline zu retten. Doch die Menge Geld, die vonnöten ist, wird immer grösser. Bald spricht man von einem zweistelligen Milliardenbetrag. Die UBS-Männer haben null Lust, sich um diesen Scherbenhaufen zu kümmern. Denn erstens haben ihn andere verbockt. Zweitens gehört zu diesen «anderen» der Chef der Konkurrenz, nämlich Lukas Mühlemann, CEO der Credit Suisse (CS). Und drittens haben sie die Verantwortlichen seit mindestens einem halben Jahr vor diesem Fiasko gewarnt.

      Was Peter Kurer in diesem Moment nicht weiss: Man kann zwar recht haben, muss aber nicht unbedingt recht bekommen. Eine Woche später werden er und seine Bank als die «Bösen» in diesem Spiel wahrgenommen werden.

      Doch beginnen wir von vorne: Es ist ein Buchhalter, der den UBS-Mann Peter Kurer Ende September 2001 in diese Notlage treiben wird. Nicht, dass dieser das so gewollt hätte. Die Pläne des Zahlenfetischisten treiben nicht alleine Kurer, sondern viele andere zur Verzweiflung. Es sind die Ereignisse, die zur wohl prominentesten Pleite der Schweiz führen werden.

Das Grounding der Swissair

      Der Zahlen-Riese

      Philippe Bruggisser sieht nicht aus wie der typische Spitzenmanager. Die Figur hochgeschossen und überschlank, das Gesicht länglich, die Augen versteckt hinter einer dezenten Brille – hier kommt eher ein Buchhalter daher als ein geborener Leader. Als er 1997 CEO der Swissair wird, nimmt ihm denn auch nicht gleich jeder die neue Rolle ab. Die Medien schreiben über den neuen Chef, er sehe aus wie ein «Durchschnitts-Schweizer», sie mäkeln über den ehemaligen Controller, er sei «kühl, unnahbar und undiplomatisch», seine Sitzungen glichen Befehlsausgaben, sogenannt weiche Themen, Gefühlsäusserungen oder intuitive Einschätzungen seien unerwünscht.

      Bruggisser selbst, Sohn eines Aargauer Strohhutfabrikanten, sagt zur Kritik nur, er sei «nicht hier, um beliebt zu sein».3 Der Aargauer, mittlerweile 49 Jahre alt, wollte eigentlich Lehrer werden, studiert aber nach der Ausbildung am Seminar in Wettingen Wirtschaft und Recht in Basel und Genf, kommt via eine Grossbank 1979 zur Swissair und kümmert sich dort vor allem um die Zahlen, zuerst als Controller, dann als Finanzchef Nordamerika. Wie tüchtig er als Chef sein kann, beweist er, als er die Beteiligungsgesellschaften der Airline übernimmt und dabei die für die Dualstrategie wichtigen Nebengeschäfte – also alles, was nicht mit dem Flugbetrieb direkt zu tun hat – erfolgreich saniert und rentabel macht. Alle anderen im Unternehmen denken zu Beginn, das sei ein Himmelfahrtskommando und werde damit enden, dass Bruggisser diese Nebengeschäfte wird abstossen müssen. Das liebt dieser Bruggisser: aussichtslose Lagen wenden, an den eingeschlagenen Weg glauben: «Ich lebe für die Aufgabe, die mir übertragen wurde.» Ja, Bruggisser ist ein Chrampfer, er stürzt sich in die Sache, die sich für ihn meistens in den Zahlen spiegelt. Da ist er zu Hause, nicht in der Gefühlswelt. Für diese ist er offensichtlich weniger