Dieses Buch erzählt die Geschichte eines solchen Unternehmens: Im abgelegenen Einsiedeln in den Schweizer Voralpen nutzte die Familie Benziger die ökonomischen Chancen des allgemeinen religiösen Aufschwungs und baute – sozusagen im Windschatten der ultramontanen, sich am Papsttum orientierenden Bewegung – einen transnationalen katholischen Medienkonzern mit Absatzgebieten in ganz Europa, Nord- und Südamerika auf. Die Publikation untersucht die Geschichte des Benziger Verlags aus verschiedenen Blickwinkeln. Die wechselseitigen Beziehungen zum lokalen Umfeld – in den Wirtschaftswissenschaften oft verkürzt «Standort» genannt – werden genauso in die Untersuchung einbezogen wie die internationale Expansion des Unternehmens mit ihren Voraussetzungen und Folgen, die sich wandelnde Produktion des Verlags genauso wie die Unternehmenskultur und die «Vergesellschaftung» der Verlegerfamilie. Die Leitfragen zielen auf die Katholizität des Unternehmens und der Unternehmer. Was soll das sein, ein «katholisches Unternehmen»? Was lässt sich anhand der Geschichte der Firma Benziger zum viel diskutierten Verhältnis zwischen Katholizismus, Moderne und Unternehmertum sagen? Und welche Rolle spielte ein katholisches Medienhaus wie Benziger bei der «katholischen Mobilisierung»? Die Studie ist thematisch und methodisch zwischen verschiedenen Disziplinen wie der Wirtschafts-, der Sozial- und der Kulturgeschichte angesiedelt; sie bewegt sich zwischen der modernen Religions- und Katholizismusgeschichte auf der einen und der modernen Unternehmensgeschichte auf der anderen Seite. Im Folgenden sollen deshalb einige Argumente aus diesen beiden grossen Forschungsfeldern aufgegriffen und diskutiert werden.
Katholizismus in der Moderne
Die Moderne ist eine religionsproduktive Epoche. Sie hat weltweit zahlreiche neue Religionen und religiöse Bewegungen hervorgebracht, die heute global verbreitet sind.2 Auch traditionelle Religionen wie das Christentum erlebten in der Moderne ein Revival. Auf der evangelischen Seite lassen sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mehrere Wellen religiöser «Erweckungsbewegungen» beobachten, die sich teilweise innerhalb der bestehenden Landeskirchen vollzogen, häufig aber auch zur Gründung von neuen kleineren und grösseren Gruppierungen und Freikirchen führten.3 Auf der katholischen Seite ist ab den 1830er-Jahren ebenfalls eine Intensivierung der Religiosität festzustellen, die in der Ausprägung des Ultramontanismus besonders sichtbar wurde. Die klassische Säkularisierungsthese, die davon ausging, dass Religionen im Fortschreiten der Moderne vollständig verschwinden würden, wird – angesichts der evidenten Bedeutung von Religiosität in der Moderne – heute kaum mehr in dieser Form vertreten.4
Phasen und Übergänge
Die historische Forschung hat verschiedene Indikatoren verwendet, um den Aufschwung der christlichen Konfessionen im 10. Jahrhundert zu belegen und zu beschreiben. Für den Katholizismus als Indikatoren häufig genannt wurden die Zahl neuer Kirchenbauten, die Gründung neuer Orden, Kongregationen oder religiöser Laiengesellschaften, die Anzahl an Konvertiten, die Partizipation der Gläubigen an Wallfahrten und Gottesdiensten oder die Präsenz religiöser Themen auf dem Buchmarkt. Es mag fragwürdig erscheinen, Religiosität quantitativ messen zu wollen. Veränderungen der Kirchen in ihrer Beziehung mit der Gesellschaft und sich wandelnde Praktiken der Gläubigen – kurz: Konjunkturen des Religiösen – dürfen dem Historiker aber nicht gleichgültig sein. Religionen wandeln sich, obschon sie selbst häufig den Anspruch auf eine zeitlose Wahrheit erheben.
In der Geschichte des Katholizismus lassen sich ab 1750 zwei Phasen intensiven Wandels feststellen: einmal zwischen etwa 1760 und 1830 und einmal in den Jahrzehnten um 1960. Die erste Phase prägten die Ideen der Aufklärung, die auch das Feld der Religiosität unmittelbar berührten. Lange wurde übersehen, dass die Exponenten der Kirche aufklärerische Ideen nicht unisono ablehnten. Erst in jüngerer Zeit ist eine Debatte über die katholische Aufklärung entstanden.5 Es gab in den Jahrzehnten um 1800 eine starke Bewegung einer katholischen Aufklärung, die sich nicht nur in theoretischen Reflexionen und Abhandlungen, sondern gerade auch in der kirchlichen Praxis äusserte. Aufklärerisch und antibarock gesinnte katholische Geistliche sahen sich als «Volkserzieher», pflegten den interkonfessionellen Austausch und forderten unter anderem einen stärkeren Einbezug der Gemeinde, neue Bibelübersetzungen und allgemein eine Hinwendung zu den Landessprachen auch in der Liturgie. Die katholischen Aufklärer verloren im Verlauf des 19. Jahrhunderts gegenüber den ultramontan-konservativ gesinnten Katholiken an Gewicht und gerieten schliesslich so weit in Vergessenheit, dass die ökumenischen Bestrebungen in den 1960er-Jahren den meisten Betrachtern als etwas komplett Neues erschienen.6
Die zweite Übergangsphase wird in der Regel mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) assoziiert. Das Konzil war allerdings viel eher Folge als Ursache des gesellschaftlichen Wandels in der Nachkriegszeit, der auch die katholischen Gebiete erfasst hatte. Eine bestimmte Ausprägung der katholischen Kultur verschwand in dieser Phase innerhalb weniger Jahrzehnte beinahe vollständig. Das «katholische Milieu» brach weitestgehend in sich zusammen, die Zahl der Gottesdienstbesucher und der Priesterordinationen ging rapide zurück, die letzten Überbleibsel einer barock-agrarischen Frömmigkeit verschwanden.7
Die Zeit zwischen den beiden Phasen des Übergangs, also zwischen etwa 1830 und 1960, beschreibt die Forschung verschiedentlich als eine Zeit homogener Geschlossenheit und hoher öffentlicher Sichtbarkeit für den Katholizismus. Olaf Blaschke hat für diese Phase den Epochenbegriff «Zweites Konfessionelles Zeitalter» geprägt.8 Diese Etikettierung wurde mit Hinweis auf regionale, zeitliche und auch interkonfessionelle Vielstimmigkeiten von verschiedenen Seiten kritisiert.9 Dass es im 19. Jahrhundert ein Revival der christlichen Konfessionen und ihrer Traditionen – häufig in gewandelter Form und mit neu besetzten Inhalten – gegeben hat, ist allerdings weitgehend unbestritten.
Das Verhältnis des Katholizismus zur Moderne
Wie hat die katholische Kirche auf die Herausforderungen der Moderne reagiert? Ist sie selbst als ein gestaltungsfähiger Akteur in einer modernen Welt zu verstehen oder doch eher eine Überlebende aus vormodernen Zeiten, die den Prozessen der Modernisierung reaktiv ausgesetzt war? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat eine lange Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Im Gesamtfeld der Fortschritts- und Modernisierungstheorien nahm die Religion bis vor wenigen Jahrzehnten eine randständige Position ein. Die meisten Modernisierungstheoretiker interessierten sich primär für Ökonomie und Politik, hingegen kaum für Religion. Umgekehrt interessierten sich Religions- und Kirchenhistoriker nur am Rand für Ökonomie und Politik.10 Dies änderte sich ab den 1970er-Jahren, als weltweit orthodoxe und teilweise fundamentalistische Kirchen sowie religiöse Bewegungen aufkamen, die so gar nicht ins Bild einer fortschreitenden Säkularisierung passten. Plötzlich war von einer «De-Säkularisierung», einer «Wiederverzauberung der Welt» und einer «Rückkehr der Götter» die Rede.11
Zunehmend begannen sich auch Historiker und Sozialwissenschaftler mit religiösen Themen in der Moderne zu beschäftigen.12 Die Hinwendung zum Religiösen geschah allerdings langsam. Noch im Jahr 1989 sah sich Urs Altermatt veranlasst, seinem Buch «Katholizismus und Moderne» ein «Plädoyer für die Sozialgeschichte des Religiösen» voranzustellen. Heute ist die Situation eine andere. Das Feld der Forschungsliteratur zum Thema ist mittlerweile stark gewachsen und unüberschaubar breit geworden. Wir behelfen uns im Folgenden damit, einige Argumente dreier Forscher kurz vorzustellen, die dem Feld seit den 1980er-Jahren wichtige Impulse verliehen haben.
Der Schweizer Historiker Urs Altermatt führte in seinem Buch von 1989 verschiedene seiner in den zwei Jahrzehnten zuvor erarbeiteten Thesen und Themen zusammen. Wie es der Untertitel «Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert» andeutet, ist die Schweiz Altermatts Untersuchungsraum, die er aber in einem internationalen Kontext situiert. Spätere Übersetzungen auf Französisch, Italienisch, Polnisch und Ungarisch zeugen von der Relevanz des Buches über die Schweizer Grenzen hinaus. Zeitlich behandelt Altermatt – mit Vor- und Rückgriffen – die Periode zwischen 1850 und 1950. Damit setzt er sich über gängige Epochengrenzen hinweg und nimmt in gewisser Weise auch die oben erwähnte These eines «Zweiten Konfessionellen Zeitalters» in der Moderne vorweg. Wie es der Titel des Buches andeutet, betont Altermatt