Stefanie Maria Höltgen

Gestalten eucharistischer Anbetung


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versteht es mit einem Mal, sich völlig frei von allen materiellen Bedürfnissen zu machen. Das Begehren nach Genuss und luxuriösem Glanz ist ihm fremd geworden, sogar das Notwendige wird von ihm nach Möglichkeit abgewiesen.

      Auch hier stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dieser gelebten Armut und der eucharistischen Anbetung gibt. Erhält Charles de Foucauld im Akt der Anbetung den Ruf zur radikalen Armut? Ist in der Anbetung des Mönches ein Erkennen zugrundegelegt, das ihm die äußerste Armut abverlangt? In einer Betrachtung über Lk 12,34 schreibt er: „Hüten wir uns, unser Herz an irgend etwas Geschaffenes, materielle oder geistige Güter, Leib oder Seele zu hängen…Machen wir unser Herz leer, leer von allem, was nicht das Eine ist…Nichts soll unser Schatz sein außer Gott!“87. Dieser Satz macht anschaulich, um was es Foucauld eigentlich geht: Die Armut muss eine ganzheitliche sein. Es genügt nicht, auf finanziellen Besitz zu verzichten oder dauerndes Fasten zu üben. Das Herz muss wirklich leer werden, leer von allem, das der Fülle Gottes im Wege stehen würde88. Diese Fülle aber – das „Eine“ – ist nicht bloß ein abstrakter philosophischer Begriff, sondern eine Wirklichkeit, der Foucauld im eucharistischen Brot wahrhaftig begegnet. Foucauld weiß nicht nur um die allen Raum umfassende Bedeutung des Begriffes Gott, sondern er erfährt dessen Fülle als real gegenwärtig in der heiligen Eucharistie: „Aber die beste, die wahre Unendlichkeit, der wahre Friede ist zu Füßen des göttlichen Tabernakels. Dort ist unser ganzes Gut, nicht nur bildlich, sondern in Wirklichkeit; unsere Liebe, unser Leben, unser Alles, unser Friede, unsere Seligkeit; dort ist unser ganzes Herz und unsre ganze Seele, unsre Zeit und unsre Ewigkeit, unser Alles“89.

      Das Außergewöhnliche jedoch ist, dass Charles die in der Eucharistie anwesende Fülle Gottes aus der Erniedrigung des Gottessohnes heraus sieht. Das Allerheiligste offenbart den hinabgestiegenen Jesus, der in der Armut eines Zimmermannes aus Nazareth unter den Menschen gelebt hat und sich aus Liebe zu ihnen vollkommen hingegeben hat. In der Unscheinbarkeit des Brotes erkennt er auch dessen Armut, die die Gefahr birgt, dass man jenes Brot, das das Heil der Welt ist, zu schnell übersieht. Foucaulds gelebte Armut kann mitunter als ein – wenn nicht sogar als das – Zeichen seiner Erfahrung des hinabgestiegenen Sohnes angesehen werden. Vor dem Allerheiligsten erkennt er die reale Gegenwart Jesu Christi und – und das ist der Schlüssel seiner Wahl – er erfährt die ihm geschenkte Liebe des Gottessohnes. Diese Liebe aber will mit aller Kraft erwidert werden, und wieder ist es die Gleichgestaltung mit dem Geliebten, die notwendig aus der bejahenden Antwort auf die Liebe Jesu folgt: „Armut! Die Armut von ganzem Herzen umarmen. Der Reichtum ist nicht nur ein lästiges Gepäckstück, sondern auch eine Gefahr: er läßt sich schwer mit der vollkommenen Liebe zu Gott, zu Jesus vereinen, weil er der Nachahmung Jesu gerade entgegengesetzt ist“90. Foucauld bringt diesen Verzicht auf, weil er sich letztendlich nicht arm weiß. In der Entsagung des Reichtums der Welt steckt ein Ja zur Liebe Gottes, die allen endlichen Reichtum übertrifft. So kann Foucauld schon während seiner irdischen Geschichte in der eucharistischen Anbetung teilhaben an der ihn nach dem Tode erwartenden Fülle Gottes, die allein genügt. Die Anbetung bringt ihn schon jetzt antizipativ in die versprochene endgültige Nähe Gottes. Man könnte mit Heidegger sagen, es beginnt ein Vorlauf auf den Tod, den Foucauld äußerlich vorwegnimmt, indem er sich schon jetzt allen irdischen Gütern entzieht, sich vollkommen arm und leer macht, um wie im Tod mit nichts als leeren Händen vor Gott zu stehen. Der Tod kann so als die letzte, vollkommene und ewige Kommunion bezeichnet werden, in dem das Bei-Gott-Sein des Anbetenden seine unbedingte und äußerste Form annimmt. Stets bereit sein zu sterben und stets bereit sein zu kommunizieren – das Angebot Gottes zu bejahen –, ist ein und dasselbe. Dass diese vorläufige Teilnahme, der vollkommene Verzicht, immer nur rudimentär bleiben wird, ist Charles de Foucauld bewusst, ist er doch zum Beispiel nicht in der Lage, alle Geschenke der Nonnen abzulehnen. Daher ist die wirkliche Armut, auf die es ankommt, die Armut des Herzens. Diese verwirklicht sich zwar in der konkreten, materiellen und also äußerlich sichtbaren Armut, doch bleibt sie immer nur eine Folge der eigentlichen Armut des Herzens: „Armut. Im Geist auf alles verzichten, im Herzen von allem losgelöst sein, arm im Geist sein, leer von aller Anhänglichkeit, all das ist unerlässlich, wenn man Jünger Jesu sein will…Materiell auf alles verzichten, materiell arm sein, das ist der notwendige Ausgangspunkt sowohl für die Armut im Geiste als auch für die Nachfolge Christi“91.

      Dieser Schwerpunkt auf der Armut des Herzens bewirkt ebenfalls, dass Foucauld nicht dahin geht, die Armut zu verherrlichen oder gar als Anspruch an alle Menschen zu universalisieren92. Im Gegenteil: Gerade in der eucharistischen Erfahrung des alle Menschen liebenden Jesus Christus wird Foucauld die Erkenntnis zuteil, dass aus diesem Geschenk nicht nur die Gottesliebe, sondern auch die Nächstenliebe folgen muss. Eine Nächstenliebe, die verwirklicht werden will, die die Liebe Gottes und seine Sorge um die Menschen auch mittels der Hilfe materieller Güter sichtbar macht. Diese Konsequenz der liebenden Sorge um die Mitmenschen wird Foucauld vor allem in seiner späteren Zeit bei den Tuareg zum Anspruch werden und dazu führen, dass er sich selbst auch in jeglicher Aktion, in allem Tun, leer machen wird; damit er fähig wird, sich selbst aufzuopfern für seinen Nächsten.

      Charles de Foucauld genügt der Reichtum, den er im Tabernakel vorfindet93. Ihm gegenüber werden alle anderen Güter bedeutungslos und verzichtbar. In ihm findet er alles, was er braucht: die ungeheure Fülle Gottes, die Gnade seiner Nähe. Dieser Reichtum, mit dem er sich unendlich beschenkt weiß, befähigt ihn zur materiellen Armut: „Laßt uns nicht Sättigung in den Dingen dieser Welt suchen, weder in materiellen Gütern noch in sinnlich wahrnehmbaren, noch in geistigen Gütern: nicht in irgendeinem Geschöpf noch in irgend etwas, was nicht Gott ist. Je leerer wir sind von allem, was nicht Gott ist, um so mehr können wir von Gott erfüllt und gesättigt werden“94.

      Ein Moment, an dem Foucaulds konsequente Nachahmung Jesu besonders deutlich wird, ist sein Bestreben nach beständiger Selbsterniedrigung. Die Selbsterniedrigung ist im Gegensatz zur Haltung der Demut ein Geschehen. Dennoch ist sie auf engste Weise mit ihr verknüpft: Sowie zur Demut die bewusste Zurücknahme des eigenen Ichs gehört, so ist es auch für ein Leben in Niedrigkeit unerlässlich, sich selbst ganz und gar zu befreien von dem Wunsch, durch große Taten, durch „ein großes Leben“ Selbstbestätigung zu finden. In der Selbsterniedrigung Foucaulds kommt ein weiteres Mal zum Ausdruck, wie wenig er sich für sich selbst engagiert und um wieviel mehr für denjenigen, von dem er alles empfängt. Foucaulds Selbsterniedrigung, die er durch schwere körperliche Arbeit und durch den bedingungslosen Verzicht auf Annehmlichkeiten, wie etwa gute Schuhe, robuste Kleidung, ein weiches Lager etc., erwirkt, darf nicht als masochistische Neigung verdächtigt werden. Foucauld versteht seine Erniedrigung nicht als Bestrafung seiner Sünden. Motivierendes Moment ist allein die radikale Nachahmung Jesu; dessen, der selbst so sehr gelitten hat und dennoch nicht aufgehört hat, die Menschen zu lieben: „Das alles hast Du aus Liebe erduldet, mein Gott, uns zuliebe, um uns zu heiligen, um uns durch den Anblick Deiner unerhörten Liebe zum Lieben zu bringen, uns durch Dein Beispiel zu bewegen, daß wir aus Liebe Leiden auf uns nehmen“95.

      Charles de Foucauld versteht es, Widrigkeiten und Leiden derart hinzunehmen, dass er sie nicht nur geduldig ertragen kann, sondern auch als direkten Beweis seiner Liebe zu Christus aktiv (mit)vollziehen kann. So erzählt Kurt Benesch in seinem biographischen Roman über Charles de Foucauld, dass es sich nicht selten begab, dass Bruder Karl in den Straßen von Nazareth von einigen Halbwüchsigen ausgelacht und verspottet wurde. Obwohl Foucauld um diese Ungerechtigkeit weiß, ist er gleichzeitig voller Freude, dem Herrn in seiner Nachfolge so nahe zu kommen, dass er, wie er, öffentlich gedemütigt und erniedrigt wird96. Auszuhalten, was Jesus zu ertragen hatte, zu empfinden wie dieser, ist für ihn die angemessene Antwort auf die geschenkte Liebe Gottes. Zugleich schämt er sich jedoch auch schon für die empfundene Freude, weiß er doch, dass sie die Vollkommenheit des Kleinseins schmälert.

      Man wird vorsichtig sagen können, Foucauld habe es regelrecht darauf angelegt, Demütigung und Erniedrigung von außen zu empfangen, spricht er doch davon, das Leid suchen zu müssen. Dieses Suchen geschieht jedoch einzig aus dem Motiv der liebenden Nachahmung heraus: „Nicht nur stets danach verlangen, sondern sie in dieser Welt stets suchen, denn sie bilden einen Teil der Ähnlichkeit