auch der Überzeugung, dass die Beherrschung vieler verschiedener Management-Tools nicht genügt: Ich kann kein »wertschätzendes« Feedback geben, wenn ich nicht auch die Wertschätzung geübt habe; ich kann mit dem emotionalen Widerstand, der zu jedem Change-Projekt gehört, nicht konstruktiv umgehen, wenn ich nicht auch die eigenen Emotionen mit innerer Freiheit betrachten kann; ich kann mich auf die zündende Idee meines Mitarbeiters, der mir etwas vorschlägt, was meinen Erfahrungen zuwiderläuft, nicht einlassen, wenn ich nicht eine innere Freiheit eingeübt habe …
Das »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit« ist nach meiner Erfahrung genau das: ein spiritueller Lern- und Übungsweg, in dem ich nach dieser Achtsamkeit suche. Wie zu jedem Üben gehören dazu auch Fehler, aus denen man lernen kann, und auch hier macht erst Übung den Meister.
Aber wird hier nicht – könnte man einwenden – Spiritualität in den Dienst des Managements gestellt, in den Dienst der Gewinnmaximierung? Ist Spiritualität in diesem Sinn nicht nur ein weiteres Mittel der ständigen Selbstoptimierung, zu der jeder Mensch in der Steigerungslogik der Moderne gezwungen ist? Besuchen nicht deshalb Scharen von Managern Meditationskurse und Achtsamkeitsseminare, weil es der Karriere dient, seitdem auch die Wirtschaft entdeckt hat, dass die sogenannten »soft skills« oder »emotionale Intelligenz« (Goleman)2 über den Erfolg einer Führungsperson entscheiden – und zwar umso mehr, je höher diese in der Hierarchie steigt?
Ich halte diesen Einwand für berechtigt: Es widerspricht dem Wesenskern einer Spiritualität, wenn ich sie dazu verwende, nur egoistisch meinen Nutzen zu steigern, wenn ich die größere Sensibilität für Emotionen dafür nutze, andere zu manipulieren etc.
Aber ich betrachte diese Kritik auch gelassen: Meiner Erfahrung nach ringen viele Führungspersonen ernsthaft darum, die Anfordernisse ihrer Aufgaben mit ihren Werten in Übereinstimmung zu bringen. Darum halte ich den oft moralisierenden Unterton solcher Kritik für verfehlt.
Mehr noch aber bin ich davon überzeugt, dass ein konstanter spiritueller Übungsweg sich nicht mit einer egoistischen Grundhaltung vereinbaren lässt: Meditation lässt sich auf Dauer nicht durchhalten ohne eine Haltung der Absichtslosigkeit. Ich kann die »Ergebnisse« einer Meditationszeit nicht machen oder kontrollieren. Auf einem spirituellen Übungsweg begegne ich unweigerlich dem Unverfügbaren, dem Geheimnis dieser Welt und meiner Existenz. Und ich kann nicht in der Meditation die Selbstannahme üben und zugleich auf Dauer Menschen instrumentalisieren. Eine so praktizierte Spiritualität steht immer in einer gewissen Spannung zum Management, bei dem es ja gerade um die Erreichung konkreter Ziele geht und gehen muss. Ich meine aber, dass diese Spannung fruchtbar sein kann für den Führungsalltag: Sie verweist mich in meinem konkreten Führungshandeln immer wieder auf die Frage nach den Werten, an denen ich mich ausrichten will, sie lässt mich die Nicht-Steuerbarkeit komplexer Systeme erfahren3 und aushalten … – und eröffnet gerade so einen Freiraum für ethische Fragen und eine persönliche Entwicklung. So verstanden, ist Spiritualität ein Weg zu einem effektiven, effizienten und ethischen Führungshandeln: eine Kultur der Wertschätzung z. B. trägt positive Früchte für eine Organisation, egal ob Bank oder Wohlfahrtsverband. Aber in der Meditation zeigt sich schnell von selbst, ob ich wirklich wertschätzend bin oder nur aus taktischen Gründen so tue.
Ebenso könnte man einwenden, dass Spiritualität wichtig sein mag für eine Führungsfunktion in einer Kirche, vielleicht auch noch in einer sozialen Einrichtung oder einer anderen Non-Profit-Organisation, aber sicher nicht in einem politischen Amt oder in der Wirtschaft. Nun ist mir klar, dass sich meine Erfahrungen im »Unternehmen Kirche« nicht einfach übertragen lassen auf ganz andere Bereiche. Aber so ungleich die Kulturen in den verschiedenen Organisationen sein mögen, so sehr ähneln sich doch die Fragen und Herausforderungen, vor denen Führungspersonen stehen: Mitarbeiterführung, Konfliktbearbeitung, Projekt- und Changemanagement usw.
Indem dieses Buch den Fokus auf Haltungen richtet, hat es notwendigerweise eine »individualistische Schlagseite«. Für den Erfolg einer Organisation sind aber zweifellos nicht Einzelne, und seien sie noch so hervorragende Führungspersonen, verantwortlich, sondern die Unternehmenskultur. Dennoch halte ich den Ausgangspunkt für gerechtfertigt: Kulturen werden von Menschen geprägt und Führungspersonen tragen die Hauptverantwortung für die Kultur einer Organisation. Eine »Vertrauenskultur« z.B. muss von der oder den Führungspersonen vorgelebt und verkörpert werden. Vertrauen als Haltung aber muss gelernt, in Enttäuschungen immer neu bewahrt und mit Realismus verbunden werden: Das ist meines Erachtens ein spiritueller Weg. Über diesen grundsätzlichen Fokus auf die Einzelperson hinaus sollen aber immer wieder Hinweise gegeben werden, wie diese Haltungen in die Kultur eines Teams oder einer Organisation eingebracht werden können. So mögen meine Erfahrungen und Gedanken jenen mehr nützen, die in ähnlichen Betriebskulturen arbeiten wie ich. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie allen Führungspersonen Anregung sein können.
Schließlich schreibe ich dieses Buch als gläubiger Christ. Ich stehe mit meinen Erfahrungen in einer bestimmten religiösen und spirituellen Praxis und Tradition. Und ich schätze den Reichtum und die Vielfalt dieser Tradition überaus. Weil dieses Buch aber auch Menschen nützen soll, die sich selbst nicht in der christlichen Tradition sehen, verzichte ich bewusst auf Texte, Gebete, ausdrückliche Bezüge zur Bibel usw. So lieb und teuer sie mir als Teil meiner persönlichen Spiritualität sind, so habe ich volles Vertrauen, dass es solche Texte, Gebete, Rituale auch in anderen religiösen oder weltanschaulichen Kontexten gibt. Das »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit« ist Teil einer bestimmten religiösen und spirituellen Tradition, darüber soll in diesem Buch in keiner Weise hinweggegangen werden. Darum behalte ich auch die im deutschen Sprachraum üblich gewordene Bezeichnung als »Gebet« bei. Aber es enthält eine spirituelle Weisheit, die weit über die christliche Tradition hinaus fruchtbar sein kann. Eine Einschränkung allerdings muss ich machen: Nach meiner Überzeugung »funktioniert« der hier vorgeschlagene Übungsweg nur dort, wo ich an eine Wirklichkeit glaube, die größer ist als ich, die mein Leben und diese Welt trägt und die wohlwollend, »liebend« auf mich, die Menschen, diese Welt schaut.
So werde ich zunächst Ignatius und seine Exerzitien knapp vorstellen. Danach stelle ich drei Haltungen – Achtsamkeit, innere Freiheit und Entschiedenheit – vor, die in dieser spirituellen Praxis eingeübt werden, und entfalte ihre Relevanz für die Führung von Menschen und Organisationen.
Ignatius und seine »geistlichen Übungen«
Iñigo de Loyola4 wird 1491 in einer baskischen Adelsfamilie geboren. Er erhält am spanischen Hof eine militärische und administrative Ausbildung. 1521 werden seine Karriereträume durch eine militärische Verwundung jäh beendet. Auf dem Krankenbett erlebt er eine Bekehrung. Die bisherigen Bilder von Karriere, Ehre und Ruhm lassen ihn innerlich kalt und freudlos; »trostlos« nennt er dies später. Die Vorstellung eines heroischen Lebens nach dem Vorbild der Heiligenlegenden, die er liest, erfüllt ihn hingegen mit Freude, Kraft und Energie: Diese Erfahrung nennt er »Trost«. Hier zeigt sich zum ersten Mal seine Achtsamkeit und Reflexion für die inneren Bewegungen (»mociones«). Mit der ihm eigenen Radikalität sucht er nach seinem Weg der Nachfolge Jesu: Er pilgert nach Jerusalem, er zieht sich in ein abgelegenes Kloster zurück, er fastet so sehr, dass er krank wird – und gerät so in eine tiefe »Trostlosigkeit«. Gerade hier erkennt er aber auch seine Berufung, »Seelen zu helfen«, Menschen spirituell zu begleiten. Als 33-Jähriger drückt er deshalb noch einmal die Schulbank und studiert Theologie in Paris. Dort schart sich schon bald eine kleine Zahl von Gefährten um ihn, die er spirituell mit seinen »geistlichen Übungen«, den Exerzitien,5 prägt und formt. In Paris schreibt er auch eine erste Fassung der Exerzitien nieder, die er später noch weiterbearbeiten wird.
1539 steht die Gruppe von Priestern, deren »spiritus rector« Ignatius ist, vor einer Wegscheide: Viele von ihnen sind bereits an verschiedenen Orten mit wichtigen Aufgaben betraut bzw. im Aufbruch zu solchen; die Gemeinschaft droht auseinanderzubrechen. In dieser Situation nehmen sich die zehn Gefährten drei Monate Zeit für einen Prozess der Beratung und des Abwägens, um zu entscheiden, was ihre Berufung als Gemeinschaft ist.6 Auch in diesem Willensbildungs- und Entscheidungsprozess spielt die Achtsamkeit auf die inneren Regungen eine wichtige Rolle. Nach intensivem Ringen beschließen sie, einen Orden zu gründen, die »Societas Jesu«, die Jesuiten. Ignatius wird ihr erster Leiter. Unter seiner Führung beginnt eine