Alfons Klein

Dem Ungeist widerstehen


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das die Provinz die Archive geöffnet hatte, war die Autorin und Direktorin des Dokumentationszentrums über den Nationalsozialismus bei uns eingeladen. Pater Rupert Mayer hat in den Räumen unserer Kommunität gelebt und einmal dafür gekämpft, dass der Obere ein Bild von Hitler abgehängt hat, und der die Kommunität wohl auch zittern ließ, nach welcher Predigt nicht nur er eingesperrt, sondern die ganze Gemeinschaft aufgehoben würde. – Ich denke, wir leben an diesem Ort in Dankbarkeit, aber auch mit einer ermutigenden Verpflichtung, die oft eine Gewissensfrage an uns ist. – Wenn du in Gesprächen so betonst, dass die Erkenntnis des »Vorkriegs« ein großes Lernergebnis sei, kann man im Blick auf unsere Zeitsituation oft denken: Wir sind schon im Krieg, in vielen Kriegen. Und die Schatten scheinen immer dunkler und bedrohlicher zu werden. Kann noch eine Wende, eine Abwendung geschehen? Wie jemand die Frage auch beantwortet. Eines sagt uns das Evangelium Jesu sicher: »Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter!« (Lk 21,18). Und: Es gibt keine Zeit, in der Menschlichkeit unmöglich wäre, vor allem wenn Menschen sich zusammentun. Es ist jede Zeit eine Zeit zur Umkehr. Es ist immer Zeit zum Lieben. Wen? Und in welchem Geist? Jeden, und zwar grenzübergreifend! Wie es ein weiteres Blatt an deiner Zimmertür verkündet: »Dein Christus ist ein Jude, dein Auto ein Japaner, deine Pizza italienisch, deine Demokratie griechisch, dein Kaffee brasilianisch, dein Urlaub türkisch, deine Zahlen arabisch, deine Schrift lateinisch, dein Nachbar nur ein Ausländer.«

      Danke, Klino!

       Willi Lambert SJ

      1. Warum ich schreibe

       Ist nicht schon genug geschrieben?

      Wie kam es dazu, dass ich trotz anfänglicher Bedenken bereit war, meine Erlebnisse niederzuschreiben? – Mein Widerstand und Zögern, über meine Erfahrungen und Erlebnisse unter dem Hitlerregime zu berichten, sind darin begründet, dass ich keinen Grund dafür erkennen konnte. Ich war der Ansicht, dass schon genug über die Erfahrungen von Menschen im Widerstand gegen Hitler von den Betroffenen selbst oder über sie geschrieben worden ist. Man denke nur an Menschen wie die Mitglieder des Kreisauer Kreises oder Dietrich Bonhoeffer, die Gruppe der Weißen Rose, die im KZ Auschwitz ermordete Jüdin und Karmelitin Edith Stein, Franz Jägerstätter und viele andere mehr, die ihren Widerstand mit ihrem Leben bezahlt haben. Eigentlich ist alles gesagt, um zu verstehen, was da geschehen ist und was daraus gelernt werden sollte, damit es nicht wieder geschieht. Was sollten da noch meine sowohl in der zeitlichen Dauer wie in der Intensität der Auseinandersetzungen mit dem Hitlerregime und deren Folgen nicht vergleichbaren Erlebnisse?

      Ich habe also keinen Grund gesehen, meine Erfahrungen mitzuteilen: Ich habe nicht oft darüber geredet, aber sie haben mich geprägt. Ich habe sicher ganz viele Dinge getan, die ich sonst wohl nicht getan hätte – weil ich etwas Negatives gar nicht als solches erkannt oder weil ich aus Angst vor den Folgen geschwiegen hätte. Schließlich aber sah ich, dass es in meinem Beitrag nicht um eine geistige Auseinandersetzung und Beurteilung der Nazizeit und ihrer Ideologie geht. Es soll einfach mein persönliches Erleben möglichst konkret erzählt werden, damit die Lebendigkeit dieser Erfahrungen für den Leser nicht durch grundsätzliche bzw. abstrakte Erörterungen verlorengeht.

      Eine gewisse Besonderheit meiner Erfahrungen ist wohl, dass ich nicht nur ein Zeitzeuge der Nazidiktatur bin, sondern auch ein Zeitzeuge dafür, dass ein und derselbe Mensch sogar in der Behandlung durch einander feindlich gegenüberstehende Mächte ein Opfer werden kann: Zuerst erlebte ich meine Verurteilung durch ein Nazigericht; dann die irrtümliche Einstufung als ein Lageraufseher im Konzentrationslager Dachau durch einrückende amerikanische Truppen; anschließend die Erfahrung von Rache und Vergeltung und in ein »umgedrehtes KZ« der Amerikaner eingesperrt zu sein. Diese mussten mich und andere Gefangene dann ihrerseits auf Transporten in ein anderes Lager mit vorgehaltener Waffe und durch Warnschüsse vor »Fremd- und Zwangsarbeitern« – meist aus östlichen Ländern – schützen, die uns lynchen wollten; die ehemaligen Zwangsarbeiter sahen in uns »die ehemaligen Sieger«, von denen sie nicht selten unmenschlich behandelt worden waren.

      2. Worauf es ankommt: den »Vorkrieg« erkennen

      »Was hat dich deine Jugendzeit, dein Erleben im Straflager für dein Leben gelehrt; was hast du da gelernt?« So wurde ich gefragt und habe mich selber gefragt. Es ist vieles und Verschiedenes: dass es schön ist, für andere da zu sein; dass der Mensch zu Grausamkeiten fähig ist, die unvorstellbar erscheinen; dass Menschen füreinander ihr Leben hingeben können; dass Gewalttätigkeit an der Kraft des Geistes scheitern kann; dass Gott in Jesus dem Menschen ganz nahegekommen ist. Besonders aber ist in meinem Bewusstsein die Bedeutung ganz stark geworden, kommendes Unheil möglichst zeitig zu bemerken. Darum möchte ich dies allem anderen voranstellen.

       Früherkennung der Anfänge

      Meine Erfahrungen haben mir zur Erkenntnis geholfen, dass es entscheidend wichtig ist, schon in den Ansätzen zu erkennen, wann sich wieder der Ungeist einer Diktatur wie unter Hitler anbahnt. Es geht darum, dann so früh wie möglich reagieren zu können und alles zu tun, damit solch eine »Bewegung« nicht wieder Wurzeln fasst. Es geht also um das Erkennen der Anfänge. Für die Schriftstellerin Christa Wolf ist dies die Frage, woran man erkennen kann, wann »der Vorkrieg« beginnt. Die Regeln zur »Unterscheidung der Geister« bei Ignatius haben genau das zum Ziel: rechtzeitig zu erspüren, ob etwas vom guten Geist kommt oder von einem bösen Geist, auch wenn dieser sich als »Lichtgestalt« tarnt.

      Ich halte es durchaus für möglich, dass Hitler und sein Regime hätten verhindert werden können, wenn er gleich zu Beginn massiven Widerstand aus dem Volk erfahren hätte. Dass er sich am Anfang noch nicht sicher fühlte, zeigte sich beispielsweise darin, dass er nicht nur jeden Konflikt mit der Kirche vermied, sondern den Bischöfen völlige Autonomie zusicherte und seine »Hitlerjugend« bei hohen kirchlichen Festen sogar mitmarschieren und mitsingen ließ. Es gab Menschen, die die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus früh erkannten und dies auch zum Ausdruck brachten. Unserem Turnlehrer an der Oberrealschule in Amberg waren die Nationalsozialisten zutiefst zuwider. Das äußerte er auch beim Sportunterricht, indem er die Hitlerjugendführer bei jeder Gelegenheit lächerlich machte. Sie hätten ihn so gerne ins KZ gebracht, aber weil er im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhalten hatte, konnte ihm keiner absprechen, ein Mann zu sein, der sich »für Volk und Vaterland« einsetzt. Aber weil der große Widerstand gegen Hitler sowohl von der Mehrheit des Volkes wie auch von der Mehrzahl der Bischöfe ausfiel, versuchte er Schritt für Schritt alles zu unterdrücken, was der Ausbreitung seiner Ideologie im Weg stand. So gab es z.B. nur noch eine Jugendorganisation: die Hitlerjugend. Und Freunde warnten damals: »Halt deinen Mund, sonst kommst du nach Dachau!« In der DDR hieß es später: »Sei still, sonst kommst du nach Bautzen.« Ab einem bestimmten Zeitpunkt konnte man dann nicht mehr sagen, was man dachte.

      Warum war es denn so schwer, dass viele den Ungeist nicht früher erkannten? Nicht einmal alle der mutigen Ehefrauen der später ermordeten Widerstandskämpfer und diese selber haben die Dämonie und Menschenverachtung Hitlers von Anfang an durchschaut. Wann immer eine Schreckensmeldung über eine grobe Missachtung der Menschenwürde, Korruption oder die skrupellose Ermordung eines persönlichen Gegners durch eine Nazigröße durchsickerte, hieß es oft einfach: »Wenn das unser Führer gewusst hätte!« Dieser war mit der Zeit zu einer fast mythischen und nicht mehr kritisierbaren Symbolfigur geworden. Durch manche »Errungenschaften« und Verbesserungen von Lebensverhältnissen sowie fehlgeleiteten Hoffnungen war offensichtlich das kritische Urteilsvermögen narkotisiert.

       Damals und jetzt – Tritt auf, »gelegen oder ungelegen!«

      »Nieder mit den Tyrannen!« So oft wiederholt und eingängig dieser Kampfruf ist, unmenschliche Regime können jederzeit neu entstehen. Man denke an Menschen wie Stalin, der sich vom Reformer zum Kriminellen wandelte, oder an Mao, den großen Führer Chinas. Durch seine »Reformen« wurde er zu einem der größten