Richard Hartmann

Was kommt nach der Pfarrgemeinde?


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nicht mehr gibt« und dass die Kirche nicht erst durch den Missbrauchsskandal viel Anerkennung verloren hat. Und nun noch: Es gibt weniger Priester und andere Hauptamtliche und darum droht die Pfarrei vor Ort an Profil zu verlieren. Es braucht zentrale Zusammenschlüsse, Finanzkrisen zwingen zum »Downsizing«, also zum Streichen: Nichts bleibt mehr bestehen – und plötzlich stimmen die Karten nicht mehr.

      Dabei gab es immer wieder Karten und Planskizzen, die zeigten, wie die Kirche aussehen soll, wohin das Volk Gottes unterwegs ist, welches die Orte sind, wo die Verkündigung des Evangeliums ankommt. An ein paar dieser Karten – sicher ist die Liste nicht vollzählig –, die in unterschiedlicher Praxis sogar noch nebeneinander benutzt werden, will ich erinnern:

      imageAm wichtigsten sind die Osterkommunion und die Osterbeichte und die Feier der Sakramente: Wenn das gewährleistet ist, brauchen wir keine Angst zu haben um das Heil der Menschen. Wer daran teilhat, der ist gerettet, wer davon wegbleibt, ist verloren.

      imageWir prägen das Milieu und die Gesellschaft: Alles soll »katholisch« sein. Kirche muss sich durchsetzen durch eine totale Durchdringung der ganzen Gesellschaft: Die perfekte Gesellschaft ist die Idee, die alle Minderheiten aufsaugt oder verdrängt. Vereine und Verbände stabilisieren diese gesellschaftliche Bedeutung.

      imageWir halten alles aufrecht und zusammen: Im Rahmen des Wiederaufbaus der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg kam es der Kirche mit Volksmissionen und Wohnviertelapostolat darauf an, mit hoher Autorität alle zusammenzuführen und zusammenzuhalten. Tatsächlich war es, was die Feier der Sakramente betrifft, eine der Hoch-Zeiten der Beteiligung.

      imageWir gehören zusammen, wir sind ein Herz und eine Seele: Die Idee der Pfarrfamilie, in der sich möglichst alle kennen und füreinander da sind, mit dem Pfarrer als Vaterfigur und seinen vielen Helferinnen und Helfern, steht im Zentrum: Ihre Attraktivität soll ausstrahlen auf viele andere.

      imageAls Avantgarde, als kleine Basisgemeinde, versuchen wir uns und die Gesellschaft zu verwandeln. Mit hoher Autonomie in Gottesdienst, Glaubensvertiefung und politischem Engagement sind wir eine Gegengesellschaft gegen den Mainstream von Volkskirche und Gesellschaft. Wir sind die Entschiedenen.

Unser Atlas: Welche dieser Karten kenne ich und kennen wir? Woran lässt sich erkennen, wie wir als Engagierte in der Gemeinde oder Pfarrei oder als hauptberuflich Tätige in der Kirche unsere Dienste ordnen und die Wege bestimmen? image

      imageWer sich an Gott bindet, der hat gewonnen. In neuen Frömmigkeitsbewegungen wird eine innere Sicherheit und Glaubensbindung kultiviert, die den Mitgliedern hilft, die kritische und negativ bewertete Gesellschaft in Abgeschlossenheit und Schutz zu überleben.

      imageWir sind Kirche auf dem Markt, was angefragt wird, wird entsprechend angeboten, ausprobiert und vermarktet. Wenn wir die richtigen Angebote machen, haben wir bei Events ebenso wie in der individuellen Gestaltung von Sakramentsfeiern und Segensfeiern die richtige Anknüpfung an die Servicegesellschaft.

      imageWir beginnen neu als Missionskirche: Offensiv gehen wir in die Öffentlichkeit und versuchen den Mehrwert des Glaubens zu dokumentieren und Menschen für unseren Weg zu gewinnen.

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      Die Lotsen haben neue Aufgaben

      Wer sich auf den Dienst in der Kirche vorbereitet, sei es als Pfarrer, als Priester oder Diakon, als Religionspädagogin und Theologin, begibt sich auf diesen Weg mit einem bestimmten Vorverständnis. Seine eigenen Erfahrungen in Kirche, Verband, Bewegung haben ihn motiviert, sich auf eine Berufslaufbahn einzulassen, zum Teil mit existentieller Entscheidung in der Bindung und im Lebenswandel (Zölibat, Ordensberufung). Allein, wenn die Wegzeichen, die Pfeile, in entgegengesetzte Richtungen führen, wenn die Fahrtrichtung nicht eindeutig ist, was dann? Wer ist es, der entscheidet, welcher Weg ausprobiert wird? Welche Kriterien helfen weiter: die Erfahrung vor Ort, die amtskirchlichen Vorgaben? Es braucht die Lotsen mit ihrer Erfahrung, ihren Kriterien und dem Mut, das Steuer zu führen.

      Manchmal sind es Gegenbilder, die motivieren im Sinne von: »Dahin wollen wir nicht kommen!« Visionen und Leitbilder formulieren mit großer Geste, was man gerade anders machen will und kann. Dazu kommen Studien, die zumindest in Teilen auch bestimmten Karten folgen und daraus die Lotsenaufgaben bestimmen. Viele Veröffentlichungen von Praktikern, von Pastoralämtern und Diözesen beschreiben und entwickeln Ideen, was man konkret machen sollte. Doch helfen diese Ideen nur dann, wenn sie mit den konkreten Menschen vor Ort, mit ihrer Erfahrung, ihren Charismen in ihrer Lebenswelt Gestalt gewinnen. Nicht die ausformulierten Konzepte helfen, sondern die Schritte, die mit guten Lotsen gewagt werden.

      Die Lotsen erleben im Laufe ihres Berufslebens – wie viele Zeitgenossen in anderen Berufswelten auch –, dass ihre einmal angenommene, idealisierte Perspektive sich schneller als erwartet ändert. Sie spüren, dass sie nicht nur ständig etwas dazulernen müssen, sondern dass es für sie immer schwieriger wird, Erfolge zu messen, und dass nicht nur die Tätigkeiten, sondern auch ihr Selbstverständnis und ihre Lebensformen unter Druck stehen und sich verändern müssen. Nicht wenige leiden intensiv an diesen Veränderungen. Überforderung – Unsicherheit – Vereinzelung sind Phänomene, die bis zum »Burnout« führen. Tatsächlich haben sich Aufgaben, Funktionen und Selbstverständnisse gewandelt. Vor allem das Bild des Pfarrers, der sich oft als einziger Lotse verstanden hat, stimmt nicht mehr. Er kann nicht als väterliche Bezugsfigur alle Fäden zusammenhalten.

      imageDie Feier der Sakramente »rite et recte« – so wie’s im Buch steht – reicht nicht mehr aus. Gottesdienste sind längst nicht mehr die einzige und wichtigste Aufgabe im Alltag der Priester; dazu leidet mancher, wenn an Werktagen kaum noch jemand mitfeiert. Stattdessen erwarten viele die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit des Liturgen. Die Objektivität des Ritus tritt für viele in den Hintergrund.

      imageAutorität und Leitung waren im Pfarramt als Einheit verbunden: Der Pfarrer war für sehr viele eine anerkannte und geschützte Autorität im Sinne der »Profession«. Wie der Pfarrer lebte, was er konnte und was er tat – alles war im Blick der Öffentlichkeit und musste zusammenpassen. Heute fragen die Menschen nach mehr als der formalen Autorität und Rolle. Die Person gerät in den Blick. Die meisten Menschen unterscheiden zwischen einem guten und sympathischen und einem schlechten Pfarrer.

      imageVerkündigung und Lehre stehen unter einem neuen Erwartungsdruck: Die Theologen, die als Kleriker oder Laien im Dienst der Verkündigung stehen, sind nicht mehr unumstritten in ihrer Fachlichkeit. Die Möglichkeit, sich auf einem geöffneten Bildungsmarkt selbst seine Position zu erarbeiten, und die Vielfalt der Positionen der Theologie selber werden zu einer neuen Herausforderung für die Qualität von Verkündigung und Lehre.

      imageNicht die konkrete Berufsbezeichnung, ob also jemand Pfarrer, Pastoralreferentin oder Gemeindereferent ist, macht klar, was er oder sie kann und tun