die mitgehen.
Was ist das Spiel, und was hat es mit gelebter Spiritualität zu tun? Wie können wir vor Gott unser Leben spielend leben, ernst und verantwortlich, dennoch gelassen, ja heiter? Wie helfen uns ignatianische geistliche Formen, insbesondere die Exerzitien, zu einem spielend erfüllten Leben? Wie steht der spielende Mensch1 zu seinem letzten Lebensziel, wie steht er vor dem Ewigen? Um diese und ähnliche Fragen geht es in diesem Buch. Wenn es ein wenig hilft, das Leben spielend leicht und vor Gott erfüllt zu leben, hat es seine Absicht erreicht.
Kennzeichen des Spiels
Über das Spiel wurde viel nachgedacht: von Philosophen und Kulturanthropologen, von Theologen, Psychologen und Pädagogen, kaum übrigens von Frauen, wenig von spirituell Fragenden. Es gibt keinen allgemein gültigen Begriff, was das Spiel sei. Sprachgeschichtlich kommt »Spiel« von althochdt. »spil«, was ursprünglich wohl »Tanzbewegung« bedeutet. Jede Wissenschaft würde das Spiel anders definieren. Ich möchte zunächst einige Kennzeichen und Bedingungen des gelungenen Spiels darstellen; das misslungene und das missbrauchte Spiel spreche ich im nächsten Kapitel an. Danach versuche ich, den Begriff näher zu bestimmen, ohne wissenschaftlichen Anspruch und von vorneherein im Blick auf unser spirituelles Fragen – was das Nachdenken zwar beschränkt, aber auch zentriert.2
1. Das Spiel3 ist freies Handeln. Man ist nicht dazu gezwungen und könnte es auch lassen. In der Regel spielt man in der Freizeit. Vergnügen, ja Freude ist der Ursprung des Spiels und meistens auch sein Ziel. Es gibt individuelle und soziale Spiele, aber die Teilnehmer entscheiden sich immer frei zum Spielen.
2. Das Spiel unterbricht das normale Leben, es braucht eine ausgegrenzte Zeit und einen abgetrennten Raum. Das Spiel hat nicht den Ernst des Alltags, ist nicht die »wahre« Wirklichkeit, sondern »bloß« Spiel. Für manchen gilt es daher als minderwertig. Spielen ist »so tun als ob«, denn die Spieler verlassen ihre Alltagswelt und schaffen sich eine neue – künstliche, fiktionale – Welt, ein second life, eine ferne, manchmal gewollt einsame Insel der Seligen. Um ungestört im Spiel anzukommen, muss der oft allzu beanspruchte Mensch aus seiner Alltags- und Arbeitswelt aussteigen, also »sich die Zeit nehmen«, ja sie erkämpfen, bisweilen fluchtartig das Weite suchen. Manche Spieler verkleiden sich, um die Unterbrechung anzuzeigen, manche bilden um ihr Spiel ein Geheimnis.
3. Das Spiel ist zweckfrei. Es soll nicht unmittelbare Notwendigkeiten oder Bedürfnisse des physischen oder psychischen Überlebens befriedigen, sondern es ist – wenn diese befriedigt sind – ein Zusatz, ein Überschuss an Leben, ein Mehr. Das Spiel hat keinen Effekt und bringt kein Produkt, das man messen, verwalten, aufbewahren, nutzen, verkaufen könnte. Das Spiel macht Freude und stiftet Sinn; beides enthält es in sich selbst, mehr in seinem Vollzug als in seinem Ergebnis. Als biologische Funktion ist es entbehrlich – als geistige und soziale nicht. Theologisch könnte man das gelungene Spiel als Erfahrung der Gnade beschreiben.
4. Das Spiel ist wiederholbar. Es hat zwar Grenzen und findet ein Ende, ist aber mehrfach spielbar. Wer das Spiel wiederholt, erntet neue Freude, er ritualisiert das Spiel, vertieft und erweitert es. Zu oft wiederholt, erstarrt es jedoch, und man hat es »zu Tode geritten«. Überdruss verdirbt das Spiel, und man sollte es beenden, wenn es am schönsten ist. Viele Spiele haben schon in sich Elemente der Wiederholung.
5. Das Spiel kennt Ordnung und Regel, aber auch Übertretung und Freiheit. In der abgegrenzten Spielwelt gelten eigene Regeln. Die Spielergemeinschaft muss sich auf Regeln verständigen – Kinder sind oft äußerst erfinderisch im Gestalten eigener Spielregeln. Alle Spieler müssen die Regeln akzeptieren und die Ordnung befolgen. Innerhalb des Regelwerks gibt es Handlungsfreiheit, aber oft auch Druck, sich zu entscheiden, und zwar zielgerichtet und klug. Wer die Regeln heimlich übertritt, um sich Vorteile zu verschaffen, ist ein Falschspieler; manche Spiele sehen in gewissen Grenzen solche heimlichen Abweichungen, Koalitionen usw. vor und honorieren sie. Wer die Regeln offen übertritt, zerstört das Spiel, er ist ein Spielverderber. Der Spielverderber wird als unfair und unwürdig aus der Spielergemeinschaft ausgestoßen; hingegen wird mancher Falschspieler, oft insgeheim, bewundert und verehrt – ein Hinweis auf manche Doppelmoral im Spielen.
6. Das Spiel ist ästhetisch, im Doppelsinn des griechischen Wortes: sinnlich und schön. Zum einen ist jedes Spiel leiblich, körperhaft: Es spricht die Sinne an – das Hören und Schauen und Schmecken und Fühlen … – und über die Sinne die Affekte, den inneren Menschen; es packt den Spieler »im Bauch«, in seiner Erfahrung und Existenz. Zum anderen tendiert das Spiel immer in irgendeiner Weise zum Schönen, es will gefallen und Freude machen, soll Schönes abbilden und es gestalten. Das gilt nicht nur für die Spiele der Kunst, sondern auch für die des Sports und für Denkspiele, für Phantasiespiele und für sakrale Spiele. Das Spiel will bannen und bezaubern, hinreißen und verführen, es will Rhythmus und Harmonie zum Blühen bringen.
7. Das Spiel braucht Entspanntheit und schafft neue Spannung. Um zu spielen, brauchen wir einen entspannten Ort, an dem die Grundbedürfnisse gestillt sind und wir zur Ruhe kommen – weder hungrige oder kranke Kinder noch unterdrückte Völker spielen unbefangen. In der Entspannung entsteht jedoch neue Spannung: Die Leidenschaft kocht hoch, Wut oder Freude, Furcht oder Sehnsucht stauen sich bis zur Entladung; ein Wettkampf erregt sowohl Beteiligte wie Zuschauer, die Sinne und der Geist sind aufs Äußerste konzentriert, der Leib ist angespannt. Nach dem Spiel entspannen wir uns neu, zufrieden, erfrischt und freudig.
8. Das Spiel braucht Geborgenheit, Vertrauen, Glauben. Wer in Angst und Not lebt, spielt nicht. Um sich in die andere Welt des Spiels hineinzubegeben, muss sich der Spieler sicher fühlen und frei, geborgen und wie zu Hause. Nur so findet er den Mut, sich in der Spielwelt ganz und gar fallen zu lassen. Offensichtlich ist, dass bei gefährlichen Gruppenspielen die Spieler Vertrauen zueinander entwickeln müssen – aber das gilt wohl für alle Spiele. Durch das gemeinsame Spiel, den durchzitterten Nervenkitzel und die erlebte Freude werden die Spieler näher zusammengeführt, und ihre Gemeinschaft, ihr Vertrauen zueinander und ihr Lebensmut wachsen. Das Spiel setzt also Vertrauen voraus und vertieft es zugleich. Was man säkular »Vertrauen« nennt, kann man religiös als »Glauben« bezeichnen: Der Spieler glaubt an seine Mitspieler, er glaubt an den Sinn des Spiels und daran, dass er im Spiel Freude und Genuss erlebt. Er glaubt an einen Sinn des Daseins, denn ohne diesen wäre das Spiel sinnlos. Er glaubt an ein höheres Sein, das diesen Sinn schenkt.
9. Im Spiel wird Geist Leib. Hinter jedem Spiel steht eine Idee, ein faszinierender Gedanke, voll sprühenden Lebens und voll beglückender Humanität – das Spiel ist an Werte gebunden. Im Spiel nun verleiblicht sich dieser Geist zu einer konkreten Gestalt, zu Form und Ordnung, zu Prozess und Rhythmus, zu sinnlicher Erfahrung und existentiellem Vollzug; theologisch kann man das Verleiblichen weiter ausdeuten: Geist wird Fleisch, Geist »inkarniert« sich zu Leib. Wenn man den Menschen als leiblich-geistige Einheit begreift, ist das Spiel ursprünglicher Vollzug des Menschseins.
Dasein als Spiel
Zusammenfassend umschreibe ich den Begriff des Spiels:
Das Spiel ist eine freiwillige Handlung,
– die in abgegrenzter Zeit und an abgegrenztem Ort nach gegebenen oder vereinbarten Regeln stattfindet,
– die vom gewöhnlichen Leben abgehoben ist und oft dessen Rollen verändert,
– die die Sinne anspricht und Schönes erleben lassen will,
– die Entspannung voraussetzt und über Anspannung neue Entspanntheit schafft,
– die Vertrauen braucht und zugleich vertieft,
– die ein Ende hat, aber wiederholbar ist,
– die bildet und Sinn vermittelt,
– die keinen unmittelbaren Zweck hat, sondern im Vollzug Freude bereitet,
– die humanen Geist friedlich und beglückend verleiblicht.
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