Joachim Hartmann

Freude an Gott


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macht, sieht man öfters Hinweisschilder: »Parcours der Sinne«. Wir werden dort eingeladen, mit unseren Sinnen bewusst wahrzunehmen. Andere lassen sich auf das Abenteuer ein, mit verbundenen Augen ein Essen zu genießen, sich bedienen und führen zu lassen, und machen dabei erstaunliche Entdeckungen, indem sie sich nur auf das Verkosten einlassen. Die Wiederentdeckung unserer Sinne hat Konjunktur. Die Sinne sind Tore, die uns den Zugang zur Welt der Wahrnehmung öffnen.

      Auch für Jesus ist es ein zentrales Anliegen, unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu wecken und zu fördern. Sie ist in uns angelegt, wird aber oft nicht genutzt. So kommt es, dass wir Gott als den »Ich bin, der ich bin« (Ex 3,14) oder als den »Ich bin der ›Ich bin da‹« nicht wahrnehmen. In den Evangelien heilt Jesus daher Blinde und Taube, was wir als einen Hinweis sehen dürfen, dass unsere menschliche Wahrnehmungsfähigkeit häufig defekt ist und der Wiederherstellung bedarf.

      Der kontemplative Weg ist eine Schule der Wahrnehmung. Wir lernen wieder wahrzunehmen und zu vertrauen, dass die Wahrnehmung uns in die Gegenwart Gottes führt.

       Gespräch

      Joachim: Der »Grieser Weg« ist eine Schule der Kontemplation. Was ist für dich das Charakteristische auf dem »Grieser Weg« des kontemplativen Gebets?

      Annette Clara: Die klare Methodik. Franz Jalics hat durch langjährige Erfahrungen einen Weg entwickelt, der die Menschen schrittweise zum Namen Jesus Christus führt. Diese Schritte sind im Buch »Kontemplative Exerzitien« von Franz Jalics dargelegt.

      J: Die Schritte haben eine genau definierte Reihenfolge. Wir beginnen mit der Natur, dann folgt eine Atemwahrnehmungsübung, danach richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Handmitten, dann auf innere Worte und zum Schluss führen wir zum Gebet mit dem Namen Jesus Christus. Der Name Jesus Christus ist zentral für den »Grieser Weg«, und doch beginnen wir nicht mit dem Namen.

      AC: Stimmt. Wir müssen erst lernen, mit unserer Aufmerksamkeit bei etwas zu bleiben, denn die Wahrnehmung setzt die Aufmerksamkeit voraus. Die Hinführungsschritte wollen uns disponieren für die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes. Daher üben wir, aufmerksam in der Gegenwart zu sein und zu bleiben. Thomas von Aquin hat einmal formuliert, dass es kein Gebet ohne Aufmerksamkeit gibt. Die französische Gottsucherin Simone Weil schreibt: »Die von jeder Beimischung ganz und gar gereinigte Aufmerksamkeit ist Gebet.«

      J: Aufmerksamkeits- oder Achtsamkeitsübungen gibt es auch bei »Mindfulness-Based Stress Reduction« (MBSR), das heißt »Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion«. Es ist ein von Jon Kabat-Zinn in den späten siebziger Jahren in den USA entwickeltes Programm zur Stressbewältigung durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit. Sein Ansatz ist weiterhin aktuell. Jon Kabat-Zinn war 2015 für Achtsamkeitsmeditationen mit Personen der Wirtschaftselite beim Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen. Wie unterscheidet sich der »Grieser Weg« davon?

      AC: Ich entdecke eine Reihe von Ähnlichkeiten und schätze diesen Ansatz von Jon Kabat-Zinn. Der »Grieser Weg« steht jedoch nicht in einem medizinischen Kontext, sondern in einem religiösen und hat daher andere Akzente. Wir üben absichtslos oder zweckfrei vor und für Gott da zu sein. Kontemplation bedeutet schauen oder wahrnehmen. Warum müssen wir das Wahrnehmen überhaupt üben? Gesunde Menschen haben doch Augen und Ohren, können sehen und hören.

      J: Wir haben etwas verlernt, was uns als Kind möglich war: mit der Aufmerksamkeit bei etwas zu verweilen und die Welt staunend zu erkunden. Wir leben in einer Welt mit vielfältigen medialen Angeboten, die zum Ziel haben, uns zu zerstreuen. Aufmerksamkeitsübungen wollen uns sammeln. Dadurch gewinnt unsere Aufmerksamkeit an Kraft wie Sonnenstrahlen, die in einem Brennglas gebündelt werden. Das führt uns zu einer klaren Wahrnehmung.

      AC: Mir kommt noch ein anderer Punkt. Wir üben beim kontemplativen Gebet, den Verstand ruhen zu lassen und nicht ins Handeln zu gehen. Dabei können wir doch auch beim Nachdenken über bestimmte Dinge sehr gesammelt sein oder auch bei Tätigkeiten konzentriert am Werk sein. Warum ist es für den »Grieser Weg« der Kontemplation wichtig, nicht ins Denken oder Tun zu gehen?

      J: Das ist eine gute Frage. Normalerweise vollzieht sich unser Leben in einem Dreischritt: Wahrnehmen, Denken, Handeln. In unserer leistungsorientierten Welt sind das Denken und Handeln überdimensioniert. Die Wahrnehmung selbst ist oft deutlich unterbelichtet. Kaum nehmen wir etwas wahr, analysieren und bewerten wir es sofort und gehen ins Handeln. Daher üben wir beim kontemplativen Gebet allein das Wahrnehmen. Wenn unser Denken und Handeln aus der Wahrnehmung kommen, dann können wir auch in diesen Bereichen gesammelt sein.

      AC: War Jesus kontemplativ?

      J: Ja, total. Sein Denken und Handeln kamen ganz aus der Wahrnehmung und aus dem Vertrauen. Wahrnehmen können wir nur in der Gegenwart, auch wenn es Wahrnehmung von Vergangenem ist, findet die Wahrnehmung selbst in der Gegenwart statt. Das heißt, Jesus war stets gegenwärtig. Wenn er sagt: »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen« (Mt 6,34), lädt er uns ein, ganz in der Gegenwart zu leben. Wahrnehmen hat also auch viel mit Vertrauen zu tun. Wenn wir ganz in der Gegenwart sind, können wir spüren, dass Gott für uns sorgt. Das kann einen neuen und gelasseneren Blick eröffnen auf die Wahrnehmung meiner Vergangenheit oder auf das Gestalten von Zukunft hin.

      AC: Ja! Diese beiden Grundhaltungen von Wahrnehmen und Vertrauen üben wir beim kontemplativen Gebet. Wir nehmen wahr, was ist, lassen es da sein und auf uns wirken, wir verändern nichts und überlassen uns dabei ganz der Führung Gottes. Franz Jalics formuliert es so: »Wir wechseln vom Fahrersitz unseres Lebens auf den Beifahrersitz und lassen Gott ans Steuer unseres Lebens.« Und das hat viel mit Vertrauen zu tun. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, wenn ich ganz konkret im Auto Beifahrerin bin. Da fällt es mir schwer, nicht einzugreifen und zu vertrauen, dass alles gut läuft.

      J: Läuft man da nicht Gefahr, dass man passiv wird im Leben, dass man die Verantwortung für sein Leben aus der Hand gibt?

      AC: Da muss man differenzieren. Wenn wir das Wahrnehmen in der Stille üben, dann richten wir uns aus auf die Gegenwart Gottes und schauen gleichzeitig auf das, was aus unserem Innern kommt. So gesehen ist das Wahrnehmen ein Weg, der offenlegt, was uns bewegt und was gesehen werden will. Und genau das befähigt uns zu entscheiden, wie wir uns in Situationen unseres Lebens verhalten wollen.

      J: Warum nehmen wir diesen Weg über die Wahrnehmung und das Vertrauen in Gottes Führung und packen es nicht gleich selber an?

      AC: Ich versuche es noch klarer zu fassen: Nur die Wahrnehmung und die Ausrichtung auf Gott ermöglichen es uns, zu erkennen, was wir wirklich wollen. Sie sind die Basis für klare, selbstbestimmte und kraftvolle Entscheidungen.

      J: In der geistlichen Begleitung gibt es manchmal Prozesse, wo zu prüfen ist, ob die Richtung stimmt. Hier stellt sich die Frage: Woher weiß ich, dass ich meiner Wahrnehmung vertrauen kann?

      AC: Gerade im Feld der Wahrnehmung ist das gemeinsame Schauen und Prüfen wichtig. Daher sind die Begleitgespräche wesentlicher Bestandteil der kontemplativen Exerzitien im Haus Gries.

      J: Vertrauen heißt dann also auch, sich dem Begleiter mitzuteilen und damit sich ihm auch anzuvertrauen.

      AC: Genau! Eine Besonderheit in Haus Gries mit Blick auf die Begleitgespräche ist, dass diese keine genau festgelegte Zeitdauer haben. Dadurch wird es möglich, je neu wahrzunehmen, wie viel Zeit jemand braucht. Jesus hatte viel Gespür für das richtige Zeitmaß und für den passenden Zeitpunkt, den Kairos. Werfen wir einen Blick auf die Heilige Schrift. Wo kommen kontemplative Haltungen für dich besonders zum Ausdruck?

      J: Eine wunderschöne Formulierung findet sich in der Geschichte von Hagar im Buch Genesis 16,13: »Gewiss habe ich dem nachgeschaut, der auf mich schaut!« Eine andere markante Schriftstelle findet sich im ersten Johannesbrief, wo eine Zielbestimmung für den Weg als Christ gegeben wird: »Wir werden ihn sehen, wie er ist« (1 Joh 3,2).

      AC: Und da ist noch der wunderbare Text aus