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Geist und Leben 2/2015


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nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr tun, wie ich euch getan habe.“ (Joh 13,13)

      Mit dem Fehlen dessen, woran das Schürztuch Jesu erinnert, wäre zudem die enge Verbindung von Abendmahl, also Gottesdienst, und Fußwaschung, also Menschendienst, nicht mehr gegeben. Dass Liturgie und Diakonie zusammengehören, nicht zuletzt darauf verweisen das Schürztuch und seine Verwendung im Kontext des letzten Abendmahles auch noch. Gottesdienst ist immer zweierlei, der Dienst Gottes an den Menschen und der Dienst des Menschen für und vor Gott. Der Menschendienst Gottes und der Gottesdienst des Menschen gehören zusammen.

      Das Lendentuch Jesu

      Schauen wir uns nun das Lendentuch Jesu an, das er am Kreuz getragen haben soll, um seine Blöße zu bedecken. Es wird im Dom aufbewahrt und besteht aus grobem dreieckigen Leinengewebe, mit bräunlichen, auf Blutspuren hindeutenden Verfärbungen. Es ist ein grobschlächtig aus einer Tunika zugeschnittenes Dreieckstuch. Seine Maße betragen 127,5 mal 151 cm. Von einem Gewand oder allgemeiner von Kleidungsstücken, die Jesus zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung getragen hat, berichten Lk 23,32–35 und Joh 19,23. Von einem speziellen Lendentuch ist allerdings in den Hinrichtungsschilderungen nicht die Rede.

      Das Lendentuch war das einzige, was man römischer- wie jüdischerseits bei einer Hinrichtung den Gekreuzigten in der sonstigen Nacktheit und Ausgesetztheit an Intimität noch konzedierte. Es war gewissermaßen der letzte Schamlappen gegen den blanken Voyeurismus und den Sadismus, der seine sexuelle Lust durch die Quälerei und in der Quälerei anderer Menschen erfährt.

      Was fehlte dieser Welt, wenn es das, worauf das Lendentuch Jesu hinweist, nicht gäbe oder gegeben hätte? – Es fehlte der Gedanke der Solidarität Gottes mit den Bloßgestellten, mit den Begafften, mit den Ausgezogenen und den Zur-Schau-Gestellten, mit den Entblätterten, mit den bis auf die Haut und bis ins Mark Blamierten, mit den schamlos Entehrten. Es fehlte das Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die wie er durch einen Justizskandal, ja einen Justizmord beseitigt wurden und werden in dieser Welt. Im Tod Jesu Christi begibt sich Gott selbst in die tiefsten Niederungen des menschlichen Leidens und Sterbens, weil er leiden kann und den Menschen leiden mag. Hier begegnet uns ein zutiefst sympathischer, d.h. leidensfähiger und mitleidender Gott.

      Das Grabtuch Jesu

      Das Grabtuch Jesu (Sindon munda) meint das Tuch, in das Jesus gehüllt worden sein soll, als er vom Kreuz abgenommen und ins Grab gelegt worden ist. Es ist ein feines, kostbares Leinentuch und misst heute 105 mal 180 cm. Es muss einmal doppelt so lang gewesen sein. Es sind auch Stücke herausgeschnitten worden. Vermutlich stammt das Grabtuch aus dem 1. Jh. v. Chr.

      Was fehlte dieser Welt, wenn es das, worauf das Grabtuch Jesu Christi hinweist, wenn es seinen bestialischen Tod nicht gegeben hätte? – Es fehlte der Gedanke einer bis zum Äußersten, einer über die Todesgrenze hinausgehenden Heilsintervention Gottes für den Menschen und diese Welt. Gott macht sich, so sagt der christliche Glaube, angesichts des Leids der Welt keinen schlanken Fuß. Er geht den Weg des Menschen mit, den scheinbaren Holzweg vom Holz der Krippe bis zum Holz des Kreuzes, den Weg vom Geburts- bis zum Todesschrei, den Weg von den Windeln bis zum Leichentuch. Er steht wie wir im Leid und durchsteht mit uns das Leid bis in Sterben und Tod hinein. Er markiert den Weg durch das Sterben, den Weg in den Tod mit den Wegzeichen zum Leben. Er macht auch diesen letzten, uns allen zugemuteten Weg noch zum Lebensweg.

      Das Schweißtuch Jesu

      Das sog. Sudarium, das Schweißtuch Jesu besteht aus feinster alexandrinischer Muschelseide, aus Byssos. Es ist 352 mal 615 cm groß, sechzehnfach gefaltet, wurde 1860 auf eine Schutzunterlage genäht und 1895 mit einer Schutzdecke verziert. Es stammt spätestens aus dem 1. Jh. unserer Zeitrechnung, überschneidet sich also mit der Lebenszeit Jesu. Vom Schweißtuch Jesu spricht die Heilige Schrift in Joh 20,6–7. Es ist die Rede davon, dass es auf dem Haupt Jesu gelegen, dann aber, nach der Auferstehung Jesu, nicht mehr bei den Leinentüchern, sondern separiert und zusammengebunden an einem eigenen Platz gelegen habe.

      Was wäre, wenn es das, worauf das Schweißtuch Jesu hinweist, nicht gegeben hätte oder geben könnte? – Das Schweißtuch markiert im Evangelium den entscheidenden Übergang, es steht für den Schritt aus dem Ende, für das der Tod steht, zu einer Vollendung, für die das Leben steht. Es ist ein Signum, das die Geschichte des Todes Jesu mit der ersten Erfahrung von Auferstehung verbindet, ein verbindendes Zeichen, das auf die Identität und die Kontinuität des Gestorbenen und Auferstandenen hinweist. Ohne das, worauf das Schweißtuch hinweist, fehlte der Gedanke an die Auferstehung Jesu Christi und der Gedanke an die Auferstehung der Ermordeten, der Gemeuchelten, der zu Tode Geschundenen, der Verhungerten, der Verdursteten dieser Welt. Es wäre die endgültige absolute Irreversibilität des zugleich gleichmacherisch gerechten und des zugleich gnadenlos ungerechten Todes. Es gäbe keine ausgleichende endgültige Gerechtigkeit, sondern ausschließlich die Verewigung bleibender Ungerechtigkeit.

      So aber hören wir in der ersten Präfation der Totenmesse noch die Worte: „Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet.“ Und so beten die Katholik(inn)en in jeder Eucharistiefeier nach den auch uns selbst geltenden Wandlungsworten: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Durch diesen Blick auf Tod und Auferstehung Jesu Christi wandelt sich auch die persönliche menschliche Unheils- in eine Heils- und Hoffnungsperspektive über den Tod hinaus.

      Was bleibt?

      Alle diese textilen Heilsutensilien sind kontingent, sind durch die Zufälle und die Willkürakte der Geschichte zu uns gekommen. Sie sind nicht essentiell zur Stützung des christlichen Glaubens in der Welt; das Glauben ginge also auch ohne sie. Und vielleicht erscheint dem einen oder anderen historisch-skeptisch orientierten Menschen diese Art von Frömmigkeit eher hinderlich als förderlich für den eigenen Glauben. Das ist nicht zu bestreiten und darf auch so sein. Aber gibt es nicht ebenso viele legitime, geistgewirkte Zugänge zum Glauben wie es geistvolle gläubige Menschen gibt?

      Natürlich kann man sich fragen, ob diese textilen Heiligtümer historisch echt sind. Einige sind uralt, reichen gut belegbar bis in die Zeit Jesu hinein, sie könnten in dem Sinne historisch echt sein und sind es vermutlich doch nicht. Sie können aber, und das ist entscheidend, zum Echtwerden des Glaubens beitragen, zur Echtheit des Glaubens anregen. Sie können uns die unabweisliche Frage nach den ethischen Maßstäben und der existenziellen Entschiedenheit des eigenen Lebens vorlegen. Sie können Wegweiser sein, Wegweiser, die man nicht braucht, wenn man den Weg genau kennt. Aber nicht alle kennen den Weg genau genug.

      Etwas, was nur alle sieben Jahre gezeigt wird, ist der ständigen Verfügbarkeit und Sichtbarkeit entzogen. Um es zu sehen, muss man warten und sich innerlich ausrichten können auf den besonderen, vielleicht einmaligen Moment. Dabei wird das, was die Griechen der Antike Chronos nannten, die scheinbar mehr oder weniger gleichförmig und belanglos verstreichende Zeit, zu dem, was dieselben Griechen Kairos nannten, zum günstigen, einmaligen, vielleicht gnadenhaften Moment, in dem sich eine Wende im Glauben und im Leben vollziehen kann.

      Die Vereinmaligung des Moments der Sichtbarkeit macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass eigentlich jeder Moment im Chronos als genutzter Moment einen Kairos zu irgendetwas darstellt, zur Umkehr aus dem falschen Trott, zum Neubeginn nach dem desaströsen Ende, zur Versöhnung nach dem bitteren Zerwürfnis, zur Hoffnung nach der tödlich lähmenden Angst. Gerade in dieser Zeit, in meiner Zeit, kann auch durch mich die Unheils- zur Heilszeit gewandelt werden. Gott wandelt auch mich, und er wandelt auch durch mich und meinen kleinen Beitrag unsere heillose Zeit in sein zeitloses Heil.

      Im Kern: Inkarnation

      Im Kern zielen alle diese textilen Erinnerungsstücke auf das christliche Proprium, auf das Alleinstellungsmerkmal des Christlichen, auf die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, auf seinen Dienst der Menschlichkeit, auf sein grausames Leiden und Sterben, auf seine Auferstehung.