so schnell. Dann muss ich mich immer mal wieder disziplinieren und mehr Zeit für die Erholung einrechnen.
Zuletzt habe ich da noch einen Traum: Ich würde liebend gern ein zweites Mal nach Rom reisen. Vor drei Jahren durfte ich mit der ökumenischen Kirchgemeinde Engstringen in meinen Ferien in die Ewige Stadt fliegen – es war der erste Flug meines Lebens, ein unvergessliches Erlebnis, und eine wunderschöne Wallfahrts- und Kulturreise. Papst Franziskus in nur zehn Metern Distanz auf dem Petersplatz begegnen zu dürfen, das war ein besonderes Geschenk für mich. Ich fühle mich ihm sehr verbunden; wir haben am selben Tag Geburtstag!
Wir Schwestern stehen fast alle im Herbst unseres Lebens. Und manchmal mache ich mir schon Sorgen, wie es weitergehen soll bei uns. Auch mit Gottvertrauen ist es nicht so einfach. Wie werden wir die Zukunft bewältigen? Im Moment läuft alles – aber die Situation ist zerbrechlich. Wer wird einmal das Chorgebet übernehmen, das Kloster überhaupt? Wie steht es mit Nachwuchs? Den Ruf des Herrn hören nur wenige in dieser lauten Welt. Sollen wir uns mit der Arbeit stärker zurücknehmen und einen kontemplativen Ort im Kloster schaffen? Fragen über Fragen, die mich beschäftigen. Ich weiss, ich muss lernen, loszulassen und gelassener zu werden. Das ist leichter gesagt als getan. Es gibt ja so viel zu tun jeden Tag.
Eintritt ins Kloster Fahr: 17. November 1969
Einfache Profess: 12. August 1971
Feierliche Profess: 18. September 1974
Schwester Marie-Theres
«Alleinsein zu können, ist entscheidend. Wer viel Gesellschaft braucht, ist bei uns am falschen Platz.»
geboren am 21. Juli 1946 als Theresia Gabriele Koch aus St. Gallen (SG)
Im Refektorium wird der Tisch für das gemeinsame Mittagessen gedeckt (1. Bild). – Schwester Marie-Theres schleudert und füllt den Honig der rund dreissig Bienenvölker ab, die im Klosterinnenhof leben (2. Bild).
Ich bin am Schleudern. 2017 wird als Superjahr in die Klostergeschichte eingehen. Wir kommen nämlich auf 700 Kilogramm Honig. Und der muss sorgfältig von den Waben geschleudert werden. Im und rund ums Bienenhaus arbeite ich seit über 17 Jahren. Anfänglich assistierte ich Schwester Bernadette, die das Imkern von einer Mitschwester erlernt hatte. Heute ist Berta Müller, unsere langjährige Angestellte, der Bienenprofi. Sie stürzte sich kopfüber ins Metier, besuchte Kurse und bildete sich laufend weiter. Sechs Wochen bin ich jährlich für die Bienen auf der Piste. In den nächsten Tagen werden wir die letzten Hundert Kilogramm Honig schleudern. Dann setzen wir das Zuckerwasser für die kleinen Tierchen auf und reinigen alles gründlich. Für die Bienen beginnt ab August die Wintersaison. Was sie jetzt sammeln, lassen wir ihnen als eigenen Vorrat für die kargen Monate.
Fürs Stechen bedanke ich mich jeweils bei den Bienen – ihr Gift beugt Rheuma vor. Man darf natürlich nicht allergisch gegen Bienenstiche sein, sonst kannst du unter Umständen gleich den Schirm zumachen! Bei uns leben aktuell ungefähr dreissig Völker, und unser Honig ist im Klosterladen ein echter Verkaufsschlager.
Mein Leben sehe ich als halb volles Glas, nicht als halb leeres. Seit meiner starken Hörbehinderung und trotz meines gesundheitlichen Zusammenbruchs kann ich noch vieles machen. Ich musste lernen, nicht auf das hinzusteuern, was mir Mühe macht, sondern auf das, was noch gelingt. Mit Schwester Bernadette, die wie ich eine Hörbehinderung hat und zehn Jahre älter ist, verstehe ich mich sehr gut. Sie und ich wissen, dass man sich isoliert, wenn man nicht mehr gut hört; dass Lärm und Geräusche einen irritieren und krank machen. Wir stützen und unterstützen uns gegenseitig. Uns verbindet durch das gemeinsame Schicksal eine schöne Freundschaft. Wir haben einen ähnlichen Humor. Die Gemeinschaft toleriert unsere Freundschaft. Das ist nicht selbstverständlich, und ich schätze es sehr. Wir können beide leider nicht mehr an der → Rekreation teilnehmen. Es ist uns zu laut. Ich höre rechts nichts mehr, und im linken Ohr herrscht Hyperakusis – eine grosse Lärmempfindlichkeit, die auch Gleichgewichtsstörungen mit sich bringt. Mich mit einem Menschen unterhalten geht gut, aber nicht mit mehreren. Das ist Stress pur.
Eine Sklerose zerstörte 1977 in meinem Ohr Amboss, Steigbügel und einen dritten Knochen hinter dem Trommelfell; eine Operation und der Einsatz von künstlichen Gehörknochen wurden nötig. Und vor 13 Jahren, damals war ich 58, erkrankte ich an einer Mittelohrentzündung. Diese Erkrankung, gekoppelt mit einer Grippe und einem Tinnitus, stellte mich komplett auf den Kopf. Die bakterielle Erkrankung verursachte im Hirn eine Veränderung. Es hatte nichts mit meiner Psyche zu tun, dass ich nicht mehr beten konnte und keinen Sinn mehr im Leben sah. Während meines Aufenthalts in der Klinik in Oberwil hatte ich zudem eine Lungenembolie. Und so wurde ich als Notfall ins Kantonsspital Zug eingewiesen. Mein Glück! Innerhalb von einer Woche erholte ich mich fast gänzlich und konnte ins Kloster zurückkehren. Die schwere Hörbehinderung ist allerdings geblieben.
Ich hätte nie gedacht, dass es einem als Menschen so schlecht gehen kann. Aber man weiss nie, was im Leben passiert. Ruhe ist seither für mich entscheidend. An einem regulären Tag im Kloster komme ich gut zurecht. Aber Festtage wie Weihnachten und Ostern sind schlimm: Da herrscht viel Umtrieb, wir können beim Essen reden und singen viel. Dann bleibt mir nichts anderes, als mich zurückzuziehen, zwei, drei Stunden, in die Stille.
Die Schwesterngemeinschaft musste lernen, mich anzunehmen, wie ich bin. Das ist sicher nicht immer einfach. Aber ich schätze ihr Verständnis und ihre Fürsorge sehr.
Heute bin ich die Assistentin von Schwester Monika, arbeite «i. A.», im Auftrag, und helfe ihr mit dem Obst, im Kräutergarten, beim Dörren. Sie kann mich rufen, wenn sie mich braucht. Ich decke auch den Tisch im Konvent für das Mittag- und das Abendessen, benötige dafür jeweils eine halbe bis eine Dreiviertelstunde. Wegen meiner Behinderung leide ich nicht, ich denke, sie muss wohl eine Prüfung sein. Sie wird einen Grund haben. Die Frage nach dem Warum stelle ich mir nie. Aber ich sage dem Herrgott, dass ich hoffe, in meiner Sterbestunde werde das, was ich alles durchgemacht habe, angerechnet. Wer weiss?
Die Sache mit meinem Ohr ist das Schlimmste in meinem Leben. Aber ich nehme alles an, was kommt – auch die Knöchelfraktur am linken Fuss vor einem Jahr. Mit zwei Platten und neun Schrauben im Bein durfte ich nach der Operation für zwei Wochen nach Dussnang in die Rehabilitation. Nicht einen Moment haderte ich. Es war eine gute Zeit dort, ich erholte mich – und musste anschliessend nicht einmal mehr in die Ferien.
Dass ich als Kind scheu war, glaubt mir heute niemand. Aber es war so. Meine Eltern führten das städtische Bürgerheim. Und so bin ich im Armenhaus von St. Gallen geboren, am 21. Juli 1946, an einem Sonntag. Es sei eine schwere Hausgeburt gewesen, eine Risikogeburt in Steisslage. Nach sechs Kindern war ich eine Nachzüglerin, Mutter war bereits in den Vierzigern. Als sie wieder Babysachen zu stricken anfing, fragten meine Geschwister, ob das für die Missionen sei! Wäre ich ein Bub geworden, hätte ich Gerhard geheissen. Auf die Geburt eines Mädchens waren meine Eltern nicht vorbereitet. Und so schlug meine Patin in der Not den Namen Theresia vor. Ein Mädchen, trösteten sich meine Eltern, würde ihnen im Alter beistehen. Und ausgerechnet die Jüngste ging ins Kloster! Bei mir war und ist einfach immer alles ein bisschen anders als bei andern. Ich glaube, das wurde mir schon in die Wiege gelegt.
Unser Familienleben sowie der Betrieb des Heims für Obdachlose und Randständige der Stadt St. Gallen gingen ineinander über. Mutter kochte für die 15 Insassen und für uns, putzte und besorgte einen grossen Garten, zusammen mit Angestellten, und mein Vater führte den Landwirtschaftsbetrieb, in dem die Heimbewohner zeitweise mithalfen. Erst im Kindergarten, 1952, lernte ich andere Kinder kennen. Bis dahin hatte ich fast ausschliesslich mit meiner Familie und den Frauen und Männern im Bürgerheim Kontakt.
Vermutlich war ich schon von klein auf gesundheitlich anfällig. Meine Geschwister nahmen mich als Anderthalbjährige zum Schlitteln mit und vergassen mich. Während sie miteinander spielten, liessen sie mich, auf einen Schlitten gebunden, alleine im Schnee. Ich sei schon blau angelaufen und total verfroren