Verlag Echter

Lebendige Seelsorge 5/2018


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– Oder: Wie Kirche sich verändern muss, in: Dies. (Hg.), Kirchenaustritt – oder nicht? Wie sich Kirche verändern muss, Freiburg 2018, 289–306.

      Müller, Gerhard, Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustritt aus dogmatischer Perspektive, in: Güthoff, Elmar/Haering, Stephan/Pree, Helmut (Hg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht, Freiburg 2011, 77–89.

      Niemelä, Kati, Alienated or Disappointed? Reasons for Leaving the Church in Finland, in: Nordic Journal of Religion and Society 20 (2007) 195–216.

      Riegel, Ulrich/Kröck, Thomas/Faix, Tobias, Warum Menschen die katholische Kirche verlassen. Eine explorative Untersuchung im Mixed-Methods-Design, in: Etscheid-Stams, Markus/Laudage-Kleeberg, Regina/Rünker, Thomas (Hg.), Kirchenaustritt – oder nicht? Wie sich Kirche verändern muss, Freiburg 2018, 125–207.

       „Diese Menschen müssen uns doch etwas zu sagen haben!“

      Dissens und Konflikt als Zeichen der Zeit

      „Eine Kirche, die Menschen in ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen nicht ernst nimmt, hat heute keine Chance mehr auf Akzeptanz“ (Etscheid-Stams/Laudage-Kleeberg/Rünker, 13). Mit diesen Worten wird in der Einleitung der „Kirchenaustrittstudie“ pointiert die These vertreten, dass ein Kirchenaustritt als Botschaft, als Prophetie, aber auch als Mittel des Protestes verstanden werden kann für und gegen die bestehende Kirche und ihr Selbstverständnis. Wie kann diese Prophetie theologisch so vertieft werden, dass sie wirkungsvoll innerhalb der Kirche sein kann? Gunda Werner

      Die „Kirchenaustrittsstudie“, die vom Bistum Essen in Auftrag gegeben worden ist, hat für die Teilnahme an ihrem Online-fragebogen mit Postkarten in Kneipen geworben. Das Motto der Postkarten: „Should I stay or Should I go?“ Diese Frageform entspricht dem, was die Befragten den Autorinnen und Autoren an Inneneinsichten in den eigenen Prozess des Austritts geben konnten. Denn ein Austritt ist das Ergebnis eines längeren Ringens mit sich selbst, es ist kein spontaner Entschluss. Deswegen ist es umso wichtiger zu erfahren, was am Ende den Ausschlag für einen Austritt gibt.

      „SHOULD I STAY OR SHOULD I GO?“

      In der Einleitung zur Studie werden dabei zwei Fragerichtungen intoniert, die in sehr unterschiedliche Richtungen gehen. Auf der einen Seite wird die theologische Dimension der Fremdprophetie stark gemacht. Das Bistum als Auftraggeberin möchte wissen, wieso Menschen gehen. Die Ausgetretenen werden darüber hinaus nicht einfach als Menschen außerhalb der Kirche verstanden, sondern als getaufte Christen und Christinnen und damit als bleibender Teil der Christus Zugehörigen (10). Auf der anderen Seite wird auch sehr offen darauf hingewiesen, dass die junge Alterszugehörigkeit der Ausgetretenen gravierende finanzielle Einbußen bedeutet (12). Flankiert werden diese beiden Motivationsstränge mit der Frage, wie offen Kirche im Blick auf eine interne Vielfalt sein kann, wenn sie die gesellschaftliche Pluralisierung so ernst nimmt, dass sie Teil ihrer eigenen Gestalt werden könnte. Diese Aufgabe nimmt die theologische Reflexion auf.

       Gunda Werner

      geb. 1971, seit April 2018 Professorin für Dogmatik, Leiterin des Instituts für Dogmatik in Graz; Studium der katholischen Theologie und Philosophie in Münster, Promotion in Dogmatik 2005 in Münster, Habilitation und Venia Legendi für Dogmatik und Dogmengeschichte 2015 in Bochum als erste Frau an der dortigen KatholischTheologischen Fakultät; 1995–2009 in verschiedenen pastoral-seelsorglichen Bereichen, in der Bildungsarbeit sowie in der Pflege, 2012–2018 als wissenschaftliche Assistentin in Bochum, als Vertretungsprofessorin in Bonn und Bochum, als Juniorprofessorin in Tübingen tätig.

      DIE WESENTLICHE AUFGABE DER KATHOLISCHEN KIRCHE BESTEHT IN EINER ANGEMESSENEN ANTWORT AUF DIE GESELLSCHAFTLICHE PLURALISIERUNG

      In dieser Reflexion bieten die Autoren eine Denkmöglichkeit, wie die Veränderung pastoral zu verstehen sein könnte, weil die „wesentliche Herausforderung für die katholische Kirche“ nämlich darin besteht, „auf die gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse zu antworten“ (210). Damit stellen sie die Überzeugung an den Beginn ihrer Überlegungen, dass die gesellschaftliche Entwicklung in einem engen Zusammenhang mit der kirchlichen Realität zu verstehen ist. Als Referenzhorizont und wesentliche Größe ist ihnen dabei die ‚Reich Gottes‘–Botschaft Jesu zentral. Diese war schon zu Lebzeiten Jesu jene Hoffnungsgestalt gewesen, die die „unterschiedlichen Zugehörigkeitsgestalten beim historischen Jesus“ (211) zusammenhielt. Dieser Referenzhorizont ist aber gerade nicht eine ausschließlich historische Größe, sondern ein gegenwärtiger Anspruch. Mit dem Hinweis auf die biblischen Zeugnisse, die verschiedene Formen der Zugehörigkeit und Nachfolge kennen, eröffnen die Autoren nämlich die Denkmöglichkeit, diese unterschiedlichen Modelle auch heute zu entwerfen. Der genauere Blick in die neutestamentlichen Schriften gibt ja keine genaue Antwort auf die Frage, wer denn Jüngerin und Jünger Jesu ist (223–227). Beschrieben werden Lebensentscheidungen, die von einer radikalen Nachfolge bis zu einer konsultatorischen Nähe zu Jesus reichen. Sie alle werden aber als Jesus nah und bedeutsam angesehen. Deswegen schlagen die Autoren auch vor, diese Kategorie der Jünger/innenschaft als Grundlage zu nehmen, die die „typisch (post-)moderne Vielgestaltigkeit von (Glaubens-)Identitäten und Lebenspraktiken als Normalfall christlicher Glaubenspraxis“ auffassen (227).

      ABSCHIED VON EINER PASTORAL DER RAHMUNG UND EINER KATHOLISCHEN IDEALBIOGRAPHIE

      Diese Vielfältigkeit, die weder soziologisch noch politisch in Frage gestellt wird oder werden kann, erscheint jedoch innerkirchlich als Stolperstein. Dass ein Kirchenaustritt aus einem Prozess der Entfremdung heraus geschieht, hat inhaltlich einen Baustein in der Erfahrung, dass Kirche in ihren v. a. moralischen Einstellungen, aber auch in der Gleichberechtigung von Frauen, als nicht aktuell, nicht wertschätzend erfahren wird. In der theologischen Reflexion wird die Pluralitätsrealität kontrastiert mit einem spezifischen theologischen Entwurf kirchlicher Pastoral, der Pastoral der Rahmung (210ff.). Diese Pastoral der Rahmung geht davon aus, dass der konkrete Mensch in einer engen kirchengemeindlichen Bindung steht, die sich sowohl in „umfassender sakramentaler Betreuung“ als auch in „biographischer Normierung und Kontrolle durch die kirchliche Institution“ auszeichnet (211). Hier ist die Zugehörigkeit gerade nicht im Plural, sondern im Singular gedacht, weil sie eng angebunden ist an eine durch binnenkirchliche Logiken hergestellte Eindeutigkeit.

      Erstaunlich an dieser „Kirchenaustrittsstudie“, wie auch an anderen Studien, ist ja weniger dieser Befund als die kirchlichen Beharrungskräfte, eindeutige Zugehörigkeiten zur gegenwärtigen katholischen Vergemeinschaftungsform zu suchen. Dabei, so die Autoren, dürfte doch schon anhand der Zahlen „niemand mehr bezweifeln, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts die klassische kirchliche Sozialform einer erheblichen Erosion ausgesetzt ist“ (213). Diese Wahrnehmung geht Hand in Hand mit der Feststellung, dass die Voraussetzung für die Pluralisierungs- und Individualisierungsschübe gegenwärtiger Gesellschaften, die Säkularisierung, im europäischen Kontext jedenfalls, nicht zu einem Verschwinden der Religion geführt hat. Es handelt sich um eine Transformation derselben, die allerdings in ihren Auswirkungen für die verfasste Religiosität ungeheure Konsequenzen hat (220). Selbst wenn die rahmende Pastoral in manchen Bereichen noch greift und selbst wenn sie konzeptionell attraktiv ist, ist sie doch bereits von der faktischen gesellschaftlichen Entwicklung ein- und überholt worden und findet kein belastbares Gegenüber mehr.

      Die Entfremdung einer selbstverständlichen ins Privateste hineinreichenden und regierenden Religionsautorität kann seit dem Ende der 1960er Jahren nicht mehr aufgehalten werden; geschichtlich wird man diesen Prozess sogar noch früher ansetzen müssen: „In dem geschichtlichen Moment seiner praktischen [das Konzept der rahmenden Pastoral; GW] gesellschaftlichen Delegitimation durch die Religionskritik wurde das Konzept der rahmenden Pastoral zu einem Dispositiv, von dem es geraten schien, sich gesellschaftlich wie individuell zu emanzipieren“ (221).

      STRATEGIE EINER NEUEN VEREINDEUTIGUNG ODER THEOLOGIE DES DISSENSES UND KONFLIKTS?

      In diese Wahrnehmungen hinein plädieren die Autoren für eine pluralitätsfähige Kirche und sprechen den Vereindeutigungsstrategien keine Zukunft zu. Letztere zeichnen