das einiges. Eines auf jeden Fall: Wir scheinen uns wie in einer Mäusetrommel zu bewegen bzw. unfähig, vom Karussell unserer wirklichen und eingebildeten Verpflichtungen, Gedankenspiele, Gefühlswolken, um die sich alles dreht, auszusteigen. Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit ist zunächst einmal der Versuch, ein wenig auszusteigen: mal Schluss jetzt; Pause, Stille, Innehalten, aufatmen, zurück- und vorausblicken, zu sich kommen. – Karl Valentin hat dies einmal feinsinnig-witzig – in hochdeutscher Version – so ausgedrückt: »Heut’ Abend, da möcht’ ich mich besuchen und bin gespannt, ob ich daheim bin.« Also: zu sich kommen statt ständig »außer sich sein«.
Die praktische Frage lautet: Wie steht es bei mir mit der Kultur der Unterbrechung? Kommt sie vor? Wie kommt sie vor? Und wann? Bei einem tiefen Durchatmen? Bei einer kleinen Gesprächspause? In fünf Minuten vor dem Schlafengehen auf dem Balkon? Bei der Fahrt mit der Straßenbahn? Die ersten Minuten vor dem Einschlafen? In einem kleinen morgendlichen Vorausblick auf den kommenden Tag? In einem ernsthaften Gespräch über persönlich Wichtiges? Wer sich auf die Entdeckung von Pausen und Pausenqualität macht, wird fündig werden. Einem, der nach der Häufigkeit des »Examens« fragte, antwortete Ignatius: »Ja, machen Sie das nicht jede Stunde?!« Anders gesagt: Nur wer Pausen macht, kann pausenlos leben. Nur wer unterbricht, wird zum ganzen Menschen.
Mensch-Sein im Da-Sein des Gegenwärtigen
Die stärkste Geschichte, in der Gegenwärtigkeit eine Rolle spielt, ist die Begegnung von Mose mit Gott in der Wüste. Dort offenbart sich Gott mit seinem Namen: »Ich-bin-der-da-ist«. Dasein ist einer der ganz einfach-großen Gottesnamen. Gott ist reines Gegenwärtig-Sein.
Wenn, wie die Bibel sagt, der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, stellt sich die Frage: Wie steht es in meinem Leben mit der Kultur der Gegenwärtigkeit? Bin ich da, wenn ich da bin, oder immer noch oder wieder schon irgendwo anders? »Seltsam, manche Menschen können in einer Stunde länger da sein als andere in einer Woche«, sagte mir einmal jemand – eine Erfahrung, die es in sich hat.
Was bedeutet für mich das Wort: »In Ihm leben wir, in Ihm bewegen wir uns, in Ihm sind wir« (Apg 17)? Findet mein Leben »außerhalb Gottes« statt? Aufmerksam leben hieße, im eigenen Leben wach zu sein für den, der sich mit dem Namen offenbart: »Ich-bin-wo-dubist«. So übersetzt Martin Buber. Was ist meine Antwort auf Seine Frage: »Adam, Mensch, wo bist du?« Das Gebet der Aufmerksamkeit ist Einübung bzw. Ausübung von Gegenwärtig-Sein mit dem eigenen Leben im Leben.
Mensch-Sein im Dankbar-Sein
Es ist ein starkes Wort, wenn Ignatius von Loyola einmal sagt, er sei überzeugt, dass die Dankbarkeit die Quelle alles Guten und die Undankbarkeit die Quelle alles Bösen sei. Um dies einsehen zu können, sind einige Erkenntnisse notwendig:
Dankbarkeit ist Ausdruck der Fähigkeit, einzustimmen in den Grundrhythmus allen Lebens, nämlich empfangen und geben zu können.
Dankbarkeit ist eine Quelle von Bereicherung, denn mir gehört wirklich nur das, wofür ich »Danke« sagen kann.
Dankbarkeit ist im Tiefsten die Annahme seiner selbst aus dem großen Gegeben-Sein aus der schöpferischen Gottesliebe.
Umgekehrt gilt: Feind jedes Dankbarkeitsempfindens sind z.B. die Unaufmerksamkeit für Geschenktes oder die Selbstverständlichkeit, mit der jemand alles für sich in Anspruch nimmt, und der Gedanke, dass ich eigentlich auf alles ein Recht habe.
Wie pflege ich Dankbarkeit in meinem Leben? Kommt sie vor? Welchen Ausdruck findet sie? Nehme ich sie als Quelle der Lebendigkeit wahr und versuche das Geschenk der Dankbarkeit zu kultivieren? – Für Ignatius ist die Kultivierung der Dankbarkeit Gott und den Menschen gegenüber ein wesentlicher Schritt in seiner Übung.
Mensch-Sein im wahrhaftigen und befreienden Wandlungsprozess
Was lebt, regt sich und wächst, und dies geschieht oft und immer wieder durch Schwierigkeiten und Gefährdungen hindurch. Auf dem Lebens-Weg gibt es viele Abwege, Umwege, Irrwege. Auch: Grenzen, Fehler, Verfehlungen, lebensfeindliche Tendenzen, Schuld, Sünde. Oft ist ein entscheidender Schritt, es mir und anderen zugeben zu können, dass ich verwundet wurde und verwundet habe; dass ich Fehler begangen habe und andere sich an mir »vergangen« haben. Wo dies geschieht, kann das biblische Wort gelten: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Zu eigenen Schwächen stehen zu können, ohne sie schönzureden, das ist menschlich und in einem tiefen Sinne stark.
Wie kann ich mich von wachstumshemmenden Ängsten befreien lassen? Wer und was hilft mir dabei? Wer vergibt mir? Wie kann ich Versöhnung mir schenken lassen und fördern? Sie ist notwendig: ohne Versöhnung kein Wachstum. – Darum geht es Ignatius in seiner Bitte, die eigenen Dunkelheiten zu erkennen und in die Freiheit der Liebe zu finden. Schmerz, Trauer, Reue, Bitte um Vergebung, Umorientierung, Perspektivenwechsel führen in eine neue Zukunft. Um den zukunftsfähigen und zukunftswilligen Menschen geht es. Für ihn bedeuten Fehler eine Möglichkeit zum Lernen.
Mensch-Sein im Einüben und Ausüben
»Sich mit Seiner Gnade Besserung vornehmen« – so formuliert es Ignatius schlicht im letzten Punkt seiner »allgemeinen Gewissenserforschung«. Dahinter steht eine doppelte Erkenntnis: All unser menschliches Werden und Wachsen ist Gnade, Geschenk, Vorgabe. Ebenso gilt, dass dem Menschen seine Lebenskraft gegeben ist, um sein Leben mitzugestalten.
Als Hilfe hierzu bietet Ignatius eine Übung zur Lebensgestaltung an, deren Name lateinisch »examen particulare« lautet. Auf Deutsch heißt das ungefähr: Übung der »konkreten Lebensgestaltung«. Da geht es nicht um die Änderung des ganzen Menschen, sondern um ganz konkretes Einüben von guten und Verlernen von lebensfeindlichen Gewohnheiten: Wie kann ich Dankbarkeit einüben? Welche negativ wirkenden Redewendungen kann ich »löschen«? Wie kann ich meinen Schreibtisch hilfreich ordnen? Wie finde ich Zeit zum Beten? Usw.
Was rät Ignatius, wie dies geschehen soll? Die Antwort:
– Formuliere dein Ziel genau und nimm dir nicht zu viel vor.
– Werde dir der Motivation bewusst: Was lockt dich bzw. wie spürst du den Leidensdruck?
– Bleib bei einer Sache – nicht »alles auf einmal«, sondern »alles der Reihe nach«.
– Bleibe längere Zeit, einige Wochen, dran.
– Erinnere dich morgens, mittags und abends – und zwischendurch auch – an dein »Projekt der Lebensgestaltung«.
– Mache dir während der Wochen des Einübens täglich – wohl meistens am Abend – ein paar Notizen, wie es dir mit deinem Anliegen ging. Ein paar Worte können genügen.
– Schau, dass du eine mitwissende Person findest, der du einmal in der Woche fünf Minuten erzählst, wie es dir mit deinem Experiment geht.
– Vertraue dich betend dem Wirken des Gottesgeistes an.
Motivierend dafür, sich überhaupt auf solches Üben einzulassen, kann ein Wort von Otto Friedrich Bollnow sein: »Vom Kennen zum Können führt nur das Üben.« Viel sagt auch eine Formulierung von Alex Lefrank SJ: »Üben ist ein Akt der Hoffnung.« Wer übt, hofft und lebt aus der Überzeugung: »Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt« (nach Alfred Delp SJ).
Die geistliche Übung des »Examens«, die Ignatius so außerordentlich schätzte und empfahl, ist eine Art täglicher Kurzexerzitien, eine Weise, sich auf Menschwerdung einzulassen. Er hätte wohl seine Freude gehabt an den Texten von Martin Luther und Benedikt XVI. zum Werden und Üben und Menschsein.
Einübung ins Menschsein (Benedikt XVI.)
Exerzitien sind Einübung ins Christsein, Üben der Existenz im Glauben … Weil aber Christsein nicht irgendeine Spezialkunst neben anderen meint, sondern einfach das rechtgelebte Menschsein selbst, könnten wir auch sagen: Wir wollen