Gerald Hörhan

Der stille Raub


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Hacker, der Gras raucht und jetzt vielleicht noch Hartz-IV-Empfänger ist, kann dann zur Elite gehören. Umgekehrt kann einem digitalen Bummler, der nach jetzigen Maßstäben eine Eliteausbildung genossen hat, der soziale Abstieg in die unteren Schichten drohen.

      Wie viele Follower jemand in den sozialen Medien hat, wird zu einem der wesentlichen Statussymbole werden. Es wird wichtiger sein als die Frage, über welche Statussymbole oder welche Titel jemand verfügt.

      Ich begriff: Wenn ich mich nicht rasch an die Digitalisierung anpasste und mir das nötige Wissen dazu aneignete, würde ich in zehn Jahren ein langweiliger Investmentbanker mit einer Menge Eigentumswohnungen sein. Während ich in der ersten Klasse einer Linienmaschine sitzen würde, würden Menschen, die meine Kinder sein könnten, mich in ihren Privatjets überholen. Womöglich war selbst das noch eine optimistische Perspektive.

      DIE DICKEN HUNDE VON LAS VEGAS

      Ich ging vor wie immer, wenn ich mir etwas aneignen will. Zuerst hielt ich nach Menschen Ausschau, die sich mit dem Thema besser auskannten als ich. Deshalb fiel mir eine Nachricht auf, die mir ein junger Mann auf Facebook geschickt hatte. »Du brauchst einen Social-Media-Manager«, hatte er geschrieben.

      Statt seine etwas kecke Ansage einfach zu ignorieren, wie ich es früher getan hätte, antwortete ich ihm. »Du hast recht«, schrieb ich. »Wir sollten reden.«

      Wir trafen uns noch am Freitag der gleichen Woche in der Bar des Frankfurter A&O-Hotels in der Mainzer Landstraße. Es war 1.30 Uhr morgens. Ich hatte zuvor einen Termin in Wiesbaden gehabt, der sich verzögert hatte. Christos, ein in Hannover lebender Deutscher mit einem griechischen Vater, hatte deswegen bereits eine halbe Stunde auf mich gewartet und war trotzdem motiviert. Er erklärte mir, wie wichtig mein digitaler Auftritt für mich sei und was ich dabei bisher falsch machte. »Du musst mehr und regelmäßiger Beiträge posten und die Fotos müssen von besserer Qualität sein«, sagte er. »Außerdem reicht Facebook nicht. Du solltest auch Plattformen wie YouTube, Twitter und Instagram ernst nehmen.«

      »Das ist alles?«, fragte ich.

      »Du solltest ein digitales Geschäft aufbauen«, empfahl Christos. »Ganz egal, was es sein wird, es wird dein traditionelles Geschäft bald überholen.«

      Das war ebenso simpel wie sein Hinweis auf mein noch immer mangelndes Engagement in den sozialen Medien, doch ich vermutete, dass er auch damit recht hatte. Womit sich die Frage stellte, was für ein digitales Geschäft ich entwickeln sollte.

      Als Investmentbanker beschaffe ich Geld für Unternehmen. Als Immobilieninvestor kaufe ich nach dem stets gleichen Schlüssel aus Preis, Mieterlösen und erwartbarer Standortentwicklung Wohnungen und Mietshäuser. Als Berater sitze ich beispielsweise in Verwaltungsräten. Was ließ sich daraus machen?

      Christos schlug vor, dass ich zunächst den digitalen Auftritt meiner Firmen verbessern solle. Die Idee für mein digitales Geschäft würde ich haben, wenn ich mit den Möglichkeiten der digitalen Welt vertrauter wäre.

      »Wann kannst du bei mir anfangen?«, fragte ich Christos, als bereits der Morgen dämmerte.

      Wir buchten noch in der Nacht seinen Flug nach Wien.

      Zunächst brachten wir die Internetseiten meiner Firmen in Ordnung. Wir sorgten dafür, dass sie gut aussahen und benutzerfreundlich sowie mit Google leicht zu finden waren. Anschließend beschäftigten wir uns mit meiner digitalen Identität. Dank meiner Bücher hatte ich als Ratgeber für Geld und Erfolg die Marke Investment Punk aufgebaut. Ich hatte sogar einige Freunde in den sozialen Medien, denen ich aber digital nichts bot. Wofür konnte ich diese Ausgangsbasis nutzen?

      Ich flog nach Berlin, um dort Gründer erfolgreicher Startups zu treffen. Ich wollte wissen, wie und woran diese neue Unternehmergeneration arbeitete.

      Ich besuchte eine Party in der Wohnung einer jungen Internetunternehmerin. Sie fand in einem typischen Berliner Altbau in Kreuzberg statt, der außen mit Graffiti beschmiert war, während die Wohnung aus schönen, hohen Räumen bestand und zwei Balkone hatte. Drinnen tranken 40 bis 50 Gäste Wodka Orange, Bacardi Cola und Gin Tonic aus Plastikbechern. Sie sahen aus wie Studenten, doch in Wirklichkeit waren sie Software-Unternehmer, Programmierer oder Spezialisten für digitales Marketing und redeten dementsprechend unaufhörlich über Programmierungsfragen, Reichweiten und Marketingbudgets.

      Dort lernte ich einen jungen Mann kennen, der gerade mit einem Partner an einem digitalen Kassensystem arbeitete, das Lagerhaltung, Bestellsystem und Buchhaltung miteinander verknüpfte. Er erklärte mir das gemeinsame Ziel dieser digitalen Generation in zwei Sätzen. »Die etablierten Systeme sind klobig, umständlich, veraltet und teuer«, urteilte er. »Dazu suchen wir Alternativen.«

      Doch wofür sollte ich eine Alternative suchen? Ich wusste noch immer nicht, welches digitale Geschäft ich aufbauen sollte.

      Nach einigen Wochen war mir klar, dass Berlin im deutschsprachigen Raum das Zentrum der digitalen Wirtschaft ist, dass ich aber, wenn ich von den Besten lernen wollte, hier noch nicht am Ziel war. Ich musste in die USA, ins Silicon Valley, denn dort saßen die Pioniere der digitalen Wirtschaft. Also bat ich Christos, eine Vorauswahl amerikanischer Social-Media-Konferenzen zusammenzustellen, aus der ich dann eine in Las Vegas wählte.

      Kurz vor meiner Reise dorthin trat ich als Jurymitglied bei der im österreichischen Privatfernsehen ausgestrahlten Start-up-Show »Querdenker« auf. Jungunternehmer konnten dort ihre Geschäftsideen präsentieren und, wenn sie überzeugend waren, Investorengelder akquirieren. Unter den Bewerbern dieser Ausgabe der Sendung war ein Start-up namens teachme, eine App zur Vermittlung von Nachhilfeunterricht. Paul, der Betreiber des Start-ups, wurde in der Show Zweiter, und ich lud ihn ein, mit mir ins Silicon Valley zu reisen.

      Digitale Vermittlung von Nachhilfeunterricht. Im Flugzeug nach Las Vegas dachte ich, etwas unbequem sitzend, obwohl ich mir für 2.500 Euro ein Business-Class-Ticket geleistet hatte, darüber nach. Dabei wurde mir klar, was mein digitales Geschäft sein würde. Warum war ich nicht früher darauf gekommen?

      Ich unterrichtete an Universitäten, hielt Vorträge und bot Seminare zu Themen wie finanzielle Unabhängigkeit, Immobilienkauf und Unternehmensbeteiligungen an. Mein Ziel, meine eigene Wirtschaftsuniversität zu leiten, war mir trotzdem eben noch fern erschienen. Jetzt begriff ich, dass es Zeit war, mit ihrer Verwirklichung anzufangen, und zwar in digitaler Form. Damit konnte ich ein digitales Geschäftsmodell aufbauen. Mit dieser Idee im Hinterkopf kam ich bei der Konferenz in Las Vegas an.

      Es ging dort zu wie bei allen amerikanischen Konferenzen: Die Hallen waren überfüllt, die Temperaturen eisig und das Essen schrecklich. Doch ich hörte mir die Vorträge aufmerksam an.

      »Früher konnte ein Opernsänger, selbst wenn er berühmt war, nur das Gebäude füllen, in dem er auftrat«, beschrieb einer der Redner. »Heute kann ein Musiker, selbst wenn er nicht berühmt ist, Menschen auf der ganzen Welt erreichen und Geld in Regionen verdienen, in denen er noch nie war. Wie erfolgreich er ist, hängt dabei vor allem von der Qualität seines digitalen Auftrittes ab.«

      Mir fiel die Geschichte des kanadischen Provinzmusikers Dave Carroll und seiner Band Sons of Maxwell ein, die mich bereits einige Jahre zuvor beschäftigt hatte. Bei einem Flug mit United Airlines ging seine Gitarre zu Bruch und seine Interventionen bei der Fluglinie wegen Schadenersatzes blieben erfolglos. Für einen Song über dieses Ereignis erhielten Carroll und seine Band auf YouTube mehr als 16 Millionen Klicks und verdienten in der Folge viel Geld. Sein Nettovermögen stieg von null auf mehrere Millionen Euro, und Universitäten luden ihn als Gastdozenten zu diesem Thema ein. Selbst der Hersteller der zu Bruch gegangenen Gitarre hatte die Gunst der Stunde genutzt und Rekordverkäufe erzielt, während der Chef von United Airlines wie ein begossener Pudel dastand und mit dem Entschuldigen gar nicht mehr fertig wurde.

      »Die meisten Berufsgruppen, nicht nur Musiker, können mit einem guten digitalen Auftritt in Regionen Geld verdienen, in denen sie noch nie waren«, betonte der Redner. Er zeigte ein Foto von einem Tierarzt. »Wie viel Prozent seines Umsatzes macht dieser Mann Ihrer Meinung nach dank seines digitalen Auftrittes?«, fragte er.

      Die Schätzungen