Günther Mohr

Resilienzcoaching für Menschen und Systeme


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Traumatische Ereignisse erzeugen und hinterlassen ab dann innere Traumasysteme. Mit körperlichen Erfahrungen jedoch werden die Verbindungen verwendbar gemacht, und der Prozess lässt sich verändern. Affektive Reaktionen auf bestimmte Trigger werden geheilt, ebenso wie überwältigende, nicht für das Hier-und-Jetzt angemessene Reaktionen. Kognitive Interpretationen werden intern neu strukturiert. Nun wird im hier vorliegenden Buch nicht die Behandlung schwerer Traumata beschrieben, sondern es werden Erfahrungen zusammengetragen, um für widrige und krisenhafte Situationen vorbereitet zu sein. Wir wissen bereits, dass einem mindestens einmal im Leben ein gravierendes, potenziell traumatisches Ereignis begegnet.

      Man kann heute zwei Handhabungen des Resilienzbegriffs feststellen. Im scharf definierten Resilienzbegriff ist Resilienz eng verbunden mit traumatischen Ereignissen und Erfahrungen. Bonanno (2012) zeigte deutlich, dass man die Fähigkeit zur Resilienz erst in der realen Situation, etwa nach einem tatsächlichen Trauma, bei einem Menschen erkennen kann. In der sehr fokussierten Definition von Resilienz wird auch deutlich, was Resilienz nicht bedeutet: psychische Stabilität in jeder Situation und zu jeder Zeit oder sich »im Flow befinden« oder einfach »normal sein«.

      Die Frage ist, ob man sich auf traumatische Erlebnisse vorbereiten kann. Wenn man sieht, wie selbst physisch und psychisch nach härtesten Kriterien ausgesuchte Mitglieder von militärischen Kampfeinheiten nach einem traumatischen Erlebnis keine Resilienz, sondern posttraumatische Störungen zeigen, macht dies zweifeln. Bonanno beschreibt die Wege, die Menschen nach einem traumatischen Ereignis durchlaufen. Diese sind viel weniger voraussagbar als man zu Beginn dachte. Man kann oft erst im Nachhinein – nach einer potenziell traumatischen Situation – sehen, ob ein Mensch resilient reagiert. Der systemische Berater Volker Sotzko aus Österreich hebt in Resilienz-Coaching oder die Kunst, die zweite Geige zu spielen fünf Wirkfaktoren für das Wiedererhalten von Resilienz hervor: Ruhe, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Verbundenheit und Hoffnung. Man spürt, wie diese Aspekte nach einem schlimmen Erlebnis für Menschen wieder erstrebenswert sind. Sotzko bezieht sich dabei auf die akute und mittelfristige Zielsetzung nach einem Trauma, wie sie Stevan Hobfoll zusammen mit 21 anderen Traumaforschern herausgearbeitet hat (Sotzko 2013).

      Sehr viele Beiträge zum Resilienzthema, vor allem aus praktischen Ratgeberbüchern, nutzen einen Resilienzbegriff, der eher eine allgemeine psychische Gesundheit beschreibt. So vergleicht die britische Pädagogin Trudi Newton (2007) eine Entwicklung, die auf sehr problematischen, ausgeprägten psychischen Einschränkungen beruht, mit einem Resilienzzyklus, der aus einem Grundverlauf positiver psychischer Wirkmechanismen besteht. Jutta Heller beschreibt Resilienz mit einem weiten Begriff aus sieben Schlüsselfaktoren:

      • Akzeptanz,

      • Optimismus,

      • Selbstwirksamkeit,

      • Verantwortung,

      • Netzwerkorientierung,

      • Lösungsorientierung,

      • Zukunftsorientierung (Heller 2013, 2015).

      Schulze und Seykora (2015) thematisieren 18 Faktoren, die nahezu den gesamten Bereich positiv wirksamer psychischer Faktoren umfasst. Sie stellen eine sehr umfassende Perspektive an Dimensionen vor, »die beschreiben, was einen resilienten Menschen ausmacht« (102). Von ›Abgrenzung‹ bis ›Ziele und Visionen‹ führen die Autoren Parameter ein, die für Resilienz relevant sein können. Ein sehr umfangreicher Fragebogen mit allen Dimensionen wird für die Anwendung geliefert. Anschließend geben sie für jede Dimension praktische Ratschläge als Lernschritte zur Erhöhung der Resilienz. Schulze und Seykora schreiben: »Unserer Auffassung nach ist Resilienz grundsätzlich etwas, das jeder Mensch von vornherein hat – es wird jedoch unterschiedlich entwickelt« (101). Für die Erreichung von Resilienz und die dazu vorhandenen Möglichkeiten verwenden sie die schöne Metapher »Ressourcensee«.

      Die Ansätze des weiten Resilienzbegriffs sind durchaus plausibel, denn die Veränderungen in der Gesellschaft und besonders in der Arbeitswelt (siehe VUCA-Welt) können den Einzelnen an Grenzen führen, die durch mehr oder weniger ausgebildete Resilienz zu bewältigen sind. Während man sich früher in andere soziale Systeme zurückziehen konnte, etwa Familie oder Religionsgemeinschaft, steht heute jeder Mensch alleine auf und vor dem großen Markt. Es ist der Markt der Möglichkeiten, aber vor allem der Notwendigkeiten. »Glück« wird heute oft als die nach oben offene Summe der erlebten Highlights und Events gesehen.

      Resilienz wird in traditioneller Weise als Thema des Individuums gesehen. Es ist aber wichtig, die individuelle Resilienz immer in Verbindung mit der Resilienz der übergreifenden Systeme zu sehen. Die Ausgangsfrage lautet, wie sich ein Individuum bei äußerst widrigen und belastenden Ereignissen und Erfahrungen konstruktiv entwickeln kann. Das Individuum ist allerdings nicht getrennt von den Kontexten um es herum und von den Systemen, zu denen es gehört. Systeme können die Familien, eine Organisation oder auch ein Staat sein. Auch von der gesellschaftlichen Entwicklung her entstehen Resilienzerfordernisse. Aber auch die normale wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung schafft Resilienzbedarf, etwa wenn ökologischen Systemen die Robustheit genommen wird: Im Jahre 2016 war bereits am 8. August die Aufnahmefähigkeit des ökologischen Systems für Schadstoffe erschöpft. Eigentlich hätte nichts mehr dazu kommen dürfen. Das Erhalten von Organisationen und auch von unternehmerischen Projekten stellt ebenso eine Flankierung des Individuums dar. Resilienz kann sichere Umgebungen nicht ersetzen. Das wird im »Heuschrecken-Kapitalismus«, dem dauernden Kauf und Verkauf von ganzen Unternehmen, sehr deutlich.

      Resilienz ist also zutiefst systemisch zu sehen. Dies wird auch bei den Resilienzfaktoren (Abb. 1) deutlich.

      Abb. 1: Resilienzfaktoren

      Bevor konkrete Wege zur Resilienz und die Resilienzfaktoren angeschaut werden, soll eine grundlegende Kritik am Konzept Resilienz zu Wort kommen. Einige Kritiker wie der Geschäftsführer von Medico International, Thomas Gebauer (2015, 2016), sehen in diesem Ansatz die Verlagerung von Verantwortung staatlicher Organe oder Regierungen auf den einzelnen Bürger. Staaten gewähren ihren Bürgern nicht mehr den Schutz von Leib und Leben, sondern verlagern dies auf den Einzelnen. Dies reiche von Versäumnissen – wie zu wenig polizeiliche Präsenz – bis hin zu expliziter staatlicher Politik, die aus ideologischen Gründen unnötige Risiken schaffe. Als Beispiel sei Israel genannt, wo die rechten Regierungen die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten fördern, wohl wissend, dass die Palästinenser in ihrer Hilflosigkeit zu gewaltsamen Aktionen greifen, die israelische und andere Menschen in Palästina an Leib und Leben gefährden. Resilienz soll dann bei Einzelnen das ausgleichen, was Staaten »verbocken« oder mutwillig herbeiführen.

      Diese Kritik soll hier sehr ernst genommen werden. Dies bedeutet konkret, dass Resilienz eben nicht das Feigenblatt für schlechtes Regierungshandeln sein darf, sondern dass der Staat für den Schutz seiner Bürger vor widrigen und gefährlichen Umständen zuständig bleibt. Fast jeder Minister in jedem Lande hat mit seiner Eidesformal geschworen, Schaden von seinen Bürgern fernzuhalten. Leider wird der Interpretationsspielraum oft recht breit ausgelegt. Psychologisch scheint es sogar so zu sein, dass gerade im populistischen Spektrum Politiker und Teile der Bevölkerung auf der Basis ihrer jeweiligen Projektionen gegen Dritte zueinander finden und fatale Eskalationen gesellschaftlicher Themen herstellen.

      Gebauer mahnt zu Recht, dass Regierungspolitik nicht aus ideologischen, wirtschaftlichen oder machtpolitischen Gründen ein solches Desaster herstellen solle, das durch Resilienz vom Einzelnen ausgeglichen werden müsse. Hier kann der Begriff des »kleinen Mannes« wieder ins Spiel gebracht werden. Er stammt eigentlich aus den 1950er-Jahren in Deutschland und bedeutete, dass dem Einzelnen Anstrengung und – wie man annehmen kann – Verdrängung abverlangt wurde. Die »Unfähigkeit zu trauern«, wie