Ashish Bhalla

Böse Heiler


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Jahr 2018 wuchs die Gruppe der registrierten Energetiker auf rund 18.000 an. In sieben Jahren also ein Plus von 20 Prozent. Laut Aussage von Charly Lechner, Berufsgruppensprecher der Energetiker in der Wirtschaftskammer Wien, sind die Energetiker innerhalb der Wirtschaftskammer die am stärksten wachsende Branche.

      Dabei sind die Energetiker nur eine Gruppe von vielen, die sich auf dem alternativmedizinischen Markt tummeln, und zu den registrierten Energetikern kommt noch eine Dunkelziffer von nicht registrierten.

      Noch drastischer zeigt sich der Trend zur Alternativmedizin in Deutschland. Hier ist der Boom an der Zahl der Heilpraktiker abzulesen. Im Jahr 2008 waren es 26.000 Heilpraktiker bundesweit. Das mag, gemessen an der Einwohnerzahl, im Vergleich zu Österreich gering erscheinen. Es erklärt sich durch die Einstiegshürde in Form einer staatlichen Prüfung, bei der auch medizinisches Wissen abgefragt wird.

      Im Jahr 2011 waren es bereits 35.000 Heilpraktiker, und 2015 zählte das statistische Bundesamt gar 47.000. In sieben Jahren also eine Zunahme von satten 80 Prozent.

      Dieser enorme Anstieg erklärt sich daraus, dass in Deutschland alle, die ohne Medizinstudium Heilkunde ausüben wollen, gesetzlich in die Gruppe der Heilpraktiker fallen. In Deutschland konzentriert sich der Boom daher auf diese Berufsgruppe, während er sich in Österreich auf die verschiedensten Gruppen aufteilt. Dementsprechend gibt es in Österreich so etwas wie eine zentrale Prüfung für alle Alternativmediziner nicht. Die Voraussetzungen für die Ausübung der verschiedenen alternativmedizinischen Berufe sind in Österreich je nach Berufsgruppe unterschiedlich. Bei den Energetikern beispielsweise ist gar keine Ausbildung erforderlich. Genau dieser Bereich boomt am stärksten.

      Woher kommt dieser Boom? Ein Teil der Erklärung liegt in der Schwäche des immer stärker unter Druck geratenen etablierten Gesundheitssystems. Die Bevölkerung Mitteleuropas altert und braucht daher immer mehr Gesundheitsleistungen. Die chronischen Erkrankungen nehmen zu. Ebenso die psychosomatischen Beschwerden, hauptsächlich wegen steigendem Stress in der Arbeitswelt. Darauf ist die Schulmedizin nicht ausgelegt. Ihre größte Stärke ist die akutmedizinische Behandlung und ihre große Schwäche ist der zunehmende Zeitmangel.

      In den schulmedizinischen Einrichtungen hat das medizinische Personal nicht mehr die Zeit, sich intensiv mit Patienten zu befassen. Viel zu viele warten in den Ambulanzen und Arztpraxen.

      Ich habe selbst längere Zeit in Ambulanzen gearbeitet. Dort kommen Menschen mit akuten Beschwerden hin, manche mit sehr akuten. Die medizinischen Mitarbeiter arbeiten unter hohem Druck. Für sie wird jeder Patient zum Fall, und Fälle sehen sie sich hauptsächlich am Computer an, wofür sie durchschnittlich zwei bis drei Minuten Zeit haben. Die Patienten selbst, die diese Fälle verkörpern, mit ihren Eigenheiten und Sorgen, bekommen nur am Rande Aufmerksamkeit.

      Mir ist es einmal passiert, dass fünf Herzinfarktpatienten gleichzeitig da waren. Da gibt es nicht einmal Zeit für kürzeste Gespräche. Da muss schnell gehandelt werden. EKG, Labor, Akutmedikamente wie Adrenalin und so weiter. Es geht nicht anders, sonst sterben die Patienten. Da wird auch der körperliche Kontakt zu den Patienten auf ein Minimum reduziert. Das, obwohl viele Ärzte sehr wohl überzeugt sind, dass Zuwendung in Form von Gespräch und Berührung einen wichtigen Einfluss auf die Heilung hat.

      Der Zeitmangel hat leider System. Unser Gesundheitssystem entstand in seiner heutigen Form vor einem halben Jahrhundert. Es war auf wesentlich weniger Patienten ausgelegt. Mittlerweile ist nicht nur die Zahl der Patienten, sondern auch die der diagnostizierbaren Krankheiten explodiert. Es gibt mehr Diagnosen und daher steigt der Druck nicht nur wegen der Alterung der Bevölkerung. Es ist ein Teufelskreis. Je besser die Schulmedizin wird, desto mehr Patienten gibt es und desto mehr verschärft sich das Problem des Zeitmangels.

      Zudem sorgt die zunehmende Technisierung durch die Apparatemedizin für eine Entfremdung zwischen Schulmedizin und Patienten. Die Schwachstellen auf den Bildern aus dem Inneren eines Körpers können nur noch Spezialisten erkennen. Die Patienten sitzen meist eher ratlos daneben und sehen Bilder von sich, die ihnen fremd sind und die ihnen niemand wirklich erklärt.

      Auch die voranschreitende Spezialisierung in der Schulmedizin sorgt für Unbehagen. Patienten wollen als Ganzes gesehen werden. Die Fachärzte sehen jedoch vor allem den Teilaspekt an ihnen, der in ihr Fach gehört.

      Verständlich, dass sich immer mehr Patienten in großen medizinischen Einrichtungen schlecht aufgehoben fühlen. Die Aufenthalte in Krankenhäusern und die langen Wartezeiten in den Ambulanzen sind für sie ja auch tatsächlich eine Zumutung. Wohlgemerkt sind daran nicht die einzelnen Schulmediziner schuld. Auch für sie ist der schulmedizinische Betrieb längst zu einer argen Zumutung geworden.

      Abgemildert werden diese Probleme auch durch die Hausärzte nur unzureichend. Die kennen ihre Patienten meist seit Jahren, und die Vertrautheit zwischen Hausarzt und Patient lässt sich auch bei kurzen Konsultationen leicht und schnell auffrischen. Doch gegen die neue Flut an Patienten und den großen Frust über das klassische Gesundheitswesen kommt auch die sinkende Zahl an klassischen Hausärzten nicht richtig an. Besonders in ländlichen Bereichen sind zudem immer weniger von ihnen zu finden.

      Die Alternativmedizin boomt also eigentlich nicht, weil neuerdings immer mehr Menschen an ein Konzept der Ganzheitlichkeit glauben. Sie boomt, weil Patienten verständlicherweise das Gefühl haben wollen, als Ganzes wahrgenommen zu werden. Die Schulmedizin kann diesen zeitaufwendigen Teil der Arbeit für die Gesundheit der Patienten nicht mehr leisten.

      Die systemischen Probleme der Schulmedizin treiben Patienten also zur Alternativmedizin. Vor allem Menschen, die ohnehin gestresst sind, meiden immer öfter die Schulmedizin. Oft sind sie im mittleren Alter, daher noch relativ gesund und ökonomisch relativ potent. Diese Gruppe leidet vor allem an Krankheiten, die ein ungesunder Lebensstil in Zeiten von steigendem ökonomischen Stress mit sich bringt. Die entsprechenden Symptome sind meist nicht unmittelbar bedrohlich. Rückenschmerzen aufgrund von täglichem stundenlangen Sitzen, Gastritis wegen zu viel Fastfood, Schlaflosigkeit, Übermüdung. Solche Beschwerden werden schlicht als unangenehm, als Beeinträchtigung der Lebensqualität erlebt. Darauf hat die Schulmedizin keine passende Antwort. Im Gegenteil. Der schulmedizinische Betrieb verstärkt hier die Ursachen der Symptome eher noch.

      Würden sich alle Patienten parallel zur alternativmedizinischen Behandlung schulmedizinisch durchchecken lassen, müsste sich die Alternativmedizin nicht um mangelnde schulmedizinische Kompetenz sorgen. Allerdings beobachten wir aus den genannten Gründen genau das Gegenteil. Viele Patienten hoffen geradezu, dass sie nicht zur Schulmedizin müssen. Alternativmedizin wird meist tatsächlich als Alternative in Anspruch genommen, nicht als Ergänzung, und dafür wiederum war sie eigentlich nie gedacht. Sie ist zur Lösung der durch die Schulmedizin verursachten Probleme im Gesundheitswesen nicht in der Lage.

      Dennoch dringt die Alternativmedizin auf ihrem Vormarsch durch das Gesundheitssystem zunehmend in den Bereich der schweren Krankheiten vor. Ein Grund mehr, warum es immer häufiger zu Behandlungsfehlern mit ernsten Auswirkungen kommt.

      Umso mehr wächst der Bedarf der Patienten an Hinweisen, wie sie die »guten« von den »bösen« Heilern unterscheiden können. In den folgenden Kapiteln geben wir Ihnen deshalb mehrere Warnhinweise. Diese sollen es Ihnen ermöglichen, Scharlatane zu erkennen. Denn Scharlatane entlarven sich oft selbst.

      Wenn Sie nicht mehr Gefahr laufen, Scharlatanen in die Falle zu gehen, können Sie sich im Dschungel der Alternativmedizin frei bewegen. Sie können sich im alternativmedizinischen Bereich mit aller gebotenen Vorsicht, aber doch voller Zuversicht auf die Suche nach einem für Sie passenden Angebot begeben.

AN WELCHEN AUSSAGEN SIE DIE SCHARLATANE IN DER ALTERNATIV­MEDIZIN ERKENNEN

      Typische Scharlatan-Aussage 1:

      »Dieses Mittel empfehle ich allen meinen Patienten. Das ist auch gut für Sie.«

      Die definierten Muskelpartien in Herrn Kurböcks Nacken spannen sich, als würden sie sein TShirt zerreißen wollen. »Sie müssen sich irren«, sagt er. Mit seiner mächtigen Pranke nimmt er die Dose mit den Pillen vom kleinen Tisch zwischen uns und hält sie hoch. »Das ist das beste Kurkuma-Präparat weit und breit. Über 340 Fünf-Sterne-Kritiken im Internet.