auf Holzbänken beieinandersaßen.
Dann wieder stieß er auf Häuserfronten, deren Fassaden oft Stockwerke hoch, über und über mit Graffitischriftzügen oder Nachahmungen berühmter Fresken bemalt waren. Eines der obersten Geschosse war eingefallen – und so reckte Adam die Hand vergeblich seinem Gott entgegen.
Hier schienen selbst die Trittgeräusche von der Stille verschluckt zu werden und er fühlte, wie sich die Traurigkeit erneut seiner bemächtigen wollte.
Diesmal nahm er – mit einem kurzen Blick auf sein inneres Feld, indem er seinen Atem regulierte und eines seiner schönsten Erlebnisse erinnerte – dem aufkommenden Schmerz schon im Keim die Energie.
Schließlich gelangte er auf einen der Hügel. Um welchen es sich handelte, wusste er nicht zu sagen. Von hier aus konnte er einen Marktplatz überschauen, der etwas unter ihm in lebhaftem Treiben pulsierte. In der Mitte des Rondeaus ragte ein ägyptischer Obelisk in die Höhe und schien mit seiner Pyramide an der Spitze auf den einzigen Ausweg hinzuweisen: Vergiss nicht, dort wartet ein Himmel.
Immer der Himmel, der einen die Hoffnung gemahnt.
Der junge Mann hatte seinen Mantel abgestreift, ihn auf dem Boden ausgebreitet und saß in Trägershirt und Jeans auf dem doppelt gewebten Stoff. Durch sein Fernsichtgerät, ein Monookular der letzten Generation, beobachtete er das weitläufige Areal.
Und tatsächlich schien das Leben hier in neuen und anders geordneten Bahnen zu verlaufen: Menschen unterschiedlichster Hautfarben lachten und feilschten an Marktständen; Kinder jagten verspielt Hunden und geflickten, ledernen Bällen hinterher; Junge und Alte saßen tratschend beieinander, hielten sich an Händen, spielten Karten, tranken Kaffee und Likör oder rauchten schwarzen Tabak.
Der junge Mann verstaute das Okular im Innenfutteral des Mantels, stützte die Arme auf, lehnte sich zurück und genoss für eine Weile die heiße Luft und das Licht der Sonne, die im Zenit stand.
Die Nacht in der Arena und der zügige Marsch durch die Stadtviertel hatten ihm einiges abverlangt; und noch immer steckte ihm die lange Schiffsreise in den Gliedern.
Er legte sich hin und schloss für einen Moment die Augen, um an seine Heimatinsel, an seinen Lieblingsplatz über den Klippen, zu denken, wo er seit frühester Kindheit Stunden um Stunden verbracht hatte. Jahrelang war er immer wieder dorthin zurückgekehrt.
Er saß auf der äußersten Kante des Felsbruchs, ließ die Beine über dem Abgrund baumeln und betrachtete das Meer darunter, das sich an den Felswänden brach und an manchen Tagen die Gischt bis zu ihm hochspülte.
Beinahe konnte er das Salz auf den Lippen schmecken.
„Du bist nicht von hier“, ertönte die helle Stimme eines Jungen hinter ihm, „die von hier haben nicht so was“, er formte mit den Fingern das Okular nach, „wie heißt das denn? Und auch so einen Mantel haben die nicht. Wo bist’n du her? Was is das denn? Da drin?“ Er wies auf das Futteral. Offensichtlich hatte der Junge ihn schon eine ganze Weile beobachtet und setzte sich nun, ohne Scheu, direkt an seine Seite.
Der Mann sah ihn an und freute sich über das offene Wesen des Kleinen, der ihn jetzt aus großen, braunen Augen anblickte. Aus Gewohnheit streifte er mit seinem inneren Blick kurz über dessen Feld und was er empfing, löste einen Funken Glück in ihm aus. Er musste lächeln.
„Komm. Ich zeig dir was“, trällerte der Junge, war schon wieder auf den Beinen, hatte die Hand des Fremden genommen und versuchte, ihn hochzuziehen.
Er folgte ihm, stand auf, griff nach dem Mantel und lief, an der Hand des Kleinen, den Hügel und einige Treppen hinab, mitten hinein in das Treiben des Platzes.
„Komm! Komm!“ Der Junge ließ nicht nach, ihn durch die Menschenmassen irgendwohin zu zerren.
„Amid!“ Eine großgewachsene Frau mit rötlich gelockter Mähne war hinter einem der Marktstände hervorgetreten. „Was stellst du denn wieder an?“, tadelte sie ihn liebevoll auf Farsi und strich ihm über die Haare. „Entschuldigen Sie“, sprach sie den Mann an. „Ich hoffe, er hat Sie nicht belästigt. Wie dumm von mir: Sprechen Sie überhaupt diese Sprache?“ Den letzten Satz hatte sie auf Italienisch formuliert.
Der junge Mann nickte, doch bevor er etwas erwidern konnte, wandte sich die Frau wieder an den Jungen.
„Ich hab dich überall suchen müssen. Das geht so nicht, Amid. Die anderen Viertel sind gefährlich und ich mache mir Sorgen.“ Schuldbewusst blickte der Junge sie mit großen Augen an. „Und nicht diesen Blick. Du weißt genau, das zieht nicht bei mir.“ Sie sah wieder zu dem Mann. „Es tut mir leid, aber wir müssen weiter. Amid hat heute schon seine monatliche Untersuchung verpasst und ich habe nur mit Mühe einen späteren Termin bekommen. Entschuldigen Sie uns, ja?“
Damit machten sie sich auf den Weg. Amid winkte ihm noch zu, und dann waren die zwei auch schon in dem bunten Treiben verschwunden.
Während die Frau mit dem Jungen gesprochen hatte, konnte der Mann auch in ihrem Feld entdecken, wonach er suchte. Sollte das Schicksal sich fügen, würde er gewiss bald wieder auf die beiden treffen.
Zufrieden, so schnell schon mögliche Kandidaten gefunden zu haben, wandte er sich nun den Menschen zu, die um ihn herum fröhlich ihren Alltag verlebten. So viel Unbekümmertheit hatte er lange nicht mehr gesehen.
Mit wenigen Handgriffen formte er einen Rucksack aus seinem Mantel, schulterte ihn lässig und ließ sich hineinziehen in das Treiben der Menge. Er folgte dem Menschenstrom, der ihn, wie als natürliches Element eines inneren Kreislaufs, mal an den Rand, dann wieder ins Zentrum des pulsierenden Organismus trug. Stundenlang trieb er in Mäandern durch dieses Flussbett aus Menschen und Nutztieren, vorbei an Marktständen, Brunnen und Skulpturen. Der Platz kam ihm so, während er kreuz und quer herumwanderte, noch um vieles weitläufiger vor.
Erst gegen Abend ließ er sich erschöpft auf dem Holzsessel eines rustikalen Straßenlokals nieder. Die auf dem Tisch ausgelegte Speisekarte erinnerte ihn daran, wie hungrig er eigentlich war und dass er den ganzen Tag über noch nichts gegessen hatte. In einem der Straßenläden hatte er gerade mal ein paar Flaschen Wasser erstanden, die er in regelmäßigen Abständen mit kleinen Schlucken geleert hatte.
Die Kellnerin, eine zierliche Frau mit dunklem Teint, warf, während sie Bestellungen an den anderen Tischen aufnahm, wiederholt verstohlene Blicke auf seinen muskulösen Oberkörper. In dem Trägershirt sah er aus wie einer der Männer aus dem Arbeiterviertel, die sich an den späten Nachmittagen gerne hier sehen ließen. Trotzdem unterschied er sich von ihnen. Ob es an seinen klaren, dunklen Augen lag oder an der Haltung, mit der er am Tisch saß und die Menschen beobachtete, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Als sie schließlich vor ihm stand, konnte sie ihre Augen nicht von ihm lassen.
Er strich sich eine Strähne seiner schwarzen Haare aus dem Gesicht und blickte zu ihr hoch. Das Interesse in ihren Augen war nicht zu übersehen und er erwiderte es mit einem freundlichen Lächeln. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, sah sie verlegen zur Seite, nahm dann aber, ohne weiteren Versuch einer Annäherung, seine Bestellung entgegen.
Er bestellte ein Steak mit Salat und ein großes Glas Limonenwasser.
Nach kurzer Zeit, in der er müde dasaß und das Treiben auf dem Platz nur noch an sich vorüberziehen ließ, kam die Kellnerin mit dem Essen zurück.
Mit Bedacht kaute er lange an jedem Bissen des zu heiß gebratenen Fleisches, um seinen Magen nicht zu überfordern Zusehends kam er wieder zu Kräften.
Das Abendlicht warf in immer größeren Schatten die Vorboten der Nacht über den Markt. Langsam leerten sich die Stände. Planen wurden aufgezogen, Rollläden heruntergelassen und die Menschen verschwanden in den Nebengassen, als würden sie, nach dem großen Spiel des Tages, eine ganz andersartige Arena verlassen, eine, die nie für den Kampf um Leben und Tod errichtet war, sondern zur puren Lebensfreude und zum fairen Wettstreit, bei dem es nur Gewinner gab.
Der junge Mann blieb noch länger sitzen und ließ den Tag Revue passieren.
Nur wenige weitere Kandidaten waren ihm begegnet. Immer wieder hatte