ihre Schulter legte und sie vorstellte: Katharina Krenn, unsere Sicherheitssprecherin. Das kam bei den Leuten gut an.
Von Gföhl war sie direkt nach Weißenkirchen gefahren. Als sie den Bahnübergang kurz vor der Ortseinfahrt überquerte, warf sie einen Blick auf die Uhr über dem Tachometer. Sie war zu früh dran. Der Beginn der Veranstaltung war für 19 Uhr 30 angesetzt. Jetzt war es 19 Uhr 30. So etwas war ihr zu Beginn ihrer politischen Karriere fast immer passiert. In letzter Zeit immer seltener. Bei der richtigen Inszenierung eines Auftritts war die Zeit ein entscheidender Faktor. Sie hatte vom Landeshauptmann gelernt, dass ein Politiker nie pünktlich sein durfte. Erstens würden die Leute sonst glauben, dass Politiker nichts zu tun hätten. Zweitens müsse unter den Wartenden eine gewisse Ungeduld oder sogar Unruhe geschürt werden, um schon das Erscheinen der Hauptperson zu einem wesentlichen Teil des nachfolgenden Erlösungsrituals zu machen. Sie wusste allerdings auch, dass es für ihn als Spitzenpolitiker eine deutlich höhere Verspätungstoleranz gab als für sie als einfache Landtagsabgeordnete. Sie beschloss daher, nur fünfzehn Minuten an der Ortseinfahrt zu parken.
Heute Abend hatte die Weißenkirchener ÖVP zu einer Veranstaltung geladen. Die Schwarzen waren in der traditionsreichen Weinbaugemeinde immer die Platzhirsche gewesen. Sie waren die einzige Partei, die es sich leisten konnte, außerhalb von Wahlzeiten Parteiveranstaltungen abzuhalten. Ursprünglich hatte der Ortsparteiobmann den Landeshauptmann höchstpersönlich wegen des politischen Referats angefragt. War aber von dessen Büro abschlägig beschieden worden. Terminkollision. Daher war sie zum Zug gekommen.
Pünktlich, mit der ihr angemessenen Verspätung, startete sie ihren Wagen und fuhr zum »Holzer«. Dieses Gasthaus war in Weißenkirchen eine Institution. Seit neun Generationen im Besitz der Familie. Sie war seit drei Jahren im Landtag und kannte daher fast alle Ortsparteiobmänner und -obfrauen ihres Wahlkreises. Auch den vor dem Lokal wartenden Weißenkirchener Obmann Hans Wiesner.
Mit einem deutlichen Handzeichen signalisierte er ihr, ihren Wagen in die geöffnete Hofeinfahrt zu lenken. Ein kleines Schild aus Stuck, ursprünglich weiß, aber nie gereinigt, prangte über der Hofeinfahrt. Mit einer in abgeblättertem Gold eingravierten Jahreszahl: 1738. Die Holzers waren nicht nur Wirtsleute, sondern auch Weinbauern. Im zweiten Beruf nicht ganz so bekannt wie im ersten. Ihre Veltliner und Rieslinge waren durchaus gut zu trinken, aber in den großen nationalen oder gar internationalen Wein-Führern waren sie nicht zu finden.
Nach einer kurzen Begrüßung mit einem zaghaften Kuss auf beide Wangen führte der Obmann sie hinein. Das Gasthaus hatte neben der Schankstube einen großen Saal. Dessen Decke war gemessen an der Größe zu niedrig, sodass der Raum etwas Bedrückendes ausstrahlte. Bis zu 120 Leute fanden hier Platz. Normalerweise wurde so viel Platz in Weißenkirchen nur in der Faschingszeit gebraucht. Beim Feuerwehrball etwa, oder beim Pfarrball. Da musste allerdings ein großer Teil der Ballbesucher in der Schankstube Platz nehmen, weil der Saal für die Kapelle und die Tanzfläche reserviert war. Den Pfarrball gab es schon lang nicht mehr. Ebenso wenig wie das Kindergschnas. Früher ein Fixpunkt im Weißenkirchener Veranstaltungskalender. Jetzt wurde der Saal in erster Linie für Hochzeiten verwendet. Bei geschickter Anordnung der Tische sah der Saal auch mit deutlich weniger Gästen ziemlich voll aus. So auch an diesem Abend.
Katharina hatte sich schon früh angewöhnt, bei ihren Auftritten die Zahl der Besucher zu schätzen. Weil sie daraus auf die organisatorische Schlagkraft der örtlichen Parteileitung schließen konnte. Aber natürlich auch, weil die Besucherzahl ein höchst brauchbares Indiz für ihre eigene Zugkraft darstellte. Zirka sechzig Personen. Gar nicht schlecht.
Dass der Publikumsandrang auch ihr zu verdanken war, bemerkte sie am deutlichen Überhang der männlichen Besucher, die auch einen stärkeren Beitrag zum insgesamt sehr freundlichen Begrüßungsapplaus leisteten als die anwesenden Damen. Das kannte sie schon von anderen Veranstaltungen. Bei der Wahl ihrer Garderobe legte sie stets Wert darauf, Frauen, die von der Natur nicht mit denselben Vorzügen ausgestattet worden waren wie sie selbst, nicht vor den Kopf zu stoßen. Deshalb schminkte sie sich bei solchen Gelegenheiten auch ausgesucht dezent. Trotzdem wusste sie, dass viele ihrer Geschlechtsgenossinnen mit ihr bei der ersten Begegnung ein Problem hatten. Sie hatte aber auch die Erfahrung gemacht, dass sie solche Vorbehalte mit ihrer Rede nach wenigen Minuten zum Schwinden bringen konnte.
Ortsparteiobmann Wiesner, der die Anwesenden offensichtlich alle persönlich kannte, gab in seiner kurzen Begrüßungsansprache seiner Freude über das zahlreiche Erscheinen Ausdruck. Auf eine recht sympathische Art. Schwerer tat er sich mit der Vorstellung ihrer Person. Etwas linkisch, wie sie fand. Sie hatte sich vorgenommen, in ihrer Rede, die sie völlig frei halten wollte, auf die Bedeutung des Weinbaus nicht nur für die Region sondern für das gesamte Bundesland einzugehen. In Weißenkirchen natürlich ein Selbstläufer.
Etwas schwieriger war es für sie schon, beim Thema Tourismus die richtige Balance zu finden. Die Wachau lebte zwar vom Tourismus, aber es gab viele Bewohner, für die der Fremdenverkehr mehr Fluch als Segen bedeutete. Weil sie seit drei Monaten Sicherheitssprecherin ihrer Partei im Landtag war, wollte sie sich im bundespolitischen Teil ihrer Rede auf die neue Parteilinie in Sachen Sexualstrafrecht konzentrieren. Aber auch deswegen, weil sie wusste, dass sie damit den meisten Frauen im Saal aus der Seele sprechen würde. Dem Beifall am Ende ihrer Rede nach zu schließen hatte sie ihr Ziel voll erreicht. Einige Damen hatten sich dabei sogar von ihren Sesseln erhoben.
Nachdem der Applaus endlich verklungen war, lud der Ortsparteiobmann die Zuhörer ein, Fragen an die Referentin zu stellen. Ein übliches Ritual bei Parteiveranstaltungen. Ebenso wie es üblich war, dass sich alle Anwesenden zunächst gegenseitig ansahen, und niemand den Mut hatte, die erste Frage zu stellen. Bis der Parteiobmann die schön langsam peinlich werdende Stille mit einer eigenen Frage durchbrach. Kannte sie auch zur Genüge.
»Liebe Frau Abgeordnete! Man munkelt ja schon seit einiger Zeit, dass du der nächsten Landesregierung angehören wirst. Ich bin sicher, dass alle hier im Raum wissen wollen, welches Ressort du denn gern hättest?« Ziemlich die blödeste Frage, die er ihr stellen konnte. Abwiegeln, rundweg bestreiten oder gar bejahen? Jede Antwort war möglich, aber keine wirklich befriedigend. Als Frage zum Aufwärmen absolut nicht zu gebrauchen. Dem Gesichtsausdruck des Obmanns konnte sie aber die Überzeugung ansehen, ihr eine besonders intelligente Frage gestellt zu haben. Vollkoffer.
Samstag, 17. April 8 Uhr 20
Die Luft war an diesem sonnigen Morgen noch frisch. Sie fröstelte, als sie auf die Veranda hinaustrat. Von der Donau stiegen zarte Dunstschleier auf. Morgenmantel allein war zu wenig. Gestern in Weißenkirchen war es ziemlich spät geworden. Lange Abende war sie gewohnt. Vielleicht war es dennoch auch Restmüdigkeit, die sie frösteln ließ. Mit ihren einundvierzig Jahren war sie eben nicht mehr die Jüngste. Immerhin eine der jüngeren Landtagsabgeordneten.
Jedenfalls musste sie sich vor einer Verkühlung hüten. Angesichts ihres Terminkalenders war eine Erkrankung so ziemlich das Letzte, was sie brauchen konnte. Also zurück ins Haus. Ein Paar dicke Socken und unter dem Morgenmantel noch eine warme Trainingshose, das würde reichen. Jedenfalls wollte sie es sich nicht nehmen lassen, mit Martin auf der Veranda zu frühstücken. Sie hörte ihn schon in der Küche. Für das samstägliche Frühstück gab es im Hause Krenn seit Jahren und zu allen Jahreszeiten eine fixe Arbeitsteilung. Sie deckte nur den Tisch. Alles andere war allein seine Sache. Es war sein Ritual, um sich auf das Wochenende einzustimmen. Er holte beim Bäcker, den es in Rossatz noch gab, frisches Gebäck. Früher war er um Wurst und Käse auch noch in die örtliche Gemischtwarenhandlung gepilgert. Die hatte jedoch vor zwei Jahren zugesperrt. Einen Feinkostladen hatte es in dem kleinen Dorf nie gegeben. Also kaufte er die übrigen Zutaten je nach Zeit schon am Donnerstag oder Freitag in einem Supermarkt in Mautern. Den Kaffee hingegen bezog er via Internet aus Vietnam. Kein anderer Kaffee hatte diese cremige Schokoladennote.
Sie wollte ihn in der Küche nicht stören. Also nahm sie alles aus der Anrichte neben der Verandatür. Zunächst ein frisches, blassgrünes Tischtuch. Darauf drapierte sie das Gmundner Porzellan und das alte Silberbesteck.
Sie deckte nur für zwei Personen. Allzu selten gesellte sich zum Frühstück ihre sechzehnjährige Tochter Emma dazu. Am Wochenende war sie in der Regel nicht vor zehn Uhr aus dem Bett zu kriegen. Der vierzehnjährige Philipp