Martina Leibovici-Mühlberger

Die Burnout Lüge


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Schicksal der überarbeiteten Gutmenschen mitbeklagt, Patienten ausufernd auf meinen Schoß genommen, sie darin bestätigt, dass sie schwerst erkrankt und unbedingt schonungsbedürftig wären, und habe mit ihnen Pläne zum unbedingten Erstarken ihres persönlichen Egoismus und einer drastischen Reduktion der Arbeitsbelastung ausgearbeitet. Verweigerung von Belastung und Einsatz, Dienst nach Vorschrift, Widerstand gegen die allgegenwärtige Ausbeutung durch die Arbeitswelt oder Familie. Dabei habe ich nur Symptome bekämpft, mitgeholfen, einen Plan für ein Überleben auf niedriger Ebene zu schaffen, angepasst zu bleiben. Die eigentlichen Ursachen aber habe ich damit weiter besichert und stabilisiert.

      Meine eigene Geschichte mit Burnout

      … ist eine sehr alte. Als ich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Medizin studierte, hatte der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger die psychologisch interessierte Kollegenschaft gerade mit einer ersten Veröffentlichung zu einem von ihm in Sozialberufen zunehmend beobachtbaren, frappierenden Phänomen aufhorchen lassen.

      Sozialarbeiter, Psychologen, Krankenschwestern oder Vertreter anderer helfender Berufe, die über Jahre hinweg hoch engagiert ihren Berufspflichten nachgekommen waren, verloren plötzlich gänzlich ihren Elan, entwickelten eine zynische Einstellung zu ihren Klienten und verfielen in einen Zustand von Antriebslosigkeit und emotionaler wie physischer Erschöpfung, bis hin zu vollständiger Apathie. Mit dem Begriff „Burnout“ war ein Wortbild geschaffen, das die Gemüter zu erhitzen vermochte und zu näherer Begriffsbestimmung drängte. Zahlreiche verbale Beschreibungsversuche tauchten auf, die alle letztendlich einem bemühten Gestammel glichen.

      Entweder waren sie zu unspezifisch, um der notwendigen Trennschärfe gegenüber anderen Syndromen gerecht zu werden oder aber zu spezifisch und eingrenzend, sodass jedem durch Fallpraxis mit der Materie Vertrautem sogleich ein waschechter „Burnout“-Patient einfiel, der in diesem Modell durch die Maschen rutschen würde. Irgendwie einigten sich der Boulevard und eine Burnout-Forschung, die, beurteilt man sie nach Kriterien wie Validität, bereits ganz unten auf recht wackeligen Beinen steht, darauf, dass es sich beim Burnout um einen arbeitsbezogenen Zustand von physischer, emotionaler und mentaler Erschöpfung handelt, einer drastischen Überarbeitung also, die von Depersonalisation und eklatantem Leistungsabfall gekennzeichnet wird.

      Wir, die wir uns bereits als intellektuelle Speerspitze einer neuen Ärztegeneration sahen, die sich weigerten, das Seelenleben des Menschen weiterhin strikt von den körperlichen Vorgängen sowie den auftretenden Krankheitsprozessen getrennt zu sehen, waren von diesem seltsamen Syndrom fasziniert. Trotz meiner in jüngerem Lebensalter noch ausgeprägten Respekthaltung gegenüber Wissenschaft und Forschung kann ich mich sehr klar an das sichere Gefühl erinnern, dass sich in den gängigen angebotenen Deutungen immer nur ein begrenzter Abschnitt reflektierte. Das Ding war größer. Da steckte mehr dahinter als der simple Zusammenbruch unter zu großem Arbeitsdruck, wie man es gerne auf eine Kurzformel brachte. Das war wirklich spannend. Die meisten von uns hatten sich, was zum damaligen Zeitpunkt ohne Internet noch mehr einer Geheimoperation glich und heute über Knopfdruck zu haben ist, über diverse Quellen ein MBI (Masłach Burnout Inventory) als Fragebogen – gemeinsam mit dem weniger verbreiteten TM (Tedium Measure) die Bibel der Burnout-Forschung – gecheckt, um auf eigene Faust und im heroischen Selbstversuch die Burnout-Gefährdung zu erheben. Mir kamen schon damals ziemliche Zweifel. Meine Frage, WIE es zur Auswahl und Erstellung der einzelnen Items kam, wurde nie zufriedenstellend beantwortet, und auch in meinem eigenen Ergebnis zeigten sich, sooft ich es auch wiederholte, nur Anomalien.

      Als Werkstudentin, die aus einer kleinen Beamtenfamilie aufgebrochen war, um den unserer Generation vorgegebenen Olymp der Akademisierung zu erklimmen, musste ich mir mein Studium ziemlich vollständig selbst finanzieren. Das bedeutete zumindest einen Tag in der Woche Meinungsforschung als Straßenbefragung, durch deren Lenkung wir in der Folge entschieden, ob die Bürger unseres Landes zum Beispiel für die revolutionäre Form des Mozarttalers konsumreif waren. In den Wochenendnächten schlüpfte ich dann ins Kostüm der Barfrau, ersparte mir damit das Ausgehen und hatte dennoch eine Menge Spaß. Ich lernte auf diese Weise unwahrscheinlich viele Leute sowie verschiedene Drinks kennen und verdiente entsprechend Kohle. Den Rest der Zeit widmete ich mehr meiner Medizinorientierung, indem ich in einer Privatklinik für zwei arabische Querschnittpatienten als Pflegerin arbeitete. Der eine war bei der Falkenjagd vom Pferd gestürzt, dem anderen war ein Kamel, das er angefahren hatte, aufs Autodach gefallen. Beide hatten reges Interesse am Ausschnitt meiner Dienstbluse, waren aber sonst kooperativ und ziemlich aufwändig mit ihren Gebetsritualen versorgt, sodass mir in den Umlagerungspausen jede Menge Zeit blieb, um mich auf meine Rigorosen vorzubereiten. Die meisten meiner Kommilitonen waren, die Theorie der Überarbeitung vor Augen, der sicheren Ansicht, dass mich meine achtzig bis neunzig Arbeitsstunden pro Woche pfeilgerade von der Seite der Burnout-Beforscher auf die Seite derer befördern müssten, die diesem Syndrom in absehbarer Zeit erliegen. Aus meinem Blickwinkel schien jedoch das krasse Gegenteil der Fall zu sein. Es fühlte sich an, als nähme ich mein Leben immer mehr in Besitz. Obwohl ich zugeben muss, dass mich, obrigkeitsgläubig wie ich mit dem Rest meiner Generation grundsätzlich erzogen worden war, immer wieder Zweifel über meine eigene Befindlichkeit befielen, ich mich sozusagen belauerte, ob nicht der Hintergrund meiner täglichen Arbeitsmotivation bereits den Abgrund einer aufflammenden Ausgebranntheit bereithalten würde. In der Zwischenzeit erlernte ich praktischerweise, wie sich effizient in Salamischeibchen schlafen lässt, was mir für meine spätere Facharztausbildung sehr zugute kam. Ich begann, zunehmende Faszination für dieses schillernde Phänomen Burnout zu entwickeln.

      Ich arbeitete in jenem Trakt, der die voraussichtlichen Langzeitpatienten beherbergte. Unter Titeln wie Neurasthenie, psychovegetativer Kollaps oder auch Managersyndrom residierten in den mehr einem Hotelambiente ähnelnden Krankenzimmern auch immer wieder Patienten mit bemerkenswerten Geschichten ihres persönlichen Zusammenbruchs. Wir behandelten sie zuallererst mit der obligaten Durchuntersuchung, die über jede Körperöffnung das Innerste nach außen zu kehren trachtete, um so eine somatische Ursache und damit rational nachvollziehbare Erklärung zu finden. Manche erwiesen uns den Gefallen, dass sie alle Zeichen einer chronischen Gastritis hatten, litten unter erhöhten Blutdruckwerten oder aber zeigten in ihrer Anamnese hartnäckige Verdauungsprobleme oder unterschiedlichste Formen von Darmentzündungen. Einige Fälle von Tinnitus legten ebenfalls nahe, dass hier das Ohrgeräusch nicht die Ursache sondern eine Begleitreaktion eines anderen, viel tiefer liegenden Prozesses sein musste, der den betroffenen Menschen in seiner Gesamtkonstruktion in Frage zu stellen vermochte.

      Bei den meisten jedoch waren die Symptome ein wirres Bündel von Befindlichkeitsstörungen und Ausdruck eines langandauernd hochgefahrenen und aus der Regulation gefallenen Stresssystems. Unisono ließen sich Schlafstörungen, Unruhezustände, zunehmende Ängste, den erlebten Anforderungen nicht mehr entsprechen zu können, feststellen. Dazu kamen Versuche, sich mit Aufputschmitteln fit zu machen und abends mit Alkohol und Schlafmitteln aus dem überdrehten Zustand wieder herunterzuholen. Irgendwann stand dann der Zusammenbruch als Endausbaustufe dieser Entwicklung ins Haus.

      Wenn das somatisch orientierte Behandlungsarsenal erschöpft war, wurden die Neurologen und Psychiater zugezogen, die den Medizinschrank der Psychopharmaka aufschlossen, Schlafkuren, Arbeitskarenz und entsprechende langfristige medikamentöse Einstellung propagierten. Und ich durfte unbeachtet und – ich gebe es offen zu – von meiner Neugierde getrieben unbehelligt, da unter dem Schutz einer sehr einfühlsamen Stationsschwester, mit den Patienten Gespräche führen. Nicht, weil man sich davon irgendetwas versprach, sondern weil man es ganz sicher für bedeutungslos hielt. Wir bewegten uns damals schließlich in einer Zeit, in der Psychotherapie noch den Nimbus von Unanständigkeit hatte und nahezu jeder gestandene Psychiater, dem sein Ruf als ernstzunehmender Mediziner wichtig war, darauf achtete, lautstark einen weiten Bogen um dieses unseriöse Ding zu ziehen. Abgesehen von wenigen Mutigen, denen allerdings viel zu verdanken ist, wurde mit den neuen Ansätzen von Gestalttherapie, Psychodrama, Gesprächspsychotherapie, Gruppendynamik oder gar Körpertherapie nur heimlich kokettiert. Fürs „Reden“ gab es schließlich den Gewerbeschein „psychologische Beratung“, den jeder, vom Andenkenverkäufer über die berufene Hausfrau bis zum Tierpfleger, anstandslos lösen konnte.

      Meine Faszination war