Bernhard Görg

Dürnsteiner Würfelspiel


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Bernhard Görg – Dürnsteiner Würfelspiel – Ein Wachau-Krimi – Salomon

      Bernhard Görg:

      Dürnsteiner Würfelspiel

      Alle Rechte vorbehalten

      © 2017 edition a, Wien

      www.edition-a.at

      Cover: JaeHee Lee

      Gestaltung: Lucas Reisigl

      ISBN 978-3-90320-012-8

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

      2. April, 17:20 Uhr

      Das war wieder so ein Moment, in dem er die Wände hätte hochklettern können. Es war später Nachmittag, und seine Frau war noch immer im Schlafrock. Und das an einem Sonntag.

      Felix Frisch saß in seinem Fernsehsessel und versuchte mit seinem Daumennagel, die Reste des Mittagessens von seiner Adidas-Trainingshose zu kratzen, deren Farbe in den Kniekehlen blauer war als an den Oberschenkeln. Eine Hose, von der er sich geschworen hatte, sie in Ehren und damit in Schuss zu halten. Nur Blödsinn im Fernsehen!

      Seit ihrer Hochzeit vor neunzehn Jahren hatte seine Elfriede fünfzehn Kilo zugenommen und stetig an Attraktivität verloren. Da konnte er ja gar nicht anders, als sich selbst gehen zu lassen.

      Was für einen Anreiz hätte ein Ehemann haben sollen, auf sein Gewicht zu achten, wenn die Ehefrau keinen Funken Ehrgeiz zeigte, ihr Hochzeitsgewicht zu halten. Er musste an seinen Kollegen denken, der erst unlängst im Wachzimmer von seiner Frau geschwärmt hatte. Sie würde noch immer ins Verlobungsdirndl passen, hatte er gesagt. Kein Wunder, dass der schon seit drei Jahren Gruppeninspektor war, obwohl er nur ein Dienstjahr mehr vorzuweisen hatte. In der Industrie wurden nicht nur die Chefs, sondern auch die Ehefrauen genau unter die Lupe genommen. Hatte Felix zumindest einmal gelesen. Vielleicht machten sie das bei der Polizei jetzt auch so. Natürlich geheim, weil bei der Polizei wurde immer alles geheim gemacht, Datenschutz und so, da waren jetzt alle ganz versessen darauf. Wenn dem so war, dann konnte er noch lang auf seinen dritten Stern warten.

      Er blickte aus dem Fenster. Scheißaussicht. Und das in Krems. Auf dem Balkon keine zehn Meter gegenüber gleich drei Leinen voll mit Unterwäsche. Was hatte er verbrochen, dass er nicht am Wachtberg oder wenigstens am Rosenhügel wohnen konnte?

      Beim Gedanken an den mittäglichen Schweinsbraten wurde die Stimmung des Revierinspektors wieder milder. Eines musste er seiner Frau lassen: Beim Kochen machte ihr keine etwas vor. Und beim Fleisch folgte sie genau seinen Anweisungen. Da war er penibel.

      Vor zwölf Jahren hatte sie einmal einen Schopfbraten nach Hause gebracht. Kein schlechter Geschmack, aber diese graubraune Farbe! Scheußlich. Möglich, dass die Farbe eines Bratens manche Esser nicht störte. Hauptsache fünf Euro billiger. Aber nicht mit ihm. Er hatte immer auch mit den Augen gegessen. Seit diesem Tag hatte es nur mehr Schweinskarree gegeben. Er bestand auf Fleisch, das beinahe schon weiß war. Nicht eines von der trockenen Sorte, das sie einem in den Supermärkten immer andrehten.

      Nein, von einem der wenigen Fleischhauer, die es noch in Krems gab. Das Schwein lieferte exklusiv ein Bauer nördlich von Gföhl. Und das Karree wurde selbstverständlich mit echten Waldviertler Knödeln serviert, mit eigenhändig geriebenen, rohen Erdäpfeln dazu. Nicht diese halb rohe, halb gekochte industrielle Massenware. Die Knödel waren so fantastisch, dass er sich in jungen Ehejahren sogar einmal erbötig gemacht hatte, seiner Elfriede beim Reiben der Erdäpfel zu helfen. Aber der Saft der rohen Erdäpfel hatte der Haut an seinen Händen nicht gutgetan.

      Schon nach fünf Minuten verspürte er ein starkes Brennen. Wahrscheinlich Kartoffelsäure oder etwas Ähnliches. Man glaubte gar nicht, was der Saft eines rohen Erdapfels mit einem sensiblen Menschen wie ihm anstellen konnte. Was für ein Glück, dass seine Frau robuster war.

      Er saß in seinem dunkelbraunen Sofa und betrachtete sie von der Seite. Er erkannte eine gerade Stirn und eine ebenso gerade, kleine Nase. Wenn nur das Doppelkinn nicht gewesen wäre. Das war seine Elfriede, die dort saß und in die Glotze starrte, in der eine der dümmsten amerikanischen Fernsehserien lief. Er würde nie verstehen, warum sich Millionen von Menschen für diesen Witzbold von einem Detektiv begeisterten. Völlig bescheuert. Natürlich mit Polizisten, die sich noch lachhafter aufführten als dieser Spinner. Total wirklichkeitsfremd. Da würde er für seine amerikanischen Kollegen die Hand ins Feuer legen.

      Felix wollte eine Werbeunterbrechung abwarten, um seine Frau anzusprechen. Die Sache, über die er mit ihr sprechen wollte, war ziemlich delikat. Er konnte nur hoffen, dass Elfriede sie nicht in die falsche Kehle kriegen würde. Endlich war sie da, die heiß ersehnte Unterbrechung.

      »Ich wollte dir nur sagen, dass wir im Vorstand des Kegelklubs beschlossen haben, einen gemeinsamen Ausflug in die Sauna zu machen. Damit wir noch mehr zusammengeschweißt werden.«

      »Wenn du dich deinen Freunden unbedingt im Adamskostüm präsentieren möchtest, viel Vergnügen. Ich hoffe, du versprichst dir davon nicht, dass sie dich zum Adonis des Jahres küren werden.«

      Er ahnte, dass der Hinweis auf diesen Adonis, wer immer das sein mochte, eine Spitze sein sollte. Er wusste nur nicht, welche. Normalerweise hätte er reagiert. Aber nicht heute. Dafür war ihm sein Ziel zu wichtig. Felix bemühte sich, seinen Ärger zu unterdrücken und seiner Stimme einen ganz beiläufigen Klang zu geben. »Du bist also einverstanden?«

      »Was soll ich gegen eine nackte Runde von Männern haben, die gemeinsam schwitzen, dabei völlig vergeblich ihren Bauch einziehen und sich gegenseitig ihre wenigen Haare auf dem Kopf zählen? Ihr könnt von Glück reden, dass euch dabei keine Frauen zuschauen.«

      Der Revierinspektor fühlte, wie ihm das Herz in die Hose sank. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Zur Vorsicht beschloss er, für mindestens zwanzig Sekunden nichts zu sagen. Als im Fernsehen eine Werbeeinschaltung für eine neue Art von Dunstabzugshaube erschien, von der er zu wissen glaubte, dass sie schon rein physikalisch nicht funktionieren konnte, sah er seine Chance gekommen. »Ganz ausschließen kann man das aber nicht. Wir haben im Klub ja auch ein paar weibliche Mitglieder.«

      Zunächst glaubte er, seine Frau hätte gar nicht richtig wahrgenommen, was er da eben gesagt hatte.

      Was für eine clevere Taktik von ihm.

      »Was höre ich da? Das kann doch nicht dein Ernst sein?«

      Elfriede hatte ihm jetzt ihr Gesicht zugewandt. Er erkannte die Warnsignale. Die hochgezogenen Augenbrauen und die zwei Stirnfalten hatten ihm in der Vergangenheit zuverlässig kommendes Ungemach angekündigt. In ihrer Stimme lag eine Schärfe, vor der er schon Angst gehabt hatte, als er mit seiner Elfriede noch gar nicht verheiratet gewesen war. »Untersteh dich, dort hinzugehen! Wenn dir mein Busen nicht mehr knackig genug ist, dein Pech. Damit du es nur weißt, an dir ist auch nicht mehr alles knackig, mein Lieber, aber deswegen lüstet es mich noch lange nicht nach frischerem Fleisch. Schlag dir diese Sauna aus dem Kopf!«

      Felix spürte, dass er einen roten Kopf bekam. Typisch Elfriede. Angriff als beste Verteidigung.

      »Du verstehst das völlig falsch. Glaubst du, ich reiße mich darum? Aber als Rechnungsprüfer des Kegelklubs kann ich mich halt nicht ausschließen. Wie würde denn das ausschauen, wenn ich als Mitglied des engeren Führungskreises kneifen würde. Außerdem sitzen wichtige Leute drinnen, die ein Wörtchen bei einer Beförderung zum Gruppeninspektor mitzureden haben.«

      »Dieses Märchen vom Sprung zum Gruppeninspektor, der angeblich unmittelbar bevorsteht, kann ich schon nicht mehr hören.«

      Die Tonlage seiner Frau bereitete seinem sensiblen Ohr genauso ein körperliches Unbehagen wie die Kartoffelsäure in seiner Hand.

      »Die verwenden dich doch nur als nützlichen Idioten. Und du merkst es nicht einmal. Genauso wie der junge Polizist da im Fernsehen.«

      Wie