wirken nicht nur besonders stark auf unser Belohnungssystem. Sie greifen unser Gehirn und damit unsere Selbstkontrolle auch noch auf einer anderen Ebene an.
Dabei geht es um die gesättigten Fettsäuren in industriell hergestellten Nahrungsmitteln.
Studien zeigen, dass gesättigte Fette im Gehirn vermehrt freie Radikale freisetzen und damit Entzündungsreaktionen begünstigen. Außerdem reduzieren sie die Bildung eines Proteins, das für die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, sowie für die Erinnerung wichtig ist.
Wozu führt das?
In einer Studie bekamen Nagetiere Futter mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren. In MRT-Untersuchungen waren bereits ein bis drei Tage nach der Futterumstellung Entzündungsreaktionen im Hypothalamus erkennbar.
Der Hypothalamus ist eine Überwachungsstation im Gehirn, die Werte wie Körpertemperatur, Wasserhaushalt, Kreislauffunktionen, Atmung oder Blutzuckerwerte kontrolliert.
Die Nagetiere mit dem entzündeten Hypothalamus nahmen rasch an Gewicht zu.
Ähnliche Ergebnisse brachten MRT-Untersuchungen des Gehirns übergewichtiger Menschen. Auch ihr Hypothalamus zeigte entzündliche Veränderungen.
Forscher vermuten nun, dass diese entzündlichen Veränderungen einen Kontrollverlust zur Folge haben.
Das bedeutet:
Die gesättigten Fettsäuren in industriell hergestellten Lebensmitteln bewirken, dass wir weniger gut bestimmen können, was wir essen, wieviel wir essen und wann wir wieder aufhören zu essen.
Noch drei Fallen der Lebensmittelindustrie
Die Lebensmittelindustrie hat noch drei aus ihrer Sicht geniale Methoden entwickelt, wie sie ihre Produkte „hyperpalatable“ machen kann.
Erstens. Viele industriell hergestellte Nahrungsmittel weisen ein Ungleichgewicht zwischen Omega 3- und Omega 6-Fettsäuren auf. Damit gehen ebenfalls Entzündungen im Hypothalamus und eine Neigung zum Kontrollverlust einher.
Zweitens. Der hohe Glykämische Index (GI) industriell hergestellter Lebensmittel schwächt ebenfalls die Selbstkontrolle beim Essen. Der den meisten Diät-Profis schon bekannte GI ist ein Maß für die Wirkung eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels auf den Blutzuckerspiegel. Je höher der GI, desto mehr treibt uns unser Blutzuckerspiegel beim Essen sozusagen vor uns her. Zuerst steigt er, und wenn er ebenso rasch wieder fällt, fühlen wir uns „unterzuckert“ und brauchen sofort Nahrungsnachschub.
Drittens. Die Lebensmittelindustrie sorgt für eine möglichst hohe Geschwindigkeit, mit der unser Körper ihre Produkte aufnehmen kann. Sie hält zu diesem Zweck den Wasser-, Eiweiß- und Fasergehalt der Lebensmittel absichtlich niedrig. Rasche Aufnahme bedeutet ebenfalls einen raschen Blutzuckeranstieg und damit ein höheres Suchtpotenzial.
Dirty Drugs
In amerikanischen Studien ergab sich folgende „Hitliste“ von Lebensmitteln, die chemisches Craving auslösen können:
1. Milchschokolade
2. Eiscreme
3. Pommes frites
4. Pizza
5. Kekse
6. Chips
7. Kuchen
8. Popcorn
9. Cheeseburger
10. Muffins
Unter Dirty Drugs, also schmutzigen Drogen, verstehen wir Substanzen, die im Gehirn an verschiedene molekulare Bindestellen oder Rezeptoren andocken und Dinge mit uns machen, die wir nicht wollen.
Sie haben eben gesehen, dass stark verarbeitete, industriell hergestellte Lebensmittel aufgrund ihrer Inhaltsstoffe genau das tun.
Sie verändern beziehungsweise beeinflussen verschiedene Regionen Ihres Gehirns und haben viele Wirkungen aber auch Nebenwirkungen.
Sie erfüllen damit im Grunde alle Kriterien für sogenannte Dirty Drugs, weshalb wir sie in diesem Buch auch wie solche behandeln.
Dunkle Geheimnisse
Vielleicht legen Sie das Buch nun zur Seite, lehnen sich zurück und denken nach. Wobei Ihnen ein paar „dunkle Geheimnisse“ Ihres Lebens einfallen – Geheimnisse, die Sie vielleicht bisher sogar vor sich selbst zu verbergen versucht haben. Doch jetzt auf einmal sehen sie nicht mehr aus wie peinliche persönliche Schwächen, die nur Sie allein haben, sondern wie Effekte, die eine profitorientierte Milliardenindustrie bewusst hervorruft und deren Folgen Sie mit hunderten Millionen anderer Menschen teilen.
Vielleicht erinnern Sie sich an Urlaube, bei denen Sie mit dem Auto in einsamen Gegenden unterwegs waren und einiges an Chips und Cola dabeihatten, bloß damit Ihnen nichts fehlen würde. Sie haben auch ziemlich viel davon gegessen, was Ihnen vor Ihrer mageren Reisebegleiterin immer ein bisschen unangenehm war. Sie hätten es am liebsten heimlich getan, als handle es sich tatsächlich um illegale Substanzen.
Vielleicht mussten Sie einen Vortrag vor Kollegen oder auf einer Tagung halten und haben vor lauter Stress beim Lunch davor innerhalb weniger Minuten Essen mit mehr als 4.000 Kalorien (eine Portion Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln hat 840 Kalorien) in sich hineingestopft.
Oder ihr Freund wollte Sie beim Abnehmen unterstützen und hatte für Sie ein tolles Gericht nach Paleo-Art gekocht. Es hat Ihnen auch tatsächlich gut geschmeckt. Sie haben ausreichend gegessen, unter anderem auch viel Salat. Später waren Sie sogar noch im Fitnessstudio und haben sich danach wirklich wohl gefühlt. Sie waren stolz auf sich.
Am Heimweg vom Fitnessstudio kam dann allerdings die Attacke. Sie sind extra einen Umweg gefahren, um bei McDonald’s stehenzubleiben, wo Sie zwei Menüs auf einmal gegessen haben.
Das alles waren keine glorreichen Momente für Sie. Aber Sie haben diese Momente bisher wahrscheinlich falsch als reine persönliche Schwäche interpretiert. Was da in Ihnen vorgeht, ist im Grunde ganz normal. Sie reagieren sozusagen nach Plan, bloß ist es nicht Ihr Plan, sondern jener der Lebensmittelindustrie.
Anders ausgedrückt:
Niederlagen beim Umsetzen Ihres Ernährungsplans lassen sich vermeiden, aber nicht allein durch eisernes Widerstehen.
Bei diesem Versuch werden Sie regelmäßig an Ihre Grenzen kommen und sie ebenso regelmäßig überschreiten.
Sie brauchen vielmehr einen neuen Plan. Ihren eigenen.
Ganz ehrlich: Haben Sie nicht ohnedies schon immer vermutet, dass bestimmte Lebensmittel Suchtpotenzial haben? Auch damit sind Sie nicht allein. Laut Studien glauben das 86 Prozent der Bevölkerung.
Es geht also darum, das Suchtpotenzial von Lebensmitteln nicht mehr bloß als diffuse Möglichkeit, sondern als Faktum zu betrachten und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Womit Sie auch endgültig keinen Grund mehr haben, sich für Ihr Übergewicht zu schämen. Dazu haben wir eine interessante Analyse aus dem Jahr 2014 gefunden: Sie ergab, dass das individuelle und kollektive Erkennen des Suchtpotenzials von Essen die Scham und die Stigmatisierung von Übergewichtigen senkt. Wir finden: zu Recht!
Denken Sie also bitte daran:
Ihr Übergewicht ist nicht allein die Folge von Willensschwäche, die Sie sich selbst vielleicht vorwerfen, oder Ihre mangelnde Konsequenz. Das Problem liegt nicht ausschließlich in Ihrer Verantwortung.
Frankreich zum Beispiel ist ein Land, das lange berühmt war für seine Essenskultur und für die Qualität seiner Lebensmittel.
In Frankreich war es üblich, mehrere Gänge zu essen, das Essen zu kultivieren und sich viel Zeit dafür zu nehmen. Die Anzahl der McDonald’s-Filialen als Symbol für den Sieg der Gier über den Genuss lag lange weit unter dem europäischen Schnitt, ebenso die Anzahl