Rhea Krcmárová

Venus in echt


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Sein Blick klebte auf ihren Brüsten und auf seinen Schläfen sammelte sich Schweiß. Sie legte eine Hand auf ihre Pussy und streichelte sich selbst, während er sie vögelte. »Yes, Baby«, stöhnte sie. »Bring meine Dinger zum Hüpfen.«

      Ich schaltete den Ton weg, weil mich das gespielte Stöhnen nervte, und sah mir das Video noch einmal an. Sah noch einmal ihr Fleisch sich bewegen, die Fülle ihres Körpers, den Ausdruck der Lust auf seinem Gesicht, und bemerkte die Wärme, die sich in meinem Schoß ausbreitete.

      Ich verließ die pornografischen Seiten und sah mir Seiten mit Plus-Size-Mode und von Dicken-Aktivisten an. Ich fand tausende Einträge und Bilder, auf Webplattformen und Blogs, auf Tumblr, Facebook und YouTube. Ich sah dicke Frauen, die sich modischer, schicker und wilder kleideten, als ich es mich je getraut hatte. Frauen, die Stile von Vintage über Avantgarde bis Gothic durchprobierten und mit ihren Liebhabern und Ehemännern posierten. Ich kam mir vor wie eine Figur in einem Spiel, die zu lange auf Level eins herumgekrochen war und schließlich feststellte, dass es mehr gab als nur ihr Dorf und den Wald darum herum. Dass es eine ganze Welt gab, mit Inseln und Bergen und Städten und Wüsten und Verließen. Eine Welt, von deren Existenz sie die ganze Zeit nichts geahnt hatte.

      Auf dem Blog einer deutschen Plus-Size-Pinup-Liebhaberin fand ich eine Kolumne über dicke Fashionistas. Ich scrollte mich über die Seite und zuckte zusammen. Ein Bericht war Christians dicker Sonja gewidmet. Ich wollte die Seite schließen, zwang mich aber, genauer hinzusehen.

      Ich musste wissen, was sie anders machte als ich. Ich sah Fotos von ihr, wie sie im Badeanzug am Strand posierte, im Ballkleid eine Festsaaltreppe hinunterlief und bei einer Rock ’n’ Roll-Party ihr Korsett zur Schau trug. Widerwillig gestand ich mir ein, dass ich Sonja schön fand, dass sie ein echter Vamp war, mutig und selbstbewusst. Ich konnte richtig sehen, dass sie sich in ihrer Haut wohl fühlte und dass sie sich sexy fand. Ich wusste nicht, worum ich sie mehr beneidete, um Christians Liebe oder um dieses Selbstvertrauen.

      Als ich Stunden später meinen Computer zuklappte, fragte ich mich, wie es Sonja und all die anderen Frauen auf diesen Seiten geschafft hatten, sich so frei und sexy zu fühlen. Sicher, ich hatte beim Bauchtanzen und beim Aktzeichnen auf der Kunstuni gelernt, meine Rundungen einigermaßen zu akzeptieren. Autorinnen wie Natalie Angier und Naomi Wolf hatten mich gelehrt, meine Anatomie mit einer gewissen Faszination zu betrachten. Aber einen dicken Körper wirklich liebens- und begehrenswert finden? Immer, wenn eine dicke Frau das behauptete, dachte ich, dass sie sich selbst belügt. Wie konnten sich Menschen selbst lieben, wenn sie die ganze Welt mit Beleidigungen und Vorurteilen bombardierte? Wenn sie höchstens als Vorherbild einer Diätreportage vorkamen? Wenn Modeschöpfer sie immer nur in bunt bedruckte Säcke stecken wollten? Wenn ihnen Gesundheitsstatistiken nachzuweisen versuchten, dass sie die Krankenkassen zum Kollabieren brachten? Wie sollten sie sich da sexy fühlen?

      Sonja tat es. Sie liebte ihren runden Körper, genauso wie die Plus-Size-Bloggerinnen, die dicken Models und die runden Pornostars, deren Clips von Millionen von Männern angeklickt wurden. Ein Gedanke formte sich in meinem Kopf: Wenn diese Frauen es konnten, wollte ich es auch lernen. Wollte es lernen, wollte herausfinden, was an meinem Körper sexy war. Wollte nachholen, was ich in Sachen Sinnlichkeit versäumt hatte. Ich wollte mich nicht wieder in den erstbesten verlieben und ihn mit etwas Pech wieder aus der Ferne anschmachten, sondern XP sammeln. Ich wollte Männer finden, die fette Frauen erotisch finden, und alles gutmachen, was ich verpasst hatte. Ich wollte den Teil von mir, der unter all den Unsicherheiten und Ängsten vergraben war, der sehnsüchtig und hungrig war, an die Oberfläche holen.

      KAPITEL 4

      Die Tänzerin warf dem Publikum kokette Blicke über die Schulter zu, als sie ihren Glitzer-BH öffnete. Dann drehte sie sich um und ließ den Büstenhalter von ihren Schultern gleiten, über Brüste und Bauch, die nicht viel kleiner waren als meine. Sie wirbelte den BH wie ein leuchtendes Windrad durch die Luft und ließ ihn auf den Bühnenboden fallen, wo schon ihr Korsett, die Strümpfe, die langen Handschuhe und der Rest ihres Kostüms lagen wie kleine, pink glitzernde Pfützen. Im Takt der Musik hob sie ihre Arme und setzte ihren üppigen Leib in Bewegung, sodass die Quasten der Pasties über ihren Brustwarzen sich drehten wie kleine Flugzeugpropeller. Das Publikum kreischte, lachte und applaudierte. Die Tänzerin, die sich »Dirty Martini« nannte, warf uns eine Kusshand zu und stolzierte von der Bühne.

      »Ist sie nicht großartig?«, flüsterte Tamsin in meine Richtung.

      Ich nickte. »Wie macht sie das?«

      »Tassle twirling kann man lernen«, sagte Tamsin und zwinkerte mir mit einem verschwörerischen Lächeln zu.

      Ich lächelte zurück. Anfangs war ich etwas verlegen gewesen, meine künftige Chefin ausgerechnet bei dem Striptease-Event in einem Vintage-Club in der Nähe der Brick Lane, den ich bei meiner Recherche im Internet gefunden hatte, über den Weg zu laufen. Doch Tamsin, die nur eine Kleidergröße weniger hatte als ich, schien sich über meine Anwesenheit zu freuen und steckte mich mit ihrem Enthusiasmus für Burlesque richtig an.

      »Ich habe vergangenen Sommer einen Kurs an der New York School of Burlesque belegt, bei Jo Boobs«, erzählte sie mir. »In Wien gibt es sicher auch Kurse.«

      »Müsste ich mal googeln.«

      Vor zwei Tagen hätte ich beim Gedanken an so einen Kurs noch laut gelacht. Inzwischen fand ich die Idee zumindest überlegenswert.

      Mein Blick fiel auf bestickte Korsagen, Tüllröcke, Federhütchen, Strasscolliers, mit Glitter überzuckerte Münder und Augen und falsche Wimpern, die bis zur Decke zu reichen schienen. Ich hatte noch nie so viele glamouröse Frauen in einem Raum gesehen. Aber das Schönste war, dass hier nicht alle Frauen so dünn wie Dita Von Teese waren. Einige der abendlichen Schönheiten entpuppten sich sogar als deutlich üppiger als ich.

      Tamsin gehörte eindeutig auch zum Glitzervolk. Sie hatte ihre geschätzten neunzig Kilo elegant in Lagen von cremefarbenem Satin gehüllt, der sich hell von ihrer dunklen Haut abhob, und auf ihren üppigen Afrolocken thronte kokett ein silbrig glitzernder Minizylinder.

      In meinem dunklen Rock und dem schlichten Spitzentop kam ich mir neben ihr vor wie Andersens Entlein in einer Vorstellung von Schwanensee. Ich hatte heute zwar die Einkaufsstraßen von London abgeklappert und meinen Koffer mit Kleidern und Dessous gefüllt, die ich in Wien nicht bekommen konnte – mehr Spitze, mehr Farbe, wildere Schnitte und tiefere Dekolletés, Stickereien, Pailletten, und hübschere Dessous, als ich sie je besessen hatte – aber die ausgefallensten Sachen hatte ich in einem kurzen Anflug von Schüchternheit im Hotel gelassen. Ein Fehler, wie sich herausstellte.

      Tamsin drehte sich zur Saaltür und winkte lächelnd einem Mann in einem Frack zu, der sich daraufhin seinen Weg zu uns bahnte. Er küsste Tamsin, sobald er sie zu fassen bekam, und meine neue Chefin drehte sich zu mir um. »Darf ich dir meinen Freund Colin McCutcheon vorstellen?« Sie hängte sich bei ihm ein und drückte ihren Körper an den Mann, der aussah wie ein Elitesoldat aus einem Ego-Shooter, den jemand gegen seinen Willen in Abendkleidung gesteckt hatte.

      »Sehr eleganter Frack«, sagte ich. »Leibwächter bei der Queen?«

      Colin lachte. »Oboe im Orchester der English National Opera.«

      Als er meine vor Überraschung hochgezogenen Augenbrauen bemerkte, wurde sein Gesicht weich, und ich verstand, was Tamsin an Colin anziehend fand.

      »Vor ihm habe ich immer geglaubt, dass sich im Netz keine Männer mit Klasse herumtreiben«, sagte Tamsin und drückte ihrem Geliebten einen Kuss auf die Wange.

      »Was für eine Plattform war das?« Ich lächelte die beiden an. »Da sollte ich auch mal vorbeischauen.«

      »Bist du auf der Suche?«, fragte Tamsin.

      »Sozusagen. Ich fürchte nur, die herkömmlichen Datingseiten geben für Frauen wie mich nicht viel her.«

      »Vergiss die üblichen Plattformen, und versuch es lieber auf den Seiten für Liebhaber von Plus-Size-Frauen«, sagte Colin. »So habe ich diesen Schatz hier gefunden.« Er hauchte Tamsin einen Kuss auf die Stelle zwischen Ohr und Nacken.

      Ich glaubte, Tamsins Erregung bis zu