Mal“ erinnern. Das erste Mal wirkt wie ein unheilvoller Initiationsritus. Es gibt ein klares Davor, ein klares Danach. Die Qualität von Unwirklichkeit, von unwirklichem Nebel, die sich bei meinem ersten Mal einstellte, war ein starkes Dissoziationssymptom. Auch das Gefühl, wie ferngesteuert, wie auf „Autopilot“ geschaltet zu sein, ist ein Dissoziationssymptom. Ein Teil meines Erlebens musste sich ausschalten. Ein Teil von mir ging weg, war nicht mit dabei, wurde abgespalten. Das war zunächst eine Erleichterung. Vom Fühlen weggehen, vom Schauen weggehen, vom Ekel weggehen. Hingehen zu dem Teil, mit dem die Ich-Identifikation stattfindet: Ich bin selbstbestimmt. Ich bin mutig. Ich bin begehrenswert. Ich bin gewollt.
Schon beim ersten Mal merkte ich, wie schnell der Mann, nachdem alles zur Zufriedenheit „verrichtet“ war, weg wollte. Ich wollte das auch. Es war ein beidseitiges, schnelles „Rückabwickeln“. Mit dem Auto zurückfahren, aussteigen, fertig. So aufgeladen und sich steigernd die erste Phase war, so nüchtern und schnell die letzte. Diese Abfolge blieb. Wie eine unausgesprochene, doch allen Beteiligten bekannte Regieanweisung erlebte ich diese Abfolge in allen Prostitutionskontexten. Schnell raus und schnell ins „Normale“ zurück – dies habe ich bei den Freiern, bei mir selbst wie auch bei anderen Prostituierten erlebt. Dieses fast schon ritualisierte Verhalten ist mit dem Teil des Selbst verbunden, der weiß, dass das, was eben getan wurde, in gewisser Weise nicht stimmt, nicht guttut. Es nimmt etwas Schaden in einem selbst, in der Frau, im Mann. Die Psyche nimmt wahr, dass ein Teil Schaden nimmt. Also schnell raus, schnell zurück. Als ob es durch ein schnelles Rausgehen ein Ungeschehenmachen gäbe. Als wenn es ein Zurück gäbe. „Nunca atrás!“ Niemals zurück!
„Neue“ Frauen sind begehrt bei den Männern. „Frischfleisch“: eine abwertende Benennung, doch sie trifft den Kern. Das Unverbrauchte, das Unerfahrene und Unwissende ist attraktiv. Jungfräulich trifft es nicht in der Sache, doch in der Qualität. Die erfahrenen Frauen haben die Qualität der Wissenden, die bekannten Frauen haben die Qualität des Bekannten, doch sie alle werden übertrumpft durch die in der Prostitution neuen Frauen mit ihrer „jungfräulichen“ Qualität. Ein Privileg, der erste Mann einer Jungfrau zu sein? Es sind vermutlich archaische Muster, die hier greifen und den „Marktwert“ erhöhen: Die Jungfrau, unberührt, rein, vertraulich, sanft. Drachen und Engel sind ihre Begleiter.
Geld für „verrichtete“ Sexualität
Die Sexualität wird „verrichtet“. Nach „Verrichtung“ der Dinge. „Verrichtungs-Container“ werden in Städten aufgestellt, zur Verrichtung der Dienstleistung. Sein Geschäft verrichten. Merkwürdiges Wort in einem merkwürdigen Zusammenhang. Des Merkens würdig. Des Aufmerkens würdig. Nach der „Verrichtung“ bleibt eine des Merkens würdige Anmutung des Schnell-hinter-sich-Bringens zurück. Etwas Unangenehmes bleibt. Insofern ist das Wort Verrichtung, so abwertend und unpassend es im Kontext der Sexualität erscheint, doch in gewisser Weise zutreffend. Unangenehm, es muss eben getan werden, schnell hinter sich gebracht werden, damit es „rum“ ist. Wie traurig das doch wirkt. Wie traurig im Zusammenhang mit gelebter Sexualität zwischen Menschen. Die Sprache bringt es an den Tag.
Ein Mann sagt zu der Prostituierten, nachdem er entsprechend seinem ihr gezahlten Geld seine Verrichtung getätigt hat: „Gut warst du.“ Was passiert da? Was meint er? Was war gut? Wieso gut? Und was passiert mit der Frau? Zunächst meint die Aussage: „Ich bin fertig.“ Der Mann meint: „Ich bin befriedigt.“ Auch ein „Danke für das, was ich bekommen habe“ schwingt mit. „Gut“ bedeutet in diesem Zusammenhang: „Das, was ich wollte, wofür ich bezahlt habe, habe ich bekommen.“ Der vermeintlich simple Zusammenhang hat tiefgreifende und sehr verzweigte Facetten. Deshalb komme ich auch in anderem Zusammenhang später darauf wieder zurück. Hier hat die Frau es folglich verstanden, den Mann mit seinen Vorstellungen umfänglich zu sehen. Nicht nur das, was er sagt zu wollen, auch das, was er nicht sagt und doch will. Nicht nur seine ausgesprochenen Wünsche und Bedürfnisse sind von der Prostituierten zu erfassen, zu verstehen, zu erahnen, sondern auch seine nicht ausgesprochenen. Seine bewussten, „gewollten“ Szenarien, auch seine nicht bewussten, nicht seinem bewussten Wollen zugänglichen Szenarien. Wenn eine Prostituierte sich an dies alles anzupassen versteht, dies alles zu inszenieren weiß, das, was sie tut, darauf einstellt, dann ist sie „gut“. Dann sagt der Mann: Du warst gut. Das Konglomerat aus zugänglichem Wollen, sexueller Fantasie, physischen Begierden, darunterliegenden Bedürfnissen, nicht zugänglichen Impulsen und Gegenimpulsen, im Kontext der Sexualität auflebenden Geboten und Verboten ist riesig. Dies alles aufzunehmen, sich an das ausgesprochen Gewollte wie an das nicht ausgesprochen darüber hinaus auch Gewollte anzupassen, die Impulse wie die Gegenimpulse zu erfassen, aus allem ein konkretes Verhalten folgen zu lassen, das ist die Aufgabe der Prostituierten. Auch dafür, vielleicht sogar gerade dafür, wird sie bezahlt. Eine Dienstleistung im Wortsinne, bei der der Auftraggeber nur einen Teil seines Auftragswunsches expliziert. Der nicht ausgesprochene Wunsch muss ebenso, vielleicht sogar stärker noch als der ausgesprochene, Berücksichtigung finden, damit der Mann „gut“ sagen kann. Dieser Vorgang vollzieht sich meiner Erfahrung nach eher intuitiv als bewusst gesteuert. Es scheint eine unbewusste Absprache und Einschwingung zwischen dem Freier und der Prostituierten zu geben, was gewollt wird, was geschieht. In diesem Sinne könnte man eher von „Werkvertrag“ als von „Dienstvertrag“ bei der Prostitution sprechen. Die Frau wird vordergründig für ihren „Dienst“ entlohnt – im Grunde wird sie jedoch entlohnt für die Vollbringung eines konkreten „Werkes“, dessen Vollendung sich ausschließlich und einseitig aus der Befriedigung der bewussten und unbewussten, der expliziten und impliziten Wünsche des Mannes definiert. Diesem „Werkvertrag“ stimmt die Prostituierte zu. Sie stimmt dieser einseitigen Befriedigung des Mannes in aller Komplexität zu. Will die Frau nicht, stimmt sie nicht zu, sagt der Mann nach der Verrichtung nicht „gut“ oder es kommt zu Gewalt. Er holt sich, was er will, ohne Einstimmung und Zustimmung der Frau. Dann geschieht die Verrichtung einseitig. „Gut“ war es dann nicht.
Die Prostituierte hat eben nicht – wie sie sich selbst anpreisen muss oder angepriesen wird – besondere Vorlieben, die sie „gerne“ auslebt. Sie passt sich mit dem, was sie als eigene Vorliebe ausgibt, an. Entweder an den Markt, also: Was wird gerade gewünscht und gebraucht? Wovon gibt es zu wenig? Womit habe ich ein relatives Alleinstellungsmerkmal? Oder sie schließt an ihre Erfahrung an: Was kann ich besonders gut? Was fällt mir leicht? Eine eigene Vorliebe ist es nicht. Denn dann würde sie diese Vorliebe auch in ihrer eigenen Sexualität leben, fernab des pekuniären Kontextes. Das tut sie nicht. Eine Frau, die angibt, sie stehe auf Lacklederstiefel beim Sex, auf rote Unterwäsche oder Windeln, trägt diese Kleidung nicht bei dem Mann, den sie liebt.
Auch in der Qualität, wie sie dem Mann begegnet, muss die Prostituierte sich auf den Mann einstellen: eher weich, zurückhaltend, anschmiegsam, nachgiebig, willenlos oder eher führend, fordernd, Grenzen setzend, bestimmend. Wann eher in der einen Qualität? Wann eher in der anderen Qualität? Sie muss im Moment erfassen, wann welcher Wechsel ansteht, welche Zeichen was bedeuten mögen, welcher Gesichtsausdruck, welche Körperhaltung, welches Atmen, welcher Blick. Aus dem Repertoire, das ihr zur Verfügung steht, wählt sie das ihr passend und adäquat Erscheinende aus, beobachtet die erzielte Wirkung, adaptiert weiter und weiter, so lange, bis das „Werk“ verrichtet, vollbracht ist. Während ihrer gesamten „Leistungserbringung“, von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Verabschiedung, stellt die Prostituierte sich im Gesamten ein auf das, was der Mann, der zahlt, sagt zu wollen und will, ohne zu sagen. Kein anspruchsloses Unterfangen. Auf dieses „Gesamtkunstwerk“, auf dieses Werk in der Gesamtheit der Kunstfertigkeit, auf die Fertigkeit in dieser Kunst, bezieht sich der Mann, wenn er „gut“ sagt. Dafür zahlt er. Dafür erhält die Prostituierte das Geld.
Heutige Sicht
Die unheilvolle Verbindung von Sex und Geld
Die Verbindung von Sexualität und Geld ist eine unheilige. Es ist eine nicht heile Verbindung. Ihre Existenz rechtfertigt nicht ihre Gutheißung. Wir müssen eine neue Perspektive wagen, einen anderen Blick einnehmen, eine Vision entwickeln. Wir müssen über das Ziel hinaus zielen, um es zu treffen.
In Kurzfassung lautet das aktuelle Credo: Jeder, wie er will. Jede, wie sie will. Wenn also sie im Tausch gegen Geld will und er im Tausch gegen Geld will, sollen sie doch. Ist doch ihre Sache. Wenn es ihnen Spaß macht und alle erwachsen sind