nur aus Hierarchien, und Hierarchien sind nicht grundsätzlich schlecht
Nach Wimmer wurzelt das dem Organisationsentwicklungsansatz zugrunde liegende Denkmodell in den hierarchiekritischen Reformbewegungen nach dem zweiten Weltkrieg (vgl. Wimmer 2003, S. V). Alle mit dem OE-Ansatz verbundenen Theorien und Methoden würden – zumindest implizit – auf eine Verflachung und Kompensation der als Quelle organisationaler Defizite identifizierten Hierarchie abzielen. Nun sei die klassische Hierarchie nach wie vor anzutreffen, aber die Entwicklung habe in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von neuen Organisationsformen hervorgebracht, die als eigenständige Varianten neben der Hierarchie stünden (vgl. Wimmer 2003, S. 22 f.). Aus diesem Blickwinkel erscheint die heutige Organisationsrealität nicht mehr primär hierarchisch, sondern heterogen und netzwerkartig. Von (a) nach wie vor randscharfen, hierarchischen Organisationen über (b) global agierende, bereits netzwerkartige Gebilde mit höchst unterschiedlich organisierten Teilbereichen bis hin zu (c) kleinen, nur mehr kernprägnanten und kaum Hierarchie bildenden Netzwerken einzelner Akteure stehen viele Organisationsmodelle nebeneinander (für die Unterscheidung zwischen »randscharfen« und »kernprägnanten« Organisationen s. Jung 2010). Sowohl die theoretischen Grundlagen als auch die Methoden des primär Hierarchie korrigierenden Organisationsentwicklungsansatzes seien konzeptionell auf diese Vielfalt – die sie selbst mit hervorzubringen geholfen haben – nicht vorbereitet und bedürften deshalb der Weiterentwicklung. Wimmer (2003, S. 28) bezweifelt allerdings, dass dies der »OE-Szene« gelingt.
Dritter Kritikpunkt: Die Organisationsentwicklung hat sich zu weit von der Betriebswirtschaft entfernt
Häufig wird eine betriebswirtschaftlich dominierte Fachberatungs- von einer auf den Veränderungsprozess selbst fokussierten Perspektive unterschieden. Diese Unterscheidung ist insofern zutreffend, als dass sich die beiden Perspektiven in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend getrennt voneinander entwickelt haben, sodass gegenwärtig von einer gewissen Unvereinbarkeit zwischen beiden ›Modellwelten‹ ausgegangen werden muss – betriebswirtschaftliche Modelle der Veränderung von Organisationen lassen sich nicht oder nur schwer mit Modellen aus dem Bereich der Organisationsentwicklung verbinden. Halek (2012, S. 86) meint, die Systemtheorie habe das Verständnis von Organisationsentwicklung regelrecht »erobert« und sei heute als die im deutschsprachigen Raum dominante Perspektive anzusehen. Dies sei insofern schwierig, als dass die Organisationsentwicklung dadurch die Verbindung zur betriebswirtschaftlichen Perspektive verloren habe. Für gelingende Veränderungen sei ein integrierender Ansatz notwendig. Es sei nicht hilfreich, wenn (systemische) Organisationsentwickler die Ursachen für das Scheitern von Veränderungen allein in der betriebswirtschaftlichen Denkweise suchten. Vielmehr seien Brücken notwendig.
Die Schwächen des gegenwärtig populären systemischen Beratungsverständnisses liegen aus unserer Sicht vor allem darin, dass spezifische Eigenheiten des Phänomens Organisation, wie etwa die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Organisationskultur oder Fragen der Macht, nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren ist das zu gering differenzierte Verständnis von Intervention anzuführen, etwa wenn Methoden der Familientherapie auf Teams und ganze Organisationen übertragen werden, ohne dass es dafür eine entsprechende theoretische Grundlage gibt (vgl. Kühl & Moldaschl 2010, S. 15 f.; siehe auch Moldaschl 2010, S. 281). Unseres Erachtens kommen systemische Denkweisen und Methoden – bei all ihren praktischen Stärken – an Grenzen, wenn es um Fragen der Bearbeitung von Konflikten geht, bei denen ausgeprägte unbewusste Dynamiken eine Rolle spielen. Gerade dann sind Instrumente wie Deutung oder Konfrontation oft hilfreicher als das – zuweilen blinde – Vertrauen in die Ressourcen der Organisation.
Was verstehen wir unter Prozesspsychologie?
Eine Untersuchung von Macy & Izumi (1993; hier dargestellt nach Nerdinger et al. 2008, S. 165) macht deutlich, welche Maßnahmen auf welcher Organisationsebene die stärksten Effekte haben:
• Wird die gesamte Organisation in die Veränderung einbezogen (Prozesse und Struktur), so hat dies den deutlichsten Einfluss auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse.
• Teamentwicklung und andere Interventionen auf Gruppen- bzw. Abteilungsebene entfalten ihre stärkste Wirkung in Bezug auf das Verhalten der Mitarbeiter.
• Interveniert man auf individueller Ebene, bleibt dies meist ohne Effekt, sowohl in Bezug auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse als auch in Bezug auf das Verhalten oder die Einstellung von Mitarbeitern. Selbst hoch spezifisch angepasste Maßnahmen erzielen nur eine geringe messbare Wirkung.
Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der in der Praxis häufig anzutreffenden Vermutung, auftretende Probleme seien in erster Linie an einzelnen Personen festzumachen. Dementsprechend werden Maßnahmen zur Behebung der Probleme zunächst auf der individuellen Ebene angesiedelt – und damit falsch verortet. In der Hoffnung, die Erweiterung von Kompetenzen trage zur Verbesserung bei, werden die betreffenden Mitarbeiter und Führungskräfte zu Schulungen oder Trainings geschickt. Der Transfer des dort Gelernten in die Unternehmenspraxis ist jedoch schwierig, weshalb solche Interventionen oft ergebnislos bleiben. Die Ursachen für den »Kurzschluss«, die Verantwortung für Problemlagen auf der individuellen Ebene zu suchen, liegen in der Unterschätzung des Einflusses, der von der Gruppen- und Organisationsebene ausgeht. Fehlerhaftes Verhalten ist mehr eine Frage des das Verhalten bedingenden Systems denn des handelnden Individuums (vgl. Zimbardo 2007, S. 208). Hinzu kommt, dass durch die Eigenheiten des menschlichen Denkens vielschichtige Problemlagen auf einzelne Ursachen bzw. Personen reduziert werden, wodurch die Lage handhabbarer und weniger komplex erscheint, es aber in keiner Weise ist (vgl. Dörner 2007). Organisationaler Wandel gelingt im Sinne der Verbesserung betriebswirtschaftlicher Ergebnisse insbesondere dann, wenn die gesamte Organisation in das Veränderungsvorhaben einbezogen wird (vgl. Macy & Izumi 1993). Stark vereinfachte Vorstellungen über die Steuerbarkeit von Wandel sind deshalb fehl am Platz. Mit Morgan (1997, S. 473 f.) plädieren wir deshalb dafür, die vielfältige Realität in Organisationen durch mehrere Perspektiven zu betrachten. Die vorhandenen Organisationsentwicklungsansätze – und unter diesen insbesondere der systemische als der gegenwärtig populärste – sind bei genauerer Betrachtung den gegenwärtigen Entwicklungen als Einzelmodelle nicht gewachsen. Es scheint uns geboten, die organisationsentwicklerischen – oder um einen aus unserer Sicht treffenderen Begriff zu verwenden: organisationsanalytischen – Konzepte und Methoden wieder stärker an die technisch-betriebswirtschaftliche Perspektive ›rückzubinden‹. Wir versuchen, dieser Maßgabe gerecht zu werden, indem wir unsere psychologisch fundierte und auf den Veränderungsprozess selbst orientierte Auffassung von Wandel mit Konzepten und Methoden des Prozessmanagements als technischbetriebswirtschaftlich orientiertem Denkmodell zur Veränderung bzw. Weiterentwicklung von Unternehmensabläufen verbinden.
Veränderungen sind keine Wechsel von einem Zustand in einen anderen, und sie tragen auch nicht den Charakter von Prozessmusterwechseln mit klarem Anfang und Ende. Vielmehr findet Entwicklung dauernd statt, und zwar im Sinne eines zukunftsoffenen Evolutionsprozesses. Innovationen folgen einem Muster aus bewussten Überlegungen einerseits und Trial and Error andererseits (vgl. Sennett 2008, S. 73). Erfolg kann kaum geplant werden (vgl. Chia & Holt 2011; Harford 2011), wenn er aber auftritt, dann wird er mittels Organisation dauerhaft und effizient gemacht. Veränderungen, insbesondere aber Innovationen, können demzufolge nicht im Sinne des Managementbegriffes gesteuert werden, denn Management setzt voraus, dass sich die anstehenden Aufgaben steuern lassen. Doch gerade in Situationen des Wandels wird deutlich: Management kann lediglich steuern bzw. optimieren, was es schon gibt (vgl. Hinterhuber 2007, S. 20 ff.). Die Ausgangssituationen, die den Einsatz von externen oder internen Veränderungs- bzw. Innovationsakteuren nahelegen, sind zu komplex, als dass man sie mit einfachen Modellen und einer gehörigen Portion Entscheidungsfreude zur Lösung führen könnte.
Unter ›Prozesspsychologie‹ verstehen wir einen Ansatz, der sowohl das Phänomen Organisation mit seinen menschlichen Faktoren als auch die organisationalen Abläufe selbst umfasst. Wir stellen dabei weniger auf Organisationsstrukturen ab, sondern vor allem auf Prozesse, indem wir
1. die Veränderung von Organisationen als zukunftsoffenen Entwicklungsprozess begreifen, und
2. Modelle zum Verständnis der menschlichen Faktoren in Veränderungsprozessen auf den