einsam. Die Herausforderungen der alternden Gesellschaft, die politischen Umwälzungen durch einen nationalistischen und merkwürdig demokratieskeptischen Premierminister, die schwindelerregend hohen Staatsschulden und die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima – jedes davon war ein Thema, das für sich genommen aus Japan einen faszinierenden Standort für Journalisten machte. So etwas wie ein Quo vadis der Liebe aber, das war fast noch spannender. Wohl zu keinem anderen Thema der Welt gab es so viele Experten. Jeder erwachsene Mensch, mit dem ich bei meiner Recherche darüber sprechen würde, war als Quelle genauso glaubwürdig und eine Autorität wie jeder andere, jeder Gedanke deshalb genauso viel Wert. Das würde die Suche nach Antworten einerseits grenzenlos machen. Aber die Fülle an Gedanken, die dabei herauskommen konnte, musste die Arbeit wert sein.
Vielleicht muss nicht jeder gefunden werden, vielleicht muss das auch nicht jeder wollen. In der Bar Nocturne, die wohl eines der Verstecke vor den Suchenden war, wähnte ich mich in meinem mir unlieben Alleinsein in guter Gesellschaft. Aber Tokio war größer als diese leise Kellerbar mit Hochprozentigem an der Wand und Stummen auf den Stühlen. Und die vermeintlich kühle Temperatur dieser Metropole war vielleicht ein Vorbote für einen Klimawandel in anderen Großstädten. Ich wickelte mir den Schal um, zog den Reißverschluss bis oben und stieg die Treppe hinter der Tür hinauf an die frische Luft der Tokioter Nacht. Diese Expedition könnte mich bald zum Zittern bringen.
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