Hans Trüb

Heilung aus der Begegnung


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Einzigkeit, wesentlich qualifiziert ist, dann nur, wenn es als Verantwortungsträger der Seele, als der namentliche Partner einer personalen, nicht nur psychisch-funktionalen, Beziehung zur Welt, zur Welt als Schöpfung und Geschichte, aufgerufen ist und sich diesem Ruf zu stellen den Mut aufbringt. Und diesen Mut aufzubringen, gegen die eigene Angst und Vertrotzung zur Welt hin durchzubrechen, bedarf es der Ermutigung!

      In unserem Verständnis ist das menschliche Selbst als Personenmitte daraufhin angelegt, das dialogisch ansprechbare und antwortfähige Subjekt einer echten partnerischen Begegnung des Menschen mit seiner Welt zu sein. In diese lebendige Begegnung und Beziehung ist das Ich des Menschen als vermittelnde Funktion mit einbezogen, steht legitimer weise in ihrem Dienst und hat sich darin zu bewähren. Es ist, wie wir aufzeigten, seinem Ursprung und seiner Bestimmung nach nicht eigenständiges Subjekt der Weltbegegnung – erst zufolge der Weltabkehr des Selbst wird das Ich zu dem mit willkürlichen Machtbefugnissen ausgestatteten Repräsentanten einer rein opportunistischen sozialen Anpassung und gewinnt dadurch jene quasi selbstständige Persona-Haltung, die ihm den Anschein einer originären Subjektivität verleiht.

      Im Aspekt der dualistischen Weltanschauung, die dem geistig suchenden Menschen früher oder später zum äußerst bedrängenden Lebensproblem wird – und die im Aufbau der Jungschen Lehre entscheidende Bedeutung hat –, scheinen im menschlichen Individuum zwei substantiell geschiedene und abgrundtief geschiedene Subjektanlagen zu walten: eine wesentlich zentrale, nach innen gerichtete, und eine wesentlich periphere, die nach außen orientiert ist. Keines der beiden »Subjekte« lässt sich auf das andere zurückführen – keines von beiden kann aber auch, weder mit autoritativen noch mit psychologischen Mitteln, das andere in sich einbeziehen. Und trotzdem können sie sich auch nicht aus dem Wege gehen. Denn ihre in Erscheinung tretende Trennung ist eine nur spukhafte – ihrem Wesen und der Substanz nach aber sind sie Eines. In dieser Zweiheit, an der der Mensch subjektiv leidet – und die sich auch in objektiven Symptomen manifestiert –, die aber potenziell Einheit ist, 5 stellt sich uns der spezifisch menschliche, innerseelische Konflikt dar, durch den es zu jener funktionellen neurotischen Persönlichkeitsspaltung kommen kann, mit welcher sich der Psychotherapeut praktisch abzumühen hat. Die überaus schwierige Aufgabe des Psychotherapeuten ist es, die scheinbar schuldlos verlorene, in Wahrheit aber schuldhaft verwirkte subjektive Einheit im Patienten wiederherzustellen, auf dass er sich in der konkreten Weltsituation als verantwortlicher Partner wieder einfinde und sich darin bewähre.

      Die Bewältigung dieser Aufgabe verlangt, um es immer wieder zu sagen, nicht nur den behandelnden »Psychologen« im Arzt, sondern vor allem und bis zuletzt den vollen Begegnungseinsatz seiner Person.

      Als leidenschaftlicher Psychotherapeut, der er immer war, hat auch C. G. Jung der Notwendigkeit eines vollen persönlichen Einsatzes für seine Aufgabe Rechnung getragen. Dieser Einsatz verknüpfte sich aber bei ihm mit einer Zielsetzung, die wir als eine einseitig individualistische ablehnen müssen.

      Jung glaubte, dass sich der Mensch mittels des tiefenpsychologischen Erkenntnisprozesses in sich selbst ganzheitlich zu realisieren vermöge. Somit wollte er dem an seiner Gespaltenheit leidenden Menschen helfen durch Bewusstmachung seiner psychischen Totalität, durch die der Zwiespalt von Ich und Selbst einem schöpferischen Ausgleich zugeführt werden soll. Für dieses introversive Heilziel setzte Jung mit äußerster Konsequenz seine komplex-psychologische Forschung ein, durch die er sein therapeutisches Leitbild des in sich geschlossenen, individualisierten Menschen zu untermauern hoffte. Wohin diese Zielsetzung geführt hat, und warum wir sie als letztgültige für die Therapie nicht anerkennen dürfen, behandeln wir in unseren Erörterungen.

      Zunächst ein vorläufiger Ausblick. Jungs Komplexe Psychologie hat in ihrer Darstellung der seelischen Beziehungen »zwischen dem Ich und dem Unbewussten« den introversiven Einungsvorgang im entzweiten Menschen gewiss eindrucksvoll zur Anschauung gebracht. Auf Grund der psychologisch konstellierten Begegnung des Ich mit dem kollektiven Unbewussten und in der so intendierten Einung des Ich mit dem werdenden Selbst ereignet sich gleichsam die »mystische Hochzeit« dieses königlichen Geschwisterpaars. Mit der Aufstellung dieses Zielbildes einer Unio mystica und im typischen Vollzug des so verstandenen Individuationsprozesses wurde in der Innerlichkeit des Menschen gewissermaßen ein Tempel errichtet, in welchem sich uns der Kult einer Art von neuer Religion, einer »Religion der Seele« darbietet.6 In ihrer Lehre verwahrt die Komplexe Psychologie den Schlüssel zu diesem Heiligtum, in der Symbolform jenes Mythologems, das der Kern dieser Lehre ist und dem sich ihr Schöpfer gefangen gibt.

      Mit diesem Hinweis deuten wir auf den geheimen Schlusspunkt der Jungschen Tiefenpsychologie hin, vor welchem die heutige Psychotherapie, will sie nicht selbst zur »Religion« werden, haltmachen und umkehren muss. Der Psychotherapeut muss sich hier, auch wenn er bis eben hierher der wegkundigen Führung dieser Tiefenpsychologie mit Vertrauen folgen durfte, der Faszination eines Unternehmens entwinden, das aus der Psychologie Weltanschauung und religiösen Heilsweg zu machen die Tendenz hat.

      In dieser Umkehrsituation habe ich persönlich erfahren und erkannt, dass die lebensgerechte Einung der menschlichen Seele im Selbst durch die komplexpsychologische Analyse nicht zu verwirklichen, sondern bestenfalls nur vorzubereiten ist.

      Jungs Therapeutik, die die Ganzwerdung des Menschen in der Begegnung des Ich mit dem Kollektiven Unbewussten zu realisieren sucht und die so die Manifestationen dieses unbewussten Kontinuums als die wesentlichen Wirklichkeitsbezeugungen versteht und interpretiert, 7 kann nur hinführen zur faszinierenden Schau jenes zentralen Symbols, in dem sich die im Selbst geeinte Seele dem isolierten einsamen Menschen im Gleichnis verhüllt darstellt. Hier aber droht uns, wenn wir länger verweilen, die sehr ernst zu nehmende Gefahr einer lähmenden Selbstbannung durch das virtuelle Bild, was schließlich – im Prozess der Identifizierung – zur Selbst-Vergottung verleiten kann.

      In Martin Bubers Büchlein Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott findet sich ein Ausspruch des Baal-Schem-Tow, des »Meisters vom Guten Namen«, der vom »Forschen und Erkennen« handelt. Dieser Meister lehrt: der Endsinn alles Wissens sei, dass wir nicht wissen können.

      Aber – so hören wir weiter – es gäbe zwei Arten des Nichtwissenkönnens. Das eine sei das alsbaldige – da beginne einer gar nicht erst zu suchen, weil es ja doch unmöglich sei zu wissen. Ein anderer aber forsche und suche, bis er erkennt, dass man nicht wissen kann. Diese beiden seien zu vergleichen mit »Zweien, die den König kennen lernen wollen: der eine betritt alle Gemächer des Königs, er erfreut sich an des Königs Schatzkammern und Prunkhallen und danach erfährt er, dass er den König nicht kennen lernen kann« – der andere aber sage sich, da es nicht möglich sei, den König kennen zu lernen, brauche er ja gar nicht einzutreten.

      Was mir den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck hinterließ und worin ich den schicksalhaften Auftrag meines Lehrers C. G. Jung erblicke, ist dies: dass er ein langes Leben hindurch als introspektiver Forscher das Geheimnis des menschlichen Selbst zu enträtseln versuchte.

      Seiner so unternommenen gründlichsten Erhellung des Kollektiven Unbewussten danken wir die reichhaltige Kunde über dieses Königs autonomen Wirkbereich, über seine »Schatzkammern und Prunkhallen«, und zugleich den zuverlässigen Hinweis auf seinen zentralen Wohnsitz in der menschlichen Psyche.

      Aber – um mit den Worten des Baal-Schems nun zu fragen – hat Jung auf diesen seinen Wegen des Forschens jenen »König« auch wirklich kennen gelernt? Dies ist die große Frage, die ich mir in langjährigem Ringen immer wieder stellte und schließlich verneinen musste.

      Wenn ich, zurückblickend auf die letzten Ausführungen, es nun unternehme, einige wesentliche Züge der Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs besonders ins Licht zu heben, so deshalb, weil sie zum kritischen Verständnis seiner Lehre und Therapie wesentlich beitragen. Dieses Unternehmen ist gewiss ein gewagtes, insofern als ich mich damit vor der Öffentlichkeit peinlichen Missverständnissen aussetze. Ich bin zu diesem Wagnis aber aus sachlichen Gründen herausgefordert, und es bleibt mir nur die Wahl, entweder durch