die Begeisterung, die sie auslöst, hat uns zu einer systematischeren Darstellung bewogen, in der das Spektrum der verschiedenen Formen, Einsatzmöglichkeiten und Vorgehensweisen beschrieben wird.
Die Kollegiale Fallberatung ist eine Form gegenseitiger beruflicher Beratung in einem von Kollegen selbst geleiteten Beratungsprozess. Die Kollegiale Fallberatung eignet sich hervorragend zur problemorientierten Wissensintegration und mobilisiert Know-how in verschiedensten Praxisgemeinschaften (innerhalb und zwischen Teams, Funktionsgruppen, Abteilungen, Arbeitskreisen, Netzwerken, Erfahrungsrunden). Auch im Bereich der Problemlösung und zur Bearbeitung von Konflikt-, Spannungs- und Belastungssituationen ist diese Methode einsetzbar. Sie unterstützt das Nachdenken in schwierigen Leitungsund Entscheidungssituationen und trägt so zu erfolgreichen persönlichen Entwicklungsprozessen bei.
Im Kern handelt es sich bei der Kollegialen Fallberatung schlicht um eine strukturierte Form der Fallbesprechung im Rahmen einer Sitzung, eines Meetings, Seminars oder Erfahrungsaustauschs, bei denen die Anwesenden verschiedene Rollen (Fallgeber, Berater, Prozessbeobachter, Moderator) übernehmen. Anhand von einigen knappen Leitfragen und Beobachtungsvorgaben an die Rollenträger können Fälle in einem Zeitrahmen von ca. 30 bis 90 Minuten ertragreich bearbeitet werden. Im Sinne eines Prozesscoachings können »follow-ups« durchgeführt werden, in denen das Beraterteam ein Monitoring der vereinbarten Problemlösungsschritte durchführt und die Lösungsschritte modifiziert bzw. vorantreibt. In der Methode ist ein Reflexionsschritt zur Bewertung der Zufriedenheit mit der Problemlösung, mit dem persönlichen Beitrag dazu und mit der Zusammenarbeit des Teams vorgesehen, so dass sich die Qualität der Ergebnisse mit zunehmender Routinisierung des Einsatzes von kollegialen Fallberatungen noch deutlich erhöht.
Wir haben die Kollegiale Fallberatung für den interessierten Leser inhaltlich so aufbereitet und mit Materialien versehen, dass nach der Lektüre alle Voraussetzungen gegeben scheinen, beim nächsten Meeting den »Selbstversuch« zu wagen. Doch ist Vorsicht angebracht! Auch wenn der Charme der Methode in ihrer Einfachheit und Plausibilität liegt, auch wenn sie schnell in »Eigenregie« durchgeführt werden kann und soll: Der Teufel steckt im Detail. Für eine kurze Anfangsphase mag es ratsam sein, auf Einweisung und Unterstützung durch einen erfahrenen Trainer nicht zu verzichten. Er wird mit Ihnen sofort an geeigneten Fällen (!) aus Ihrer Praxis arbeiten und Sie zum vielfältigen und sicheren Einsatz der Methode befähigen, aber auch die Grenzen der Methode und die zur Selbstanwendung ungeeigneten Fälle aufzeigen. Für Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an die Sozialforschungsstelle Dortmund unter tusk@sfs-dortmund.
Das Buch gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden die Grundlagen der Kollegialen Fallberatung vermittelt. So geht der Beitrag von Rimmasch auf die Grundlagen, die Herkunft und Einsatzmöglichkeiten des Verfahrens ein. Der Beitrag kann als Einführung gelesen werden, beantwortet häufi g gestellte grundsätzliche Fragen und gibt gleichzeitig einen guten Überblick über die aktuelle Literatur zum Thema. Daran anschließend erfolgt durch Kopp/Vonesch eine ausführliche Darstellung der Methode, die, ergänzt durch eine Vielzahl von Materialien, sehr nah an die Details der Durchführung der Kollegialen Fallberatung heranführt. Der Beitrag von Veith akzentuiert dagegen stärker theoretische Hintergrundüberlegungen zum Verhältnis von Lernkultur und Kollegialer Fallberatung in der Erwachsenen- und Weiterbildung.
Im zweiten Teil erfolgt die Darstellung von Variationen der Methode im Kontext von praktischen Beispielen. So stellt Franz die Kollegiale Fallberatung als Bestandteil überbetrieblicher Beratungs- und Qualifi zierungsprozesse dar und zeigt nebenbei, wie hier auch die six thinking hats nach de Bono zum integrierten Einsatz kommen können. Heinold-Krug erläutert Verwendungsmöglichkeiten zur Unterstützung der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen und zeichnet einen konkreten Fall nach. Billing zeigt, wie die Kollegiale Fallberatung als didaktisches Verfahren in Change-Management-Seminaren für Führungskräfte und Manager bspw. von BMW, Daimler/Chrysler oder Sony eingesetzt wird. Galler beschreibt faszinierende weitere Einsatzmöglichkeiten der Kollegialen Fallberatung bspw. als Instrument der Beraterweiterbildung im Rahmen eines Meetings von ca. 100 TeilnehmerInnen, als Instrument für Projekt-Reviews oder als Instrument zur Ausbildung junger Consultants. Diese Einsatzmöglichkeiten lassen sich hervorragend auch in die betriebliche Praxis anderer Organisationen übertragen. Einen an der von Galler beschriebenen Großgruppenintervention eher bescheidenen Rahmen bildet die Skizze von Weinmann, in der die Kollegiale Fallberatung im Rahmen eines Seminars als »nur« 30-minütige Sequenz eines Reflecting-Teams beschrieben wird. Höher schließlich beschreibt mit KFB plus eine erweiterte Form der Anwendung dieser Methode im Rahmen eines Beratungsprozesses.
Insgesamt sind den Variationen der Einsatzmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Auch wenn wir in der »Aneignungsphase« der Methode dafür plädieren, sich an den Standards zu orientieren, so kann zu einem späteren Zeitpunkt davon abgewichen werden. So haben wir erlebt, wie eine besonders schlanke Variante der Kollegialen Fallberatung im Rahmen eines knapp 30-minütigen Zwiegesprächs (Fallgeber und ein Berater), welches sich zwar an der Grundstruktur orientierte, ansonsten aber vieles außer Acht ließ, durchaus beeindruckende Ergebnisse zustande brachte.
Im dritten Teil haben wir Materialien zusammengetragen, die die Praxis bzw. Durchführung der Kollegialen Fallberatung erleichtern. Dazu gehören bspw. die Rollenbeschreibungen und Regieanweisungen, integrierte Übersichten, 10 goldene Regeln, Crashkurs etc.
Wir danken Hans-Günter Rolff (Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund), Dirk Stölting (Management Training Dresdner Bank Essen) und Klaus Stricker (Human Ressource Manager Bosch Sicherheitssysteme GmbH Düsseldorf; Arbeitskreis Human Ressources Management) für Ihre Grußworte zum vorliegenden Band. Sie stehen mit ihren fundierten Erfahrungen mit der Kollegialen Fallberatung für drei zentrale Bereiche erfolgreicher Anwendung der Methode: Schulentwicklung, Personalund Organisationsentwicklung und Kollegiale Netzwerke.
Wir wünschen allen, die neugierig geworden sind und sich einer Lektüre des Buches widmen, ertragreiche Lesestunden und viel Spaß beim Vermehren der Erkenntnisse.
Hans Werner Franz und Ralf Kopp
Grußworte
Kollegiale Fallberatung in der Schulentwicklung
Der Wandel wird in der postmodernen Gesellschaft zur Regel und erfordert auch vom Bildungssystem kontinuierliche Veränderungsbereitschaft.
Die Möglichkeiten, heutige wie zukünftige gesellschaftliche und technologische Wandlungen im System Schule konstruktiv zu integrieren, liegen im interdisziplinären Umgang mit Wissen im Rahmen eines schulischen Qualitätsmanagements. Unabdingbar für diese Entwicklungen zur selbstständigen, lernenden Organisation Schule sind die Bereitschaft und die Befähigung ihrer Mitarbeiter zu metakognitiven Reflexionsprozessen sowie zur Selbstveränderung. Die im Umgang mit Veränderungen stetig auftretenden Verunsicherungen und Widerstände bedürfen jedoch eines externen wie internen Unterstützungsnetzwerks. Zum produktiven Umgang mit diesen Differenzen hat sich neben der Schulentwicklung die kollegial organisierte selbstreflektorische Beratung als effektiv und effizient erwiesen.
Die Kollegiale Fallberatung ist ein Verfahren zur Reflexion und Klärung sowohl struktureller als auch personenbezogener Problemstellungen, die unumgängliche Bestandteile von Veränderungsprozessen sind. Im Rahmen der kollegialen Beratung wird der Synergieeffekt der Gruppe genutzt, um die individuelle Wahrnehmung einer Person durch die Sichtweisen anderer zu ergänzen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine umfassende Diagnostik der Situation und verhilft, personen- und institutionsangemessene Lösungen einzuleiten.
In der Kollegialen Fallberatung wird kein zusätzliches fachliches Wissen vermittelt, sondern basierend auf dem vorhandenen Wissen werden Schwierigkeiten, die sich aus den Interaktionen und Dynamiken im Arbeitsfeld ergeben, diagnostiziert, reflektiert, geklärt und Lösungen zugeführt.
Das Verfahren ist bestens geeignet, sowohl Prozesse organisationaler Gestaltung als auch personaler Entwicklung im Schulleitungs- wie im Kollegiumsteam zu initiieren und zu unterstützen.
Prof. Dr. Hans-Günter Rolff
(Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund)