Wir Menschen sind so.
Es gibt zum Glück einen einfachen Weg, um das alles herauszufinden: nicht nur reden, sondern auch einmal zuhören.
Die Wege, die wir beide gegangen sind und weiterhin gehen werden, sind für uns manchmal abenteuerlich. Es geht aber nicht darum, zu weißhaarigen Sexmonstern zu werden. Wir sind das nicht und wollten es auch nie sein. Wir haben Sex, das ja. Wir haben regelmäßigen Sex. Wir haben mehr Sex als früher. Aber wir haben keinen Sex, wenn nicht alles passt. Wenn wir es nicht schaffen, erotische Spannung aufzubauen, dann geht nichts. Dann wird es ein Flop.
Doch wenn die richtige Grundstimmung da ist, dann reichen schon kleine Auslöser, die überall zu finden sind. Jüngst war es der erste Teil eines erotischen Zweiteilers, der spät am Abend im Fernsehen lief. Er war sehr animierend. Wir essen jetzt noch jeder ein Stück Kuchen, dann sehen wir uns den zweiten Teil an.
Bernhard
Das Kornfeld sah aus wie ein riesiges Bett. Genau was wir gesucht hatten. Magda und ich. Vermutlich mehr ich. Ich wollte sie. Irgendwie. Irgendwo. Wir waren zu Besuch bei ihren Eltern, und das Kornfeld war mir recht. Auch wenn es schon von Weitem nicht so bequem aussah, nicht nach dem »Bett im Kornfeld«, von dem später Jürgen Drews sang.
Ich nahm sie an der Hand. Sie ließ sich nicht führen. Sie ging gleichauf mit mir. In der gleichen Stimmung wie ich, glaube ich. Als wir dort waren, war alles egal. Ich breitete noch rasch meine Jacke aus.
Magda zog ihre Bluse aus. Die hellblaue, die ich so mochte. Ich sah ihre festen Brüste, nicht zu groß und nicht zu klein, der BH hatte etwas Griffiges zu halten. Magda war für mich die schönste Frau der Welt.
Halme stachen mich in den Unterarm. Es störte mich nicht. In manchen Situationen waren neben Dingen wie die Zeit und die Welt auch Banalitäten wie die Widrigkeiten der Natur nebensächlich. Wir bewegten uns in der Unendlichkeit des Augenblicks.
Ich beugte mich über Magda. Küsste ihre Brüste. Sie hatte ihr Höschen abgestrampelt. Öffnete ihre Beine. Ich war erregt, seit wir vom Haus ihrer Eltern weggegangen waren. Eigentlich schon seit wir das Haus betreten hatten. Seit ich Magda zum ersten Mal gesehen hatte.
Sie stöhnte. Es schien aus ihrem tiefsten Inneren zu kommen. Ich küsste sie. Ich liebte sie.
Sanft.
Heftig.
Sanft.
Heftig.
Heftiger.
Und heftiger.
Sie bog ihren Kopf zurück. Sie öffnete den Mund.
Die Natur um uns hielt den Atem an. So schien es mir. Insekten blieben flügelschlagend in der Luft stehen. Die Luft flirrte. Jetzt würde gleich etwas passieren.
Unser Atem ging noch schneller. Dann schlugen keine Flügel mehr. Ein Höhepunkt hob uns in die Höhe. Gemeinsam. Noch so ein Stöhnen. Von ganz tief innen.
Wir blieben noch eine Weile liegen. Die Halme stachen und kratzten. Jetzt merkten wir es. Es begann uns zu stören. Der Vulkanausbruch war vorbei, das Kornfeld endgültig kein Bett mehr.
Als wir zurück in das Haus ihrer Eltern kamen, dachten wir: Sie müssen es uns doch ansehen. Es muss uns doch ins Gesicht geschrieben sein. So etwas Großes konnte doch nicht ohne sichtbare äußere Spuren an uns vorübergegangen sein. Doch ihre Eltern redeten weiter die gleichen Dinge wie zuvor. Wir dachten: Unsere Welt ist groß, die aller anderen ist klein.
Warum fiel mir das alles ein? Jetzt? Am Altar? Kurz bevor wir uns das Ja-Wort geben würden?
Magda
Das Erste, was ich von ihm sah, waren seine weißen Handschuhe. Nicht den dunkelgrauen Anzug, das strahlend weiße Hemd, nicht die Manschettenknöpfe, die aufpolierten Schuhe, nicht einmal die weiße Fliege sah ich. Nur diese weißen Handschuhe. Die kenne ich gar nicht, dachte ich, als wäre mir der ganze Mann fremd. Seltsam, was man so denkt.
Ich raffte mein Kleid hoch, obwohl es da wenig zu raffen gab. Es war schlicht geschnitten mit ein paar Spitzen, eher konservativ. Ich ging auf die weißen Handschuhe zu, die sich mir entgegenstreckten, und auf einmal waren sie mir vertraut. So wie der ganze Mann.
Bernhard
Weiße Handschuhe aus Baumwolle. Das war so. Das trug man. Als Bräutigam. Und da stand ich jetzt. In der Kirche. Den Altar im Rücken. Dunkelgrauer Anzug. Blendend weißes Hemd. Manschettenknöpfe. Weiße Fliege. Die Schuhe poliert. Rechts gescheitelt die Haare. Was für eine Verwandlung. Vor ein paar Tagen noch war ich in der grünen Uniform des österreichischen Bundesheeres gesteckt. Ein Soldat ohne Sinn und Krieg. Aber vor keinem Gefecht hätte ich aufgeregter sein können als jetzt. Und hier. In der Kaasgrabenkirche in Wien-Grinzing. Vor meiner Hochzeit. Irgendwie hielt ich mich aufrecht auf meinen Zitterknien. Ich wartete auf meine Braut. Und auf Pater Beda, der ein dicker, gemütlicher Mann war. Eine joviale Tonne, die uns gleich trauen würde.
Ich heiratete also. Mit 20. Meine Magda. Diesen Traum von einer Frau, die im nächsten Moment auf mich zukommen würde. Ihr Kleid. Ohne viel Drumherum. So wie sie selbst. Was hat sie darunter an? Das fragte ich mich. Insgeheim. Da, mitten in der Kirche. Weiße Spitze? Schwarz? Oder sogar etwas Rotes? In ein paar Stunden würde ich es sehen. Aber ich hatte kein Gefühl für die Zeit. Es war eher ein Gefühl von Ewigkeit. Alles gehörte uns. Der Tag. Die Welt. Die Zukunft.
Vor vier Monaten hatten wir uns zum ersten Mal geküsst. Vier Monate waren keine lange Zeit, um daraus eine gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Doch an uns beiden würde nicht zu zweifeln sein. So viel konnte ich sicher sagen. Ich hatte es im ersten Augenblick gewusst.
Sie ist es.
Sie wird es immer sein.
So wie man sich das vorstellt. Man sieht jemanden. Und von den Eingeweiden bis zum Haaransatz spürt man die Richtigkeit. So war das. Magda und ich. Das war etwas Haltbares. Von nun an. Von diesem Jahr an. 1966. Es war ein gutes Jahr. Bisher mein bestes.
Wir hatten uns den Juli ausgesucht. Alle wollten immer im Mai heiraten. Wonnemonat. Oder im Juni. Wir hatten den 1. Juli gewählt. Absichtlich. Weil es da wahrscheinlich war, dass die Sonne schien, hatte Magda gesagt. Sie hatte recht behalten. Der Himmel strahlte wie eine Verheißung. Sicher, schien er zu sagen, ihr geht ins Blaue, und doch ist es sonnenklar, wohin euer Weg euch führt. Warm war mir in dem dunkelgrauen Anzug.
Magda ließ auf sich warten. Zwei geschwungene Treppen führten herauf zum Portal. Deswegen war die neubarocke Kirche bei Hochzeitspaaren so beliebt. Sie hatte etwas Majestätisches. Magda wird sich auf der Treppe Zeit lassen, dachte ich. Von meinem Warteposten vor dem Altar konnte ich schlecht nach draußen sehen.
Ich schaute mich in der Kirche um. Etwa sechzig Gäste waren gekommen. Die Bänke waren gut besetzt. Familie. Freunde. Ihre links. Meine rechts. Die Damen herausgeputzt. Die meisten mit Hut. Auf den Zehenspitzen waren sie hereingetrippelt in ihren hohen Schuhen. Festlich gekleidet wie die Männer.
Sie alle sahen mich an. Alle mit unglaublich ernsten Gesichtern. Das Feierliche liegt ganz nah am Ernsten. Die getragene Stimmung war körperlich zu spüren. Du gibst ihr jetzt das Eheversprechen, stand in allen Mienen. Und ein großes ,Ui‘ gleich daneben. ,Ui‘ für ,Man-weiß-halt-nie-was-da-noch-kommen-wird‘.
Das hier ist der schönste Tag eures Lebens, stand dort auch. Was zwangsläufig hieß, dass alle folgenden Tage nicht mehr so schön sein würden. Ja, dachte ich, das mag ja so sein. Bei den anderen.
Ich versuchte, mich an den Ablauf der Zeremonie zu erinnern. Wir hatten ihn besprochen. Ein paar Mal sogar. Jetzt war alles weg. Ich hoffte, es würde so sein wie bei allem Unbekannten. Sobald es da ist, verschwindet die Angst. Das Flaue. Wieder spürte ich meine Zitterknie. Was ist, Bernhard, fragte ich mich, was soll denn flau sein an diesem Schritt?
Gerade