auch selber die Rollen auf der Bühne übernehmen und so agieren, wie sie es sich vorstellen. Immer wieder kann so über Verhaltensveränderungen der Figuren der Verlauf, die Entwicklung einer Szene variiert und in ihrer Auswirkung überprüft werden. Forumtheater ist dabei nicht nur für die Zuschauenden eine gute Möglichkeit der Wahrnehmung und der ‹Regieführung›, sondern auch eine gute Übung für die Spielenden, Anweisungen spontan und präzise im Spiel umzusetzen.
Theaterpädagogisch relevant ist Boals Ansatz aber nicht nur hinsichtlich der relativ strikten Spielformen, sondern auch des gemeinsamen Entwickelns einer Handlung, der Überprüfung dieses Handlungsverlaufs im steten Dialog, in der Diskussion der möglichen Konsequenzen. Boals Haltung ist also auch eine pädagogische, demokratische und gemeinschaftsbildende Arbeitsweise.
1901 in den USA geboren absolvierte Strasberg seine Schauspielausbildung am American Laboratory Theatre. Bis 1937 war er Coleiter und Mitglied des Group Theatre, dann zog er nach Hollywood. Ab 1951 war er Leiter des Actor›s Studio in New York. Später gründete er weitere Ausbildungsstätten in Los Angeles. Strasberg starb 1982.
Strasberg und sein Actors Studio waren für ganze Generationen von amerikanischen (Film-)Schauspielerinnen und Schauspielern prägend. Seine berühmte Methode – ‹The Method› – wurde zur Grundlage etlicher Schauspielschulen weltweit. Strasberg berief sich in seinem Ansatz stark auf Stanislawski: Die Gefühlswelt der Figur sollte sich eng mit dem Schauspieler verbinden. Mithilfe der Aktivierung des affektiven Gedächtnisses und ausgehend von persönlich Erlebtem entsteht Echtheit der Gefühle. Der Schauspieler nähert sich also über eigene Grundempfindungen, über Erlebtes und Erfahrenes einer Figur und füllt diese mit sich selber aus: Der Spieler ist nicht die Figur, aber er füllt sie mit sich. So gelingt ihm auch die notwendige innere Distanz zum Handeln der Figur und er behält die Distanz zur Reflexion seines Tuns.
Mit seinen Improvisationstechniken und insbesondere auch mit seiner Arbeit mit Jugendlichen hat Johnstone viele Theaterpädagogen geprägt. Johnstone wurde 1933 geboren, war Theaterautor und Schauspiellehrer und von 1956 – 66 Leiter der Autorenwerkstatt am Royal Court Theater und damit Förderer vieler grosser Autoren wie Edward Bond oder Arnold Wesker. In späteren Jahren lehrte er an etlichen Schauspielschulen Europas, bevor er einen Lehrstuhl in Calgary, Kanada, übernahm.
Johnstone entwickelte neue Improvisationsformen wie ‹Theatersport› und machte sich stark für ein Theater, das die Kluft zwischen Bühne und Zuschauer überwinden sollte. Er kämpfte für eine Öffnung der Theater nach aussen, für grösseren Gesellschaftsbezug und eine stärkere Verknüpfung von Existenzfragen mit dem Schauspiel und damit für einen höheren Gegenwartsbezug und grösseres Realitätsbewusstsein. Vor allem ging es ihm auch um Spontaneität und das Zulassen der Fantasie: «Viele Schüler blockieren ihre Phantasie, weil sie Angst haben, nicht originell zu sein. Sie glauben genau zu wissen, was Originalität ist […].» (Johnstone (2000), S. 148) Dies ist der Kern von Johnstones Lehre: «Schalte den verneinenden Intellekt aus, und heisse das Unbewusste als Freund willkommen. Es wird dich an Orte führen, die du dir nicht hast träumen lassen und es wird Dinge hervorbringen, die origineller sind als alles, was du erreichen könntest, wenn du Originalität anstrebst.» (Wardle (2000) Johnstones Improvisationsbezug ging zudem stark vom ‹Spielmaterial› aus, das jeder Mensch mit sich trägt und einbringen kann: Eigene Geschichten und Erlebnisse, Alltägliches, Begegnungen aus dem Hier und Jetzt. Man soll also nicht weit hergeholte Figuren zu spielen suchen, sondern bleibe mit den Themen und Figuren nahe der eigenen Welt. Der Alltag ist voll von spannenden Geschichten und Begegnungen.
1.6 DRAMA IN EDUCATION ODER: VOM ENGLISCHEN SELBSTVERSTÄNDNIS
Neben den genannten Lehrmeistern, die vor allem schauspielerische Vorgänge untersuchten und dadurch viel für das Verständnis von Spielprozessen beitrugen, entwickelten sich auch neue Arbeitsfelder, in denen professionelle Theaterleute mit Kindern und Jugendlichen im schulischen oder ausserschulischen Bereich arbeiteten. Eine Vorreiterrolle übernahm England, wo sich bereits in den 1950er-Jahren das ‹Drama in Education› als methodisches Prinzip entwickelte und sich über Skandinavien und die Niederlande auch im deutschsprachigen Raum etablierte. ‹Drama in education› hat – im Gegensatz zu ‹drama education› – nichts mit der klassischen dramatischen Literatur und deren szenischer Umsetzung zu tun. Mit ‹Drama in Education› wird vielmehr ein Arbeitsprinzip umschrieben, das mittels eigenen Theaterspiels soziale Realitäten untersuchen, hinterfragen und über Spielprozesse auch beeinflussen will. Ursprünglich arbeiteten Theaterpädagogen – drama teacher – mit Schülerinnen und Schülern einer Klasse im Rahmen von ‹als-ob› -Situationen an der Bewusstwerdung der sozialen und gesellschaftlichen Rollen. Später weitete sich der Begriff aus; er umfasst heute interaktives Spiel auf allen Ebenen von Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung. Das Ziel ist aber immer noch der subjektive Erkenntnisgewinn. Es geht um Sozialkompetenz und Teamfähigkeit. Im Mittelpunkt steht das interaktive Spiel der Teilnehmenden an sich und nicht die Entwicklung einer Theateraufführung. In den vergangenen Jahren haben dabei auch immer breiter gefasste Themen Einzug gehalten, sodass unter dem Begriff nun die gesamte Theatralisierung von Lehr- und Lernprozessen subsummiert werden kann. ‹Drama in education› kann also in unterschiedlichen Fächern als Methode zum Einsatz kommen. Ziel ist aber stets die Bewusstwerdung und Reflexion von (Rollen-)Verhalten in bestimmten Situationen oder hinsichtlich bestimmter gesellschaftlicher Haltungen. Es geht um die Wahrnehmung zwischenmenschlichen Verhaltens und eventuell daraus folgende Verhaltensänderungen. Dabei beschäftigen sich die Teilnehmenden «[…] nicht nur mit dem Inhalt des Geschehens, sondern insbesondere mit körperlichen, gestischen und mimischen Interaktionen und dem emotionalen Verhalten in diesen Situationen. Somit werden Wahrnehmungen und Erfahrungen der beteiligten Subjekte nicht ignoriert, sondern bewusst aktiviert und konkret in den Erkenntnisprozess einbezogen. Über diesen Weg kann gelernt werden, den eigenen Standpunkt zu vertreten oder zu modifizieren und zu verstehen, wie ein soziales Miteinander aussehen und verbessert werden kann.» (Göhmann (2003), S. 81)
Die Problematik von ‹Drama in Education› liegt vermutlich darin, dass allzu deutliche Hinweise auf wünschenswerte Verhaltensänderungen Einzelner oder ganzer Gruppen auch zu Verweigerung und einer ‹jetzt-erst-recht› -Haltung führen und dadurch kontraproduktiv wirken können.
Neben ‹Drama in Education› existieren im englischsprachigen Raum auch noch die Begriffe ‹Theatre education›, was in etwa dem deutschsprachigen ‹Theaterpädagogik› entspricht und als Oberbegriff verstanden werden kann, sowie ‹Theatre in education›, womit Theateraufführungen von Profis im Schulhaus oder Klassenzimmer gemeint sind.
Als für ein heutiges Verständnis wichtige Quelle der Theaterpädagogik lassen sich auch die Geschichte des Schulspiels und – ausserschulisch und mit dem Laienspiel verbunden – das religiöse Spiel als wesentliche Faktoren für die Entwicklung nennen: Kirchliche Feiern waren und sind oft verbunden mit Schauspielen und ritualisierten Formen von Aufführungen; angefangen bei (Oster-)Prozessionen über ‹Tableaux vivants› und weihnächtliche Stationenspiele bis hin zu Krippenspielen oder der Darstellung religiöser Zusammenhänge und Geschehnisse. Die theatrale Tradition im religiösen Kontext ist lang und oft ein erster Berührungspunkt von Kindern und Jugendlichen mit dem Medium Spiel.
Parallel dazu entwickelte sich seit dem Mittelalter auch ein Schulspiel mit öffentlichen Aufführungen und oft grossen Besetzungen: für Jubiläen und Feiern zeigte die Schule als Gemeinschaftsarbeit Sing- und Festspiele. Bereits 1925 wurden erste Forderungen nach curricularer Verankerung des Darstellenden Spiels als Fach ‹Schulbühne› laut. (Hesse (2008), S. 39)
Das Thema blieb im Gespräch, insbesondere