Katja Kipping

Green New Deal als Zukunftspakt


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Geschichte der USA. In dieser Fiktion gewinnt statt Roosevelt der Fliegerheld, Hitlerfreund und Antisemit Charles Lindbergh 1940 die Präsidentschaftswahlen. Welche Auswirkungen das auf die in den USA [36] lebenden Juden und Jüdinnen hat, wird im Roman aus der Perspektive des neun Jahre alten Sohns der jüdischen Familie Roth erzählt. Im Buch bleibt die Wahl von Lindbergh nicht ohne Auswirkungen auf den Verlauf des Zweiten Weltkrieges, da sich die USA in Richtung einer Achsenmacht entwickeln. Die antisemitische Stimmung im Land wird angeheizt.

      Nicht nur heutige Schriftsteller entwerfen rückblickend solche politischen Horrorszenarien. Bereits in den 1930er Jahren schrieb der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis seinen Roman Das ist bei uns nicht möglich (It can’t happen here, im Original).8 In Lewis’ Roman übernimmt der frisch gewählte Präsident Berzelius „Buzz“ Windrip nicht nur nach seiner Wahl das Weiße Haus, sondern mithilfe einer paramilitärischen Truppe, der Minute Men, die umfassende Kontrolle über das gesamte Land. Der Unmut über soziale Verwerfungen, der sich in der Liga der vergessenen Männer manifestiert, aber auch die Unfähigkeit der Demokrat:innen im Umgang mit diesen – all das spielt im Roman dem Kandidaten Windrip bei den Wahlen in die Hände. Insofern handelt dieses Werk auch von der „Krise des Liberalismus“ in den 1930er Jahren.9 Teile der Liberalen wiegten sich damals in Sicherheit, ignorierten die soziale Not und suchten noch nicht einmal nach einem erfolgversprechenden Umgang mit dem aufkommenden Faschismus. Auch wenn ein neues Jahrhundert angebrochen ist: Sich in falscher [37] Sicherheit zu wiegen, kann immer noch zu einem bösen Erwachen führen.

      Statt der versprochenen Mittel für Arme kommen unter Windrip Arbeitslager sowie Repressionen und Hinrichtungen für alle, die sich nicht einordnen wollen. Während Philipp Roth den sich schleichend ausbreitenden Antisemitismus in seiner Dystopie durch die Augen eines jüdischen Jungen beschreibt, steht im Mittelpunkt von Lewis’ Roman der liberale Journalist Doremus Jessup. Er, der sich an guten Artikeln und kulinarischen Genüssen erfreut und so gar nicht zum tapferen Helden eignet, wird durch die Ereignisse in den Untergrund getrieben. Zwischendurch landet er im Gefängnis und muss nach seiner Befreiung ins Exil nach Kanada fliehen. Ob dieser Kampf im Untergrund erfolgreich ist, bleibt bei Lewis offen.

      Wie Verschwörung gegen Amerika basiert auch Lewis’ Roman auf intensiven Studien von realen politischen Akteuren. So gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Windrip und dem demokratischen Senator und Präsidentschaftskandidaten Huey Long, der als radikaler Populist galt und sich den Ruf eines Hillbilly-Helden erwarb. Zudem wurde das literarische Schreiben von Lewis inspiriert durch die Beobachtungen und Analysen seiner damaligen Frau Dorothy Thompson, einer politischen Journalistin, die auch Adolf Hitler interviewte und die über die Fügsamkeit der Liberalen angesichts dieser Bedrohung zutiefst besorgt war.

      Zum Glück handelt es sich sowohl bei der Wahl des Antisemiten Lindbergh wie bei der Machtübernahme durch Windrip nicht um Kapitel im Geschichtsbuch, [38] sondern um literarische Fiktionen. Aber es sind Fiktionen, die zeigen, dass die Geschichte auch anders hätte laufen können – und es deshalb darauf ankommt zu handeln. Ob sich ohne den New Deal der tatsächliche Geschichtsverlauf den literarischen Dystopien angenähert hätte, ist eine rein spekulative Frage. Doch die Verantwortung dafür, dass die extreme Rechte niemals wieder die Chance bekommt, die Staatsmacht an sich zu reißen, tragen wir auch heute. Mit der Präsidentschaft Trumps war diese Gefahr in den USA bereits nahe gekommen.

       Keine ungebrochene Held:innengeschichte

      Der New Deal unter Roosevelt und Perkins war ein Produkt seiner Zeit. Das erklärt einige seiner Leer- und Schwachstellen.10 Klimaschutz und Bewusstsein für die Endlichkeit von Ressourcen waren im politischen Diskurs wenig präsent. Insofern wurde mit den verschiedenen Programmen nicht vorrangig die Natur geschützt, als vielmehr der Ressourcenverbrauch angekurbelt. Hierin wie auch in anderen Aspekten entsprach der historische New Deal sehr deutlich einem traditionellen Produktivitätsparadigma. Entsprechend bestehen die Parallelen zwischen dem historischen New Deal und den aktuell diskutierten Green New Deals vor allem im Hinblick auf den Umfang des [39] Umbaus sowie in dem Bestreben, Krisen zu entschärfen. Wenig überzeugend ist hingegen die Kritik, der New Deal habe nur der Beruhigung der Arbeiter:innen gedient und damit eine antikapitalistische Revolution, die angesichts der vielen Streiks in der Luft gelegen habe, verhindert. Diese These ist schon angesichts der damals sehr realen Gefahr, dass die Stimmung in Richtung Faschismus kippt, höchst fragwürdig. Doch auch grundsätzlich ist es keineswegs ausgemacht, dass Verelendung zu Widerstand oder fortschrittlichen Positionen führt. Wenn man die Logik dieser Argumentationslinie konsequent zu Ende denkt, wäre jede Sozialkürzung ein Instrument gegen den Kapitalismus. Daraus kann keine produktive Strategie für fortschrittliche Kräfte entstehen. Lernen lässt sich aus einer solchen Kritik aber, dass sozialpolitische Maßnahmen nicht allein im Hinblick auf eine materielle Verbesserung zu diskutieren sind, sondern auch im Hinblick darauf, ob sie Menschen in die Lage versetzen, über ihr Leben weitergehend selbst zu bestimmen und ob sie Selbstorganisation und Solidarität befördern – oder eben nicht.

      Verschiedene Green-New-Deal-Konzepte des 21. Jahrhunderts nehmen außerdem die Situation der Indigenen Bevölkerung in den Blick. Sie zielen auf die Anerkennung von Indigenen Landrechten und die Beendigung von rassistischen Diskriminierungen. Im New Deal vor 90 Jahren spielten die Wiedergutmachung des an den Native Americans begangenen Unrechts sowie die Überwindung des Rassismus noch keine Rolle. Vielmehr führten Staudammbauten wie das [40] Tennessee Valley Projekt zur Vertreibung von vielen Indigenen Familien. Die negativen Auswirkungen, die große Bauprojekte wie Autobahnen naturgemäß mit sich bringen, trafen weniger die Wohngegenden der Weißen, sondern zerschnitten vorrangig die Lebensorte der migrantischen Bevölkerung. Soziale Verbesserungen aus den New-Deal-Programmen waren wiederum so angelegt, dass Schwarze, Natives und People of Color oft ausgeschlossen waren. Das lag nicht daran, dass diese Programme offen rassistisch angelegt waren – damit würde man Roosevelt und Perkins unrecht tun –, sondern daran, dass sie den Lebensumständen dieser Gruppen nicht Rechnung trugen. Beispielsweise waren die neuen Sozialsysteme nicht zugänglich für Menschen in Haushaltsjobs. Just in diesem Sektor arbeiteten jedoch vorrangig Afroamerikaner:innen, die somit kaum von den sozialen Verbesserungen profitierten.

      Den New Deal als lupenreine Held:innengeschichte zu erzählen wäre also historisch falsch. Und es würde uns den Blick auf wichtige Erkenntnisse verstellen, die sich – quasi ex negativo – aus ihm gewinnen lassen. Auf den Merkzettel für alle anstehenden sozialökologischen Umbaukonzepte gehört deshalb, dass die Rechte von Minderheiten, von Flüchtenden und Migrant:innen kein blinder Fleck sein dürfen. Die wichtigen Perspektiven, die diese Menschen in einen Green New Deal einbringen können, dürfen nicht ignoriert werden.

      [41] Wenn der Funke überspringt

      Was sich vom New Deal unter Roosevelt und Perkins auf jeden Fall lernen lässt, ist die Entschlossenheit, an Widerständen nicht zu verzweifeln, sondern zu wachsen. Als die Kapitalseite und ihre Lobby den New Dealer:innen den Fehdehandschuh hinwarfen, ließen sie sich davon nicht einschüchtern. Stattdessen nahmen sie ihn auf. Besonders sicht- bzw. hörbar wurde das am 31. Oktober 1936. An diesem Tag machte Roosevelt im New Yorker Madison Square Garden eine klare Ansage – drei Tage vor Ende eines harten Wahlkampfes. Zu dieser Zeit griffen Rechte, Konzerne und die von ihnen kontrollierten Medien alle in der ersten Legislaturperiode seiner Präsidentschaft eingeführten Maßnahmen aggressiv an. Roosevelt reagierte darauf nicht mit Wegducken oder mit dem Versuch, hinter den Kulissen irgendwelche Kompromisse auszuhandeln. Vielmehr reagierte er kämpferisch: „Wir mussten mit den alten Feinden des Friedens ringen – Großkonzernen und Finanzmonopolen, Börsenspekulation, rücksichtslosen Banken, Klassenantagonismus, Partikularismus, Kriegsgewinnlertum. Sie hatten begonnen, die Regierung der Vereinigten Staaten als bloßes Anhängsel ihrer eigenen Angelegenheiten zu betrachten. Aber wir wissen inzwischen, dass eine Regierung des organisierten Geldes genauso gefährlich ist wie eine Regierung der organisierten Kriminalität. Niemals zuvor in unserer gesamten Geschichte waren diese Kräfte so vereint gegen einen einzelnen Kandidaten wie heute. Sie sind sich einig in ihrem Hass auf [42] mich – und ich heiße ihren Hass willkommen!“11 Roosevelt hielt seine Rede gegen den Rat einiger seiner engsten Berater:innen,