schwenkte das Glas und betrachtete wie hypnotisiert den leuchtenden, bernsteinfarbigen und stark duftenden Inhalt. Dicke Tränen rannen am Innenglas herunter, genau so, wie es sein musste. Diese andächtige Betrachtung verhalf ihm zu etwas Abstand für seine kommende, verrückte Geschichte. Er hatte ein wenig Bammel und wusste nicht recht, wie er damit beginnen sollte.
Carl nahm einen Schluck des köstlichen Nass, und liess ihn im Munde hin und her rollen. Das schnörkellose Aroma dieses herrlichen Brandweins entfaltete sich rasch in seinen Geschmacksknospen. Aber es nützte nichts, auch dieser Augenblick ging vorbei. Noch einmal durchatmen, dann berichtete Carl. Das mit seiner persönlichen Angst erzählte er etwas kürzer, und das Angebot der fremden Wesen dafür etwas mystifizierter, ganz dem Gusto Blumensteins entsprechend.
Etwas musste Carl ihm zugestehen: Blumenstein unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, zog nicht mal die Stirne kraus. Mit grossen Augen folgte er konzentriert den Ausführungen, seufzte zwischendurch und nickte an bestimmten Stellen. Er akzeptierte die fast unglaubliche Geschichte mit der grössten Selbstverständlichkeit, wie Carl es schien.
„Mensch, das ist ja ein Ding!“ meinte er am Ende staunend. Seine Härchen im Nacken sträubten sich, und er fuhr versonnen fort:
„Und ist es nicht faszinierend, dass ausgerechnet wir zwei von einer höheren Macht dazu ausgewählt worden sind, die nächsten, wichtigen Schritte der Menschheit einzuleiten?“
Carl atmete tief durch, als er feststellte, dass Blumenstein seine nächsten Schritte erwartete. Er wollte ihn aber noch etwas auf die Folter spannen und versprach, sich gelegentlich, ja gelegentlich melden zu wollen. Wenn die Sache sich erst etwas setzt, wird der Appetit noch grösser, dachte ein durchtriebener Carl.
17
Als er später nach hause kam, fand er Tanja tratschend mit ihrer besten Freundin Traude Hertig in der Gartenlaube. Traude wohnte schräg gegenüber und war beinahe jeden Tag zu Besuch.
Sie war seit bald zwei Jahren von ihrem Mann David geschieden; ein hässlicher Rosenkrieg, der auch finanzielle Spuren hinterlassen hatte. Es hatte ihn unzählige Flaschen guten Weins, und eine ganze Menge Abendstunden gekostet, bis Traude wieder auf die normale Lebensspur zurückfand. Seither war sie für Carl fast so etwas wie eine Schwester, die er nie hatte.
Traude bot ihm ein Glas selbstgemachter Himbeer-Bowle an, was er jedoch dankend ablehnte. Stattdessen setzte er sich mit einer Dose Bier aus dem Kühlschrank an eine Ecke des Tisches, und lauschte mit halbem Ohr ihren Gesprächen. Halbherzig riskierte er einen Blick auf seinen Blackberry, froh um jede Nachricht, die er weiterleiten konnte.
Er fokussierte seinen inneren Blick wieder auf den vergangenen Nachmittag. Die Sache mit Blumenstein war nicht schlecht gelaufen. Fragte sich nur noch, was James für Anliegen und Wünsche hatte, und mit den Wesen, er nannte sie inzwischen so, hatten sie vereinbart, dass sie sich melden würden. Nächste Woche, vermutlich. Auf Diskussionen, wo und wann es denn sein sollte, liessen sie sich erst gar nicht ein.
Eigentlich wusste er gar nichts über sie. Nicht mal so banales, ob sie sich untereinander beim Namen riefen, oder solche Nebensächlichkeiten. Geschweige denn, aus welchem Sternhaufen sie kamen. Sie ähnelten sich frappant, fast wie ein Tupfen Wasser. Auch hatte er keine Ahnung, welchen Geschlechts sie waren.
Vielleicht gibt es dort ja nur gleichgeschlechtliche Wesen, ging es ihm durch den Kopf.
Somit müssten sie sich sogar noch selber befruchten? Eine Freude weniger im Leben. Bei diesem Gedanken musste er lächeln. Es waren bisher so einschneidende Szenen und Geschehnisse, dass solche Fragen verständlicherweise untergingen. Vielleicht bekam er später sogar Einblick in ihr Raumschiff, vielleicht durfte er sogar mitfliegen? Ein Schauer huschte über seinen Rücken.
Carl erstarrte mit grossen Augen inmitten grüblerischer Gedanken: Es kramte in seinem Gehirn. Und dies wiederum von alleine:
Da. Da ist es wieder! Ein Sturzbach ungefragter Bilder zog in seinem Gehirn vorbei. Kunterbunt wie eine Fotosichtung, und ohne persönliches zutun.
Sie sind es wieder! Nein heute ist Wochenende, da mag ich nicht. Wir wollten uns doch erst nächste Woche treffen?
Es nützte nichts. Er hatte das zwingende Bedürfnis, wegzufahren. Tanja und Traude schauten verwundert:
„Carl, was ist denn los? Was schaust du so belämmert drein?“ fragte Tanja ahnungsvoll, und zu Traude gewandt so leise, dass Carl es nicht hören sollte:
„Ich mache mir ernste Sorgen, Traude. Siehst du jetzt die Symptome, die ich dir beschrieben habe? Sie treten öfters auf. Ich glaube, es wäre jetzt höchste Zeit, einen Spezialisten herbeizuziehen!“
Carl versuchte krampfhaft, die Situation abzuwiegeln und wehrte gestikulierend und in fast schrillem Tone ab:
„Nein, nein es ist nicht so wie ihr denkt. Mir geht es gut. Ich Esel. Habe bloss vergessen, dass ich mit einem Kunden noch eine Verabredung habe. Irgendwie ist dies mir heute komplett durch die Lappen gegangen. Bin bald wieder zurück. Entschuldigt mich!“
Tanja und Traude kreuzten vielsagende Blicke und zuckten die Schultern.
Carl fuhr ziellos über Land, wie er meinte. Nervös zog er an einer Zigarette. Er dachte, sich bereits ein wenig in die Gedankenwelt seiner neuen Bekannten hineinversetzen zu können. Die Panik war nicht mehr so hoch, das Herzklopfen schon. Nach einiger Zeit des hin- und her Fahrens fühlte er, bei der nächstbietenden Gelegenheit anhalten zu müssen.
Auf dieser Anhöhe parkte er auf dem Rastplatz, der an ein Wäldchen grenzte, und als Aussichtspunkt in der Umgebung bekannt war. Er zog den Zündschlüssel und wollte abwarten. Sein Augenmerk fiel unter anderem auf drei Personen, die angeregt miteinander diskutierten. Die eine war eine blonde, jüngere und gut aussehende Frau. Sie hatte eine Ponyfrisur mit hinten hochgesteckten Haaren. In den Haaren lugte eine grossrandige Sonnenbrille heraus, mehr Zierde denn Zweck, wie es Carl vorkam. Auch fiel ihm ein viel zu breiter Gürtel auf. Einer der Männer hatte schneeweisse, der andere graumelierte, braune Haare. Beide trugen bequeme, graufarbene Trainer mit dem bekannten Häkchen, roten Seitenstreifen und Laufschuhe mit einer schwarzen, springenden Katze drauf. Auch sie trugen modische Sonnenbrillen, aber auf der Nase, und den gleichen, überbreiten Gürtel wie die Frau.
Es schien Carl, als wollten sie aufbrechen. Sie näherten sich diskutierend seinem Wagen. Auf Höhe der Fahrertür klopfte der Weisshaarige unvermittelt an die Seitenscheibe. Unwillig, aber doch etwas aufgeschreckt öffnete Carl einen Spaltbreit das Fenster:
„Ja bitte?“ Carl wollte eigentlich seiner Stimme einen festen Klag geben. Es missriet aber gründlich.
„Schön, dass Sie gleich kommen konnten“, meinte der Fremde etwas steif und ungelenk.
Carl hatte das Gefühl, als trete ihn ein Pferd. Die Kippe fiel brennend auf den teuren Teppichboden, und vor lauter Schreck konnte er kaum sprechen, noch sich rühren:
Herrgott, sie haben sogar Fähigkeiten, sich in menschlicher Gestalt zu zeigen? Und heute schweben sie nicht, sie laufen, wie normale Menschen dies tun. Sie laufen!
Ein paar Herzschläge später fühlte er sich langsam imstande, diesen Wesen ins Gesicht zu schauen. Die blonde Frau drückte ihre Sonnenbrille tiefer ins Haar und ergriff energisch die Initiative.
„Ich bin Eclipse!“ meinte sie mit einer angedeuteten Verbeugung, aber ohne die Hand anzubieten, „Und das ist mein Vater Uro“ auf den Weisshaarigen zeigend.
Und der graumelierte Herr meinte mit angedeutetem Lächeln und vollendeten Manieren:
„Und ich bin Zenaco, der Mann für alles!“
Carl hockte wortlos im Wagen und stierte wie ein Depp vor sich hin.
„Bitte Carl, steige aus! Ich darf dich doch duzen und Carl nennen, nicht? fragte Eclipse in einem Tonfall, als wäre es das Normalste der Welt. Carl brachte nur ein dümmliches Nicken zustande.
„Wollen wir ein paar Schritte gehen?