erklärte Nicholl, »ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist gleich gr multipliziert mit r durch x minus 1 plus m‘ geteilt durch m, multipliziert mit r durch d minus x, minus r durch d minus r ...«
»X auf y steigt auf z und reitet über p«, rief Michel Ardan mit hellem Lachen. »Und das begreifst du, Kapitän?«
»Nichts leichter als das.«
»Wieso?«, fragte Michel. »Aber das ist doch einleuchtend und mehr wollte ich gar nicht.«
»Immer nur lachen!«, versetzte Barbicane. »Du wolltest Algebra und nun hast du sie, voll und ganz!«
»Lieber lasse ich mich hängen!«
»Tatsächlich!«, mischte sich Nicholl ein, der als Experte die Formel prüfte. »Es scheint mir richtig abgeleitet, Barbicane. Es ist die Integrale der Gleichung faktischer Kräfte, und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie uns das gesuchte Ergebnis liefern wird.«
»Aber ich möchte es auch verstehen!«, rief Michel. »Ich würde Nicholl zehn Jahre meines Lebens dafür geben!«
»So höre denn, Michel«, fuhr Barbicane fort. »Ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist die Formel, welche uns die ›halbe‹ Veränderung der faktischen Kraft erklärt.«
»Gut. Und Nicholl weiß, was das bedeutet?«
»Allerdings, Michel«, antwortete der Kapitän. »Alle diese Zeichen, welche dir wie eine Geheimsprache vorkommen, bilden für den, der sie versteht, die klarste, deutlichste, logischste Sprache.«
»Nicholl, und du behauptest also«, fragte Michel, »dass du mithilfe dieser Hieroglyphen, die noch unverständlicher aussehen, als die des ägyptischen Ibisses, herausfinden könntest, welche Anfangsgeschwindigkeit man dem Projektil geben musste?«
»Unbestreitbar«, erwiderte Nicholl. »Und ich werde dir mithilfe derselben Formel zu jedem Zeitpunkt angeben können, wie groß seine Geschwindigkeit auf jedem Punkt seiner Fahrt ist.«
»Dein Wort darauf?«
»Mein Wort darauf.«
»Dann bist du ein Rechenkünstler wie unser Präsident?«
»Nein, Michel. Barbicane hat etwas Schwieriges geleistet, indem er eine Gleichung aufstellte, die sämtliche Bedingungen des Problems berücksichtigt. Das übrige ist nur eine Rechenaufgabe, wofür man nur die vier Elemente zu kennen braucht.«
»Das will schon etwas heißen!«, erwiderte Ardan, der in seinem Leben noch keine Additionsaufgabe richtig ausgerechnet hatte und diese Formel folgendermaßen definierte: »Eine Kopf zerbrechende Arbeit aus China, mit der man eine Unzahl an verschiedenen Summen herausbekommt.«
Barbicane jedoch versicherte, dass Nicholl, wenn er eine Zeit lang darüber nachgesonnen hätte, sicherlich auch zu dieser Formel gekommen wäre.
»Das glaube ich nicht«, sagte Nicholl. »Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich ihre Brillanz.«
»Und jetzt pass auf«, sagte Barbicane zu seinem unwissenden Kameraden, »und du wirst sehen, dass alle diese Buchstaben ihre Bedeutung aufweisen.«
»Ich gebe Acht«, sagte Michel mit scheinbarer Resignation.
»d«, sagte Barbicane, »bedeutet die Entfernung des Zentrums der Erde vom Zentrum des Mondes. Denn will man die Anziehungskräfte berechnen, so muss man die Zentren berücksichtigen.«
»Ich verstehe.«
»r bezeichnet den Radius der Erde.«
»r wie Radius. Einzusehen.«
»Mit m wird die Masse der Erde ausgedrückt; m‘ ist die Masse des Mondes. Ganz offensichtlich muss man die Massen der beiden sich anziehenden Planeten in die Berechnung mit einbeziehen, weil die Anziehungskräfte im Verhältnis zu den Massen stehen.«
»Nachvollziehbar.«
»g steht für Gravitations- oder Schwerkraft, das ist die Geschwindigkeit eines auf die Erdoberfläche fallenden Körpers innerhalb einer Sekunde. Ist das verständlich?«
»Wasser aus einem Felsen!«, erwiderte Michel.
»Mit x bezeichne ich die veränderliche Distanz des Projektils vom Zentrum der Erde und mit v die Geschwindigkeit des Projektils bei dieser Distanz.«
»Gut.«
»Mit v Null, wie es in der Gleichung steht, benenne ich die Geschwindigkeit, die das Projektil aufweist, wenn es die Atmosphäre verlässt. Es ist nämlich so, dass man diese Geschwindigkeit genau für diesen Punkt berechnen muss, da wir bereits wissen, dass die Geschwindigkeit beim Abschuss genau zwei Dritteln von der Geschwindigkeit entspricht, die das Projektil beim Austritt aus der Atmosphäre hat.«
»Mach nur weiter, ich verstehe!«, sagte Michel.
»Siehst du, es ist doch ganz einfach«, erwiderte Barbicane.
»Aber nicht für mich«, entgegnete Michel.
»Das will also heißen: Als unser Projektil an der Grenze zur Erdatmosphäre angekommen war, hatte es schon ein Drittel seiner Anfangsgeschwindigkeit verloren.«
»So viel?«
»Ja, mein Freund. Und das lediglich aufgrund der Reibung an den Schichten der Atmosphäre. Du kannst dir sicher vorstellen, dass, je schneller es dahin glitt, umso größer der Widerstand der Luft gewesen war.«
»Das begreife ich und stimme darin mit dir überein«, erwiderte Michel, »obwohl deine v Null sowie deine v Null zum Quadrat in meinem Kopf rappeln, wie Nägel in einem Sack.«
»Das ist nur der erste Eindruck, den die Algebra ausübt«, kommentierte Barbicane. »Und jetzt wollen wir, um zum Ende zu kommen, die Zahlenwerte dieser verschiedenen Ausdrücke festlegen, d.h. ihren Wert bestimmen.«
»Kommen Sie nur zum Ende!«, forderte Michel auf.
»Von diesen Ausdrücken«, sagte Barbicane, »sind manche bekannt, andere sind zu berechnen.«
»Für die zu berechnenden bin ich zuständig«, erklärte sich Nicholl bereit.
»Also gut«, fuhr Barbicane daraufhin fort, »r steht für den Radius der Erde, der auf dem Breitengrad Floridas, von dem wir abgeschossen wurden, 6.300.000 Meter umfasst; d.h., dass die Entfernung des Zentrums der Erde von der des Mondes 56 Erdradien beträgt. Das sind ... ?«
Nicholl rechnete schnell.
»Das sind«, gab er an, »in dem Augenblick, in dem die Stellung des Mondes am nächsten zur Sonne ist, genau 356.720.000 Meter.«
»Gut«, sagte Barbicane. »Das Verhältnis der Mond- zur Erdmasse beträgt den 81sten Teil, was mit m‘ durch m dargestellt wird.«
»Ja, genau«, pflichtete Nicholl bei.
»g: das ist die Schwerkraft bezogen auf die Geschwindigkeit pro Sekunde, die in Florida 9,81 Meter beträgt. Daraus ergibt sich, gr ist gleich ...?«
»62.426.000 Meter zum Quadrat«, ergänzte Nicholl.
»Und weiter?«, fragte Michel Ardan.
»Jetzt, nachdem die Ausdrücke durch Zahlen ersetzt sind«, erklärte Barbicane, »will ich die Geschwindigkeit v Null berechnen, d.h. die Geschwindigkeit, die das Projektil beim Verlassen der Atmosphäre haben musste, um den Punkt zu erreichen, an dem die Anziehungskraft eine Geschwindigkeit von Null besitzt. Weil zu jenem Zeitpunkt überhaupt keine Geschwindigkeit vorhanden ist, stelle ich die Gleichung auf, dass die Geschwindigkeit gleich Null und dass x die Entfernung dieses neutralen Punktes durch neun Zehntel von d dargestellt ist, d.h. von der Entfernung der beiden Zentren.«
»Ich habe eine unbestimmte Vorstellung davon, dass es so richtig sein muss«, sagte Michel.
»Daraus ergibt sich also: x = neun Zehntel von d und v = Null, was der Formel entspricht ...«, Barbicane schrieb hastig auf.