Группа авторов

Failing Schools


Скачать книгу

dem quantifizierenden Zugriff entzogen bleiben. Oft werden sie durch soziale Rahmenbedingungen verschärft – jedoch sind Schulen in schwieriger Lage oder sozial besonders belastete Schulen aus den erwähnten Gründen nicht umstandslos mit »Failing Schools« gleichzusetzen. Umgekehrt kann es sein, dass ein Gymnasium, das vor allem von Jugendlichen aus wohlhabenden Verhältnissen besucht wird, als »Failing School« einzustufen ist.

      Mit der hier gewählten Minimaldefinition schließen wir uns an Vorschläge an, bei denen der Begriff der »Failing School« auf einzelne Schulen als Organisation zu beziehen ist. Mithin setzen wir uns von Verallgemeinerungen ab, bei denen er das Versagen des Bildungssystems oder aber der Bildungspolitik bezeichnet: So fehlt es namentlich in der britischen Presse nicht an Artikeln, bei denen so unterschiedliche Dinge wie Mangel an qualifizierten Arbeitskräften oder Demonstrationen, die in Vandalismus umschlagen, auf »Failing Schools« zurückgeführt werden.1 Diese Kritik stützt sich auf Formeln, nach denen die Schule die Gesellschaft mit einer arbeitsmarkttauglichen jungen Generation oder mit guten demokratischen Bürgerinnen und Bürgern zu versorgen habe – kommt es zu Disparitäten oder zu Anomie, dann hat die Schule versagt. Kurzsichtig ist diese Kritik insofern, als sie verkennt, dass Disparitäten und Anomie bereits zur Ausgangslage der schulischen Bildungsprozesse gehören.

      Aber auch dann, wenn die Versagensproblematik auf der Ebene einzelner Schulen betrachtet wird, kann es zu Schuldzuweisungen kommen, die den Kern der Sache verfehlen. Unter dem Titel Reframing Shame skizziert Larry Cuban (2012) in einem Artikel einen Prozess, der sich auf drei Stufen der Versagensdiagnostik erstreckt: Schulisches Versagen war in diesem Sinne, historisch betrachtet, zunächst einmal individuelles Versagen der Lernenden. Dass Schülerinnen und Schüler an Aufgaben scheitern können, gehört zu den Ursprungsthemen der Pädagogik. Über lange Zeit war es nicht unüblich, Kinder im Falle regelmäßigen Scheiterns als faul oder dumm zu stigmatisieren, wobei dieses Versagen teils auf mangelhafte Erbanlagen, teils auf mangelnden Willen und mitunter auch auf unglückliche Umstände zurückgeführt wurde. Zu den unglücklichen Umständen konnten Lehrpersonen und Schulleitungen durch Fehlverhalten beitragen: Individuelles Scheitern konnte in dieser Perspektive auch die Gestalt des beruflichen Versagens annehmen.

      Bei der zweiten Stufe der Versagensdiagnostik rücken die unglücklichen Umstände als Quelle des Versagens ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Ökonomisch bedingte soziale Ungleichheit ist demnach das eigentliche Problem, wobei Mechanismen der Ausgrenzung wirksam werden, bei denen sich Mangel und Not mit kultureller Deprivation verbinden. Lehr- und Leitungspersonen waren in dieser Optik zunächst einmal Kinder ihrer Zeit und geprägt durch die eigene soziale Herkunft und deshalb nur sehr eingeschränkt in der Lage, korrigierend oder kompensierend in die Mechanismen der sozialen Reproduktion einzugreifen.

      Mit der schon angesprochenen Entdeckung, dass es Schulen gibt, die unter sehr widrigen Umständen sehr effektiv arbeiten, geschieht der Übergang zur dritten Stufe der Versagensdiagnostik, bei der es um das Versagen professioneller Akteure geht. Es ist nicht ohne Ironie, dass diese Versagensdiagnostik mit einem Lob anhebt: Bei den leistungsstarken Schulen in benachteiligten Milieus zeige sich, dass kompetente Leitungs- und Lehrpersonen gleichsam in der Lage sind, sich selbst und ihre Schule »aus dem Sumpf« der Elendsquartiere zu ziehen. Vordergründig scheint diese Feststellung einen pädagogischen Triumph zu bezeugen – bei genauem Hinsehen steckt der Teufel aber im Detail: Laut Cuban sind aufgrund dieser Entdeckung Lehr- und Leitungspersonen nun generell mit der Erwartung konfrontiert, dass sie einen positiven Unterschied machen können – und dass sie versagt haben, wenn es nicht gelingt, die eigene Schule auf ein durchschnittliches oder überdurchschnittliches Leistungsniveau zu führen. Der Pyrrhussieg der Pädagogik besteht demnach darin, dass ihre Gestaltungskraft ausdrücklich gewürdigt wird, und zwar bis hin zu dem Punkt, dass sie nun den Erfolg aller Schülerinnen und Schüler garantieren soll (Cuban, 2012). In den USA habe das zu einem bildungspolitischen Klima geführt, bei dem sich Reformen darauf beschränken, leistungsschwache Schulen zu reparieren oder durch neue Schulen zu ersetzen, ohne die sozialstrukturelle Benachteiligung anzugehen, die der Leistungsschwäche zugrunde liege.

      Die von Larry Cuban hinsichtlich des blaming and shaming geäußerte Kritik verbindet die Frage nach der Versagensdiagnostik mit derjenigen nach geeigneten Interventionsstrategien. Dabei ist zunächst einmal zu berücksichtigen, dass eine negative Diagnose selbst eine lähmende Wirkung haben kann. Wer einer Schule auf ungeschickte Weise beibringt, dass sie gravierende Funktionsprobleme hat, verstärkt unter Umständen die Handlungsunfähigkeit. Es ist mithin in Rechnung zu stellen, dass der Gebrauch des Etiketts »Failing School« stigmatisierend oder traumatisierend wirken kann.

      Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob es bei fehlender Handlungsfähigkeit einen Sinn ergibt, sich in diplomatischer Zurückhaltung zu üben: Möglicherweise ist ja ein heilsamer Schock nötig, um die Schule in Bewegung zu bringen. Bei komplexen Systemen ist indes die heilsame Wirkung von Schocks nicht sicher. Um eine unheilvolle Eskalation zu vermeiden, verbiete es sich grundsätzlich, Schulen an den Pranger zu stellen: »Attempting to promote change by using shame, guilt or bully tactics will fail in the long run« (Fink, 1999, S. 139). In dieselbe Richtung zielt der Rat von Huber:»Sicher braucht man eine Bezeichnung für das Phänomen – aber ganz klar abzulehnen ist, eine konkrete Einzelschule öffentlich so zu etikettieren« (Huber, 2012, S. 2). Hier stellt sich allerdings die Frage, ob Etikettieren mit Anprangern gleichgesetzt werden kann. Die gute Absicht, einzelne Bildungseinrichtungen nicht öffentlich mit dem Etikett »Failing School« zu versehen, liegt auf der Hand: Der vorsichtige Sprachgebrauch soll verhindern, dass Krisen, die ohnehin schon schlimm genug sind, weiter zugespitzt werden. Es ist aber auch leicht erkennbar, dass die Sache nicht ohne Tücken ist. Kommen vertraulich geäußerte, kritische Einschätzungen auf irgendwelchen Kanälen schließlich doch an die Öffentlichkeit (und nach Murphy’s Law ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass dies geschieht), wird sich der Ärger potenzieren. Zum anderen kann übergroße rhetorische Behutsamkeit eine Kategorie wissenschaftlich unbrauchbar machen: Wenn ein Sammelbegriff nur insgeheim auf einzelne Untersuchungseinheiten bezogen wird und lediglich ein verklausuliertes Feedback gegeben werden kann, ist darüber nachzudenken, ob das Evaluations- oder Forschungsdesign möglicherweise verfehlt ist.

      Von daher spricht manches dafür, einzelnen Schulen tatsächlich die kritische Diagnose zuzumuten, dass sie als Organisationen gegenwärtig nicht in der Lage sind, wichtige Probleme konstruktiv anzugehen. Entscheidend ist, dass sich eine solche Diagnose mit geeignetem Support verbinden muss, weil es zynisch wäre, die Hilflosigkeit zu konstatieren und es dabei zu belassen. Damit stellt sich die Frage, was zu tun ist, um einen Turnaround einzuleiten. Die OECD-Expertise »Improving low performing schools« nennt an erster Stelle die Stärkung von school leadership: Ein gelingender Wandel müsse bei der Führung ansetzen, die sowohl über pädagogische und organisationale Kompetenzen verfügen als auch einen Handlungsspielraum erhalten müsse, der es gestatte, diese Kompetenzen zur Geltung zu bringen (OECD, 2012, S. 112). Um solche Führungskräfte zu gewinnen, bedürfe es zum einen hoch entwickelter Qualifikationsprogramme und Weiterbildungsangebote, zum anderen müsse auch durch materielle Anreize dafür gesorgt werden, dass »Failing Schools« für hervorragende Leitungspersonen als Arbeitsplatz attraktiv sind.

      Die Forderung, vorrangig in die Optimierung von Führungsstrukturen und die Rekrutierung von hervorragendem Führungspersonal zu investieren, teilt die OECD-Expertise mit zahlreichen anderen Konzepten zum Turnaround (vgl. z. B. Altrichter & Moosbrugger, 2011; Herman et al., 2008; Leithwood, Harris & Strauss, 2010; Murphy & Meyers, 2007, S. 137ff.; Mujis, 2007). Im Falle von England stehen sie im scharfen Kontrast zu Daten, die den Schluss nahelegen, dass es immer schwieriger wird, kompetente und engagierte Leitungspersonen für Schulen in Stadtteilen zu finden, die durch Armut, Segregation und Kriminalität geprägt sind (Howson & Sprigade, 2011). Mit Blick auf die USA weisen Herman et al. (2008, S. 10) darauf hin, dass der evidence level für den Effekt einer Reorganisation im Zeichen von strong leadership als eher niedrig einzuschätzen ist. Allgemein ist davor zu warnen, »Führung« zu überhöhen: Sie spielt für die Schulqualität eine wichtige Rolle, jedoch gibt es viele Befunde, die darauf hinweisen, dass sie die Lernarrangements und deren Einbettung im schulischen Leben nur indirekt zu beeinflussen vermag und in dieser Hinsicht die Lehrpersonen eine zentrale Rolle spielen (Fend, 1986; Hattie, 2003; Holtappels, 2008; Reynolds,