Marie von Ebner-Eschenbach

Das Gemeindekind


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ob meine Parzeilen dich und Milada deine liebe schwester in guter gesundheit antreffen was Mich betrifft ich bin gesund und so weit zu frieden in meinem platz.

      deine Mutter.

      Meine zwei kinder tag und nacht Bete Ich für euch zum Liebengott glaube auch dass meine tochter Milada eine kleine klosterfrau werden wird wenn es die Zeit sein wird und arbeite fleißig hier imhause was mir zurückgelegt wird für meine kinder …

      [48]In sechs Jahren mein lieber sohn Pavel werde ich wieder Nachhaus kommen und bitt euch noch dass ihr manchesmal inguten an die Mutter denkt die ärmste auf der welt.«

      Die Lettern des Briefes waren steif und ruhig hingemalt, bei der Nachschrift hatte die Hand gezittert; große matte Flecken auf dem Papier verrieten, dass sie unter Tränen geschrieben worden waren. Mit Mühe entzifferte der Vorleser die halb verwischten Züge, und ihn ergriff die Fülle des Leids und der Liebe, die sich in dieser armseligen Kundgebung aussprach.

      »Pavel«, sagte er, »du musst deiner Mutter sogleich antworten.«

      Der Junge hatte sich abgewendet und starrte finster zu Boden. »Was soll ich ihr antworten?« murmelte er.

      »Was dein Herz dir eingibt für die unglückliche Frau.«

      Pavel verzog den Mund: »Es geht ihr ja gut.«

      »Gut, du dummer Bub? gut im Kerker?«

      Der alte Mann geriet in Eifer, er wurde warm und beredsam; die schönen und vortrefflichen Dinge, die er sagte, ergriffen ihn selbst, ließen Pavel jedoch kühl. Er hatte auf die Vorstellungen des Lehrers zwei Antworten, die er hartnäckig wiederholte, ob sie passten oder nicht: »Sie sagt ja selbst, dass es ihr gut geht«, und: »Die Schwester schreibt ihr nicht, warum soll ich ihr schreiben?«

      »Hast du denn gar kein Gefühl für deine Mutter?« fragte der Lehrer endlich.

      »Nein«, erwiderte Pavel.

      Der Alte schüttelte sich vor Ungeduld: »Ich denk der Zeit, wo du ein Kind warst«, sprach er, »und brav unter der Obhut deiner braven Mutter, die dich zur Arbeit angehalten [49]hat … Glotz du nur! – Brav und rechtschaffen, sag ich. Das war sie; aber leider gar zu geschreckt und immer halb närrisch aus Angst vor dem niederträchtigen … Na!« unterbrach er sich – »jeder Mensch hat Mitleid mit ihr gehabt, sogar den Richtern hat sie Erbarmen eingeflößt, nur du, ihr Sohn, bist mitleidlos gegen sie. Warum denn, warum? Ich frage dich, gib Antwort, sprich!« Er schob die Brille in die Höhe und näherte die kurzsichtigen Augen dem Gesichte Pavels. In den Zügen desselben malte sich ein eiserner Widerstand; aus den düsteren Augen funkelte ein Abglanz jener Entschlossenheit, die, auf eine große Sache gestellt, den Märtyrer macht. –

      Der Alte seufzte, trat zurück und sagte: »Geh, mit dir ist nichts anzufangen.« Als Pavel schon an der Tür war, rief er ihm aber doch Halt zu: – »Eins nur will ich dir sagen. Es ist dir nicht alles eins; ich hab es bemerkt, wenn die Leute dich schimpfen; eine Zeit kann kommen, in welcher du froh wärst, gut zu stehen mit den Leuten, und gerne hören möchtest: In seiner Jugend war der Pavel ein Nichtsnutz, aber jetzt hält er sich ordentlich. Für den Fall merk dir, merk dir, Pavel«, wiederholte er nachdrücklich, und eine schwache Röte schimmerte durch das fahle Grau seiner Wangen: »Mach dich nicht zu deinem eignen Verleumder. Das Schlechte, das die andern von dir aussagen, kann bezweifelt, kann vergessen werden; du kannst es niederleben. Das Schlechte, ja sogar das Widersinnige und Dumme, das du von dir selbst aussagst, das putzt sich nicht hinweg, das haftet an dir wie deine eigene Haut – das überlebt dich noch!«

      Er erhob die Hände über den Kopf, huschte so planlos und unbeholfen im Zimmer umher wie ein aus dem Schlafe gescheuchter Nachtfalter und wimmerte und stöhnte: [50]»Vergiss meinetwegen alles, was ich dir gesagt habe; aber den Rat vergiss du nicht, den geb ich dir aus meiner eigenen Erfahrung!«

      Pavel betrachtete den Schullehrer nachdenklich; der alte Herr tat ihm leid und kam ihm zugleich unendlich töricht vor. Worüber kränkte er sich? Konnte es darüber sein, dass die Leute ihn einen Hexenmeister nannten? … Das wäre auch der Mühe wert!

      Für sein Leben gern hätte er sich erkundigt, wusste aber nicht, wie die Frage stellen. Er nahm so lange keine Notiz von des Lehrers entlassenden Winken, bis dieser ihn heftig anließ: »Was willst du noch?« Dann gab er zur Antwort: »Wissen, was den Herrn Lehrer kränkt.«

      Habrecht bog sich zurück, tat einen tiefen Atemzug und schloss die Augen. »Später, Pavel, später, jetzt würdest du mich nicht verstehen.«

      Da platzte Pavel heraus: »Das wegen der Hexerei?«

      Ein unwillkürlicher Aufschrei: »Ja, ja!« und der Lehrer packte ihn an den Schultern und schob ihn aus der Tür.

      Also richtig! der Alte grämte sich über den Verdacht, in dem er im Dorfe stand. – Unbegreiflich kindisch erschien das dem Pavel; sein Gönner wurde von Stunde an ein Schwächling in seinen Augen, und er schlug dessen eindringlichste Warnung in den Wind. Ja, sie reizte ihn sogar, ihr zuwiderzuhandeln. Die Leute sollen ihn nur für schlechter halten, als er ist, er will’s – nach Lob und Liebe geizen die Feiglinge; sich sagen zu dürfen: Ich bin besser, als irgendeiner weiß – das ist die herbe, die rechte Wonne für ein starkes Herz.

      Den Brief der Mutter bemühte sich Pavel nachzubuchstabieren, und jetzt, wo er dessen Inhalt kannte, gelang es [51]ihm so ziemlich. Vinska überraschte ihn bei der Beschäftigung, wollte wissen, was er las, und als er ihr eine Auskunft darüber verweigerte, suchte sie ihm das Blatt zu entreißen.

      »Was?« zürnte sie, da er ihr wehrte, »du willst mir verbieten, dass ich mit dem Peter gehe, hast aber Geheimnisse vor mir? kriegst Briefe und versteckst sie?« Ihre hübschen Brauen zogen sich zusammen, um den Mund zuckte ein unbezwingliches Lächeln. »Meinst denn, dass ich nicht eifersüchtig bin?«

      Sie scherzte, sie verhöhnte ihn, er wusste es und – war beseligt, dass sie so mit ihm scherzte. »Ja, just – eifersüchtig! Du wirst just eifersüchtig sein«, brummte er, und ein Himmel tat sich vor ihm auf bei dem Gedanken, wie es denn wäre, wenn aus dem Spiel, das sie jetzt mit ihm trieb, einmal ernst werden sollte. Einmal! in der weiten unabsehbaren Zukunft, die noch vor ihm lag und welcher er, wenn auch sonst nichts, doch ein festes Vertrauen auf die eigene Kraft entgegentrug.

      Die Vinska hatte eine Hand auf die schlanke Hüfte gestemmt und streckte die andere nach ihm aus: »Von wem ist der Brief Pavlicek?« fragte sie schmeichelnd und schelmisch, »der Brief, den du an deinem Herzchen versteckst?«

      »Von meiner Mutter«, antwortete er rasch und wandte sich ab.

      Vinska tat einen Ausruf des Erstaunens: »Wenn’s wahr ist! Ich hätt nicht geglaubt, dass die im Zuchthaus Briefe schreiben dürfen. Was könnten sie auch schreiben? – gute Lehren vielleicht, wie man’s anstellen soll, um zu ihnen zu gelangen ins freie Quartier.«

      Pavel nagte gequält an den Lippen.

      »Wirf den Brief weg«, fuhr Vinska fort, »und sag [52]niemandem, dass du ihn gekriegt hast; es soll nicht heißen, dass zu uns Briefe kommen aus dem Zuchthaus. Die Leute sagen uns ohnehin genug Übles nach.«

      »Noch immer weniger, als ihr verdient!« rief Pavel heftig aus, und Vinska errötete und sagte verwirrt und sanft: »Ich hab dein Bestes im Sinn; ich hab gestern den ganzen Tag für dich genäht; ich hab dir ein ganz neues Hemd gemacht.«

      »Ein Hemd – so?«

      »Aber glaub mir, mit der Mutter sollst du nichts zu tun haben; glaub mir, sie hat den Galgen mehr verdient als dein Vater, und er hat gewiss recht gehabt, wie er immer ausgesagt hat vor Gericht: Das Weib hat mich verführt … Er hat nichts von sich gewusst, er war ja immer besoffen; aber sie – oh, sie hat’s hinter den Ohren gehabt! … und es war halt wie im Paradies mit dem Adam und der Eva.«

      Sie sah in lauernd von der Seite an und begegnete in seinen Zügen dem Ausdruck einer außerordentlichen Überraschung.

      »War denn der Adam besoffen?« fragte er mit ehrlicher Wissbegier.

      Vinska fasste ihn an beiden Ohren, rüttelte ihn und lachte: »Oh wie dumm! nicht vom