stand, erstaunlich hallte. Da die Pendelleuchte nach unten strahlte, erhellte sie den Raum nicht so weit, dass Christina Wände hätte sehen können. Es musste sich um eine große Halle oder etwas in der Art handeln. Wo befand sich diese Halle, wenn niemand auf ihr Schreien reagierte?
Verdammt, was nützen mir freie Hände, wenn ich dieses verdammte Schloss nicht aufbekomme?
Wieder warf sie sich verzweifelt hin und her, konnte aber die Kette nicht im Geringsten lockern. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine Art kleines Tablett, das an der Innenwand des Bottichs in Augenhöhe befestigt war. Sie schrieb es ihrer Panik zu, dass ihr das nicht vorher aufgefallen war.
Zuerst wollte sie ihren Augen nicht trauen, als sie entdeckte, was da auf dem Vorsprung in einem kleinen Berg einer undefinierbaren Masse steckte: Aus der Masse heraus ragte der hintere Teil von etwas, was ohne Zweifel ein Schlüssel sein musste.
Die Aufregung, verbunden mit der Erleichterung, ließ sie beinahe hyperventilieren. Der Schlüssel befand sich in erreichbarer Nähe, und sie musste nur nach ihm greifen, dann konnte sie sich sicherlich befreien. Ihre Todesangst war fast verschwunden, zumindest so weit, dass sie sich bei der Handbewegung hin zu dem rettenden Schlüssel fragte, was das wohl für eine Masse war, in welcher der Schlüssel steckte.
Sie drehte den Kopf so weit es nur ging, um die Masse so gut wie möglich sehen zu können.
Als sie sich noch ein wenig mehr in die Richtung neigte, erreichte sie ein Geruch, den sie sofort erkannte.
Oh nein ... bitte nicht ... das kann doch nicht wahr sein. Bitte, lieber Gott, warum strafst du mich so?
Kapitel 10
Koblenz-Karthause, 10:30 Uhr
Sie kannte Ulf Auer nun seit etwas mehr als einem Jahr. Damals hatte sie als Praktikantin bei der Mordkommission Koblenz an den Ermittlungen zu einem Serientäter teilgenommen, bevor sie für die abschließenden neun Monate zurück an die Polizeischule gegangen war. Direkt nach ihrem Abschluss war sie vor drei Monaten zur Mordkommission zurückgekehrt, nun als fertige Kriminalkommissarin und vollwertiges Mitglied dieser Ermittlungseinheit.
Seit sie Auer kannte, hatte sie ihn lediglich einmal in einem so desolaten Zustand gesehen. Es war damals an einem Tatort gewesen, wo sie die schrecklich zugerichtete Leiche einer Rentnerin hatten betrachten müssen. Dort hatte Auer sich abgewendet, den Kopf gegen einen Baum gelegt und einen Weinkrampf bekommen. Er hatte nie erzählen wollen, warum ihn ausgerechnet dieser Tatort so mitgenommen und aus der Bahn geworfen hatte.
Nun stand er in ähnlicher Stellung in dem Kellerraum, der das Büro des getöteten Werbefachmanns gewesen war. Er hatte den Arm in Kopfhöhe gegen die Wand gelegt, und seine Stirn ruhte auf seinem Unterarm.
Coco wollte nicht neugierig sein, aber sie beobachtete ihren Chef und Mentor genau, weshalb ihr die Tränen, die seine Wangen hinunterliefen, nicht entgingen. Sie überlegte, ob sie ihn ansprechen, vielleicht eine Hand beruhigend auf seine Schulter legen und ihn trösten sollte. Aber da sie nicht wusste, was der Grund für seinen Kummer war, konnte sie ihn auch nicht trösten.
Hilflos blieb sie einfach stehen und blickte fragend zu Gerd Duben. Der zuckte lediglich mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Entweder hatte er genauso wenig Ahnung wie sie, was mit Ulf los war, oder er spielte nur den Unwissenden, um ihr zu signalisieren, dass sie das nichts anging.
Also standen sie lediglich herum, ohne etwas zu sagen. Es handelte sich letztendlich lediglich um zwei Minuten, die ihr aber wie eine kleine Ewigkeit vorkamen.
Auer straffte sich, wischte sich mit dem Ärmel über sein Gesicht und drehte sich dann zu ihnen um.
„Sorry, Leute, tut mir leid, aber ich bin momentan etwas angespannt“, war seine nichtssagende Erklärung.
„Können wir dir irgendwie helfen?“, versuchte Coco ihre Unterstützung anzubieten. „Dich bedrückt doch irgendwas ziemlich, oder?“
„Ach was, halb so schlimm. Ich möchte nicht drüber reden. Außerdem haben wir zu tun.“
Coco runzelte die Stirn und wusste nicht, was sie von diesen Ausflüchten halten sollte. Das war ansonsten nicht Ulfs Art, der auch schon mal persönliche Dinge mit ihr besprach.
„Okaaay“, zog sie ihre widerwillige Zustimmung in die Länge und hoffte, dass er ihre Missbilligung verstand. Vielleicht würde er ja zu gegebener Zeit von selbst darauf zu sprechen kommen, was dieses seltsame Verhalten zu bedeuten hatte. Sie hakte es für den Moment ab und richtete ihre Konzentration auf den vorliegenden Fall.
„Wie wollen wir vorgehen? Ich denke mal, wir sollten diesen Doktor Rossbacher zu unserem Opfer befragen. Vielleicht ist er ja bereit, uns ein wenig unter die Arme zu greifen.“
Ihr entging nicht, dass Ulf bei der Nennung des Namens wiederum zusammenzuckte.
„Gute Idee, ganz meine Meinung“, sagte er im nächsten Moment mit wieder fester Stimme. „Ich schlage vor, du und Gerd fahrt mal zu ihm und befragt ihn. Vielleicht bringt es uns ja zusätzliche Informationen. Ich mache mich derweil mit dem Rechner des Toten auf zu Fisch. Eventuell kann der ja die Sicherung knacken, und wir erfahren durch die Auswertung etwas mehr.“
Mit diesen Worten drehte er sich wieder um, ging zu dem Computer und begann wortlos, ihn abzubauen.
Coco und Duben sahen sich an und schüttelten beide verwundert den Kopf.
Bereits auf der Fahrt zurück in die Innenstadt konnte Coco sich nicht zurückhalten, Duben auf den Vorfall anzusprechen.
„Hast du Ulf schon mal so erlebt? Das ist doch nicht normal. Was hat er denn?“
Duben schüttelte den Kopf. „Ich habe tatsächlich auch keine Ahnung. Und ich gebe dir recht, das ist nicht normal für unseren Chef.“
„Aber ihr seid doch schon ziemlich lang befreundet“, hakte Coco nach. „Ich habe ihn lediglich einmal so gesehen, und das war am Fundort der Leiche von Gerlinde Bräunig, weißt du noch? Die Leiche der Rentnerin, die wir so schrecklich zur Schau gestellt aufgefunden haben. Erinnerst du dich noch an seinen Zusammenbruch am Fundort?“
Duben wandte den Blick von der Straße ab und sah sie kurz mit aufgerissenen Augen an.
„Du hast recht“, entgegnete er dann bedächtig, „damals hat er sich auch so seltsam verhalten. Ich hab da gar nicht mehr dran gedacht. Aber was hat dieser Fall mit dem von heute zu tun?“
„Keine Ahnung, aber ich vermute, es gab etwas in seiner Vergangenheit, an das er erinnert wurde“, meinte Coco nach kurzer Überlegung. „Seit wann kennt ihr euch?“
Duben musste nicht lange überlegen.
„Wir waren zusammen in der Ausbildung, also schon seit neunzehn Jahren. Er ist zwar sechs Jahre älter als ich, aber er ist nicht sofort nach der Schule zur Polizei gegangen, deshalb waren wir in einer Ausbildungsgruppe.“
„Und seit ihr euch kennt, ist nichts passiert, was dieses Gefühlschaos erklären könnte?“
Dubens Mundwinkel sanken nach unten, als er nach kurzem Überlegen den Kopf schüttelte.
„Hat er dir denn irgendwann mal etwas über einen Vorfall erzählt, der sich vielleicht vor eurem Kennenlernen ereignet hat?“, gab Coco nicht auf.
Duben reagiert nicht sofort, sondern konzentrierte sich zunächst aufs Fahren ... bis er plötzlich die Augen aufriss.
„Doch, da war mal was“, rief er überrascht aus und sah wieder zu Coco auf den Beifahrersitz herüber.
„Ganz am Anfang unserer Ausbildung hat er mir mal erzählt, dass er eine traumatische Erfahrung gemacht hat, die ihn letztendlich dazu bewegt hat, sein Studium abzubrechen und zur Polizei zu gehen. Aber er hat nie erzählt, was das für ein Erlebnis war, da bin ich mir sehr sicher.“
Das war eine neue Information für Coco, denn von einem Studium hatte Ulf ihr noch nie etwas erzählt.
„Und was hat er studiert? Weißt du das?“
Duben