Bernhard Kempen

Europarecht


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      415

      Wie der adressatengerichtete Beschluss ist auch der adressatenlose Beschluss in allen (seinen) Teilen verbindlich (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV; s. Rn. 405 f.).

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      Wie der adressatengerichtete Beschluss gilt auch der adressatenlose Beschluss unmittelbar (s. Rn. 407 f.).

      417

      Der adressatenlose Beschluss gilt für und gegen alle diejenigen, die in den Regelungsgehalt dieses Beschlusses fallen. Seine allgemeine Geltung entspricht derjenigen der Verordnung, wenngleich sich der adressatenlose Beschluss und die Verordnung in diesem Punkt wiederum darin unterscheiden, dass sich die allgemeine Geltung des adressatenlosen Beschlusses prinzipiell stets auf den unionsinternen Bereich beschränkt, wohingegen die Verordnung als v.a. außenwirksame Rechtsnorm grundsätzlich erga omnes gegenüber den Mitgliedstaaten und den Einzelnen gilt.

      418

      

      Das Merkmal der allgemeinen Geltung ist für den adressatenlosen Beschluss nicht ausdrücklich in Art. 288 UAbs. 4 AEUV normiert. Es ergibt sich aber aus einem Umkehrschluss aus Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV. Ist ein Beschluss nicht an bestimmte Adressaten gerichtet, ist seine Verbindlichkeit und damit seine Geltung nicht auf Adressaten beschränkt. Verbindlichkeit und Geltung wirken dann unbeschränkt, d.h. allgemein.

      419

      Mit dem Merkmal der allgemeinen Geltung unterscheidet sich der adressatenlose Beschluss grundlegend vom adressatengerichteten Beschluss, der individuelle Geltung hat (s. Rn. 409 f.).

      B › Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi)

      I.Begriff und Abgrenzung420 – 422

      II.Historische Entwicklung423 – 431

      III.Maßnahmen der EU zur Verwirklichung des Binnenmarktes432 – 443

       1.Negative Integration433 – 435

       2.Positive Integration436 – 443

      Lit.:

      B. Busch, Der EU-Binnenmarkt – Anspruch und Wirklichkeit, 2009; C. Hillgruber, Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung – Gemeinschaftsziel und -kompetenz ohne Grenzen?, GS für W. Blomeyer, 2004, 597; M. Möstl, Grenzen der Rechtsangleichung im europäischen Binnenmarkt – Kompetenzielle, grundfreiheitliche und grundrechtliche Schranken des Gemeinschaftsgesetzgebers, EuR 37 (2002), 318; N. Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 2 (1991), 203; I. E. Schwartz, Rechtsangleichung und Rechtswettbewerb im Binnenmarkt – Zum europäischen Modell, EuR 42 (2007), 194.

      BBinnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi) › I. Begriff und Abgrenzung

      420

      Der Binnenmarkt wird in Art. 26 Abs. 2 AEUV als Raum ohne Binnengrenzen definiert, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Er umfasst gleichzeitig ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus Art. 26 Abs. 2 AEUV, sondern folgt aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) AEUV und ist explizit im Protokoll Nr. 27 über den Wettbewerb und den Binnenmarkt festgeschrieben.

      421

      Im Vergleich zu einer Freihandelszone und zu einer → Zollunion weist der Binnenmarkt den höchsten Integrationsgrad auf. In einer Freihandelszone verzichten die beteiligten Staaten wechselseitig auf die Erhebung von Zöllen und heben sonstige den Handel untereinander beschränkende Maßnahmen auf. Gegenüber Drittländern betreibt jedoch jeder Staat weiterhin eine autonome Handelspolitik, setzt insbesondere die entsprechenden Zolltarife selbständig fest. Anders ist dies bei einer Zollunion, bei der zusätzlich eine gemeinsame Bestimmung des Außenzolls gegenüber Drittländern erfolgt. Der Binnenmarkt seinerseits umfasst nicht nur eine Zollunion. Neben dem freien Verkehr von Waren gewährleistet er nämlich auch den von Personen, Dienstleistungen und Kapital.

      422

      

      Vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon war lange Zeit umstritten, ob und in welcher Hinsicht – rechtlich oder terminologisch – der früher etwa in Art. 14 EGV verwendete Begriff Binnenmarkt gegenüber Gemeinsamer Markt (der sich etwa in Art. 3 EGV fand) Unterschiede aufwies. Dieser Streit ist nunmehr hinfällig geworden, da im Vertrag von Lissabon der Begriff Gemeinsamer Markt vollständig durch Binnenmarkt ersetzt worden ist.

      BBinnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi) › II. Historische Entwicklung

      423

      Die Realisierung des Binnenmarktes (unter dem Terminus Gemeinsamer Markt) wurde bereits in Art. 2 des Gründungsvertrags der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, → Europäische Union: Geschichte) als ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft festgelegt. Erforderlich zur Erreichung dieses Ziel sind zum einen der Wegfall jeglicher Zölle zwischen den Mitgliedstaaten, zum anderen die Eliminierung jeglicher zwischen ihnen bestehender sog. nichttarifärer Handelshemmnisse. Das sind den Handel mittel- oder unmittelbar beschränkende Maßnahmen, bei denen es sich nicht um Zölle handelt. Beispiele für nichttarifäre Handelshemmnisse sind nationale Regelungen, die bestimmte technische Anforderungen für die Zulassung von Produkten stellen, oder die beschränkte Anerkennung von ausländischen Berufs- und Studienabschlüssen.

      424

      Während die Zollunion bereits im Jahre 1967 errichtet werden konnte, erschwerten nichttarifäre Handelshemmnisse noch über Jahrzehnte hinweg massiv die ungestörte Ausübung der Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren) und damit auch die Verwirklichung des Binnenmarktes. Einen ersten wichtigen Schritt zur