Bernhard Kempen

Europarecht


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Beschluss an einen Einzelnen und verpflichtet er ihn zu einer Zahlung, stellt der adressatengerichtete Beschluss einen vollstreckbaren Titel für eine mögliche Zwangsvollstreckung dar.

      402

      Für den Erlass eines adressatengerichteten Beschlusses sind entweder der → Rat (Ministerrat) und das → Europäische Parlament gemeinsam oder der Rat allein oder die → Europäische Kommission zuständig (→ Rechtsetzungsverfahren). In der Praxis werden die wohl meisten adressatengerichteten Beschlüsse von der Kommission erlassen.

      403

      Der adressatengerichtete Beschluss kann an Einzelne (sog. individualgerichteter Beschluss), d.h. an natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, oder an Mitgliedstaaten (sog. staatengerichteter Beschluss) adressiert werden. Er kann sich dabei auf einen einzelnen Adressaten beschränken. Er kann aber auch mehrere Adressaten haben. Ein staatengerichteter Beschluss kann sogar an alle Mitgliedstaaten gerichtet werden. Ein staatengerichteter Beschluss erfasst stets den jeweils adressierten Mitgliedstaat als Gesamtstaat (vgl. EuGH, Urt. v. 21.5.1987, 249/85 – Albako –, Rn. 17), d.h. alle Stellen der Legislative, Exekutive und Judikative.

      404

      Der adressatengerichtete Beschluss zeichnet sich gem. Art. 288 UAbs. 4 AEUV dadurch aus, dass er in allen seinen Teilen verbindlich ist, unmittelbare Geltung beansprucht und an bestimmte Adressaten gerichtet ist.

      405

      Der adressatengerichtete Beschluss ist in allen seinen Teilen verbindlich (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV). Mit dem Merkmal der rechtlichen Verbindlichkeit entspricht der adressatengerichtete Beschluss insoweit der → Verordnung und der → Richtlinie und unterscheidet sich insoweit von den unverbindlichen → Empfehlungen und Stellungnahmen. Im Falle einer u.U. erforderlich werdenden Abgrenzung zwischen den unverbindlichen Handlungsformen einerseits und dem adressatengerichteten Beschluss andererseits stellt der → Europäische Gerichtshof (EuGH) im Hinblick auf das Merkmal der Verbindlichkeit maßgeblich darauf ab, ob eine Maßnahme der Union dazu bestimmt und geeignet ist, unmittelbare rechtliche Wirkungen hervorzurufen, also in Rechtspositionen einzugreifen (vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.1967, 8/66 u.a. – Cimenteries –, S. 122).

      406

      Indem der adressatengerichtete Beschluss in allen (seinen) Teilen verbindlich ist, entspricht er insoweit der Verordnung, unterscheidet sich in diesem Punkt aber – wie die Verordnung – von der Richtlinie, die lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, die Wahl der Form und Mittel jedoch den Mitgliedstaaten überlässt.

      407

      Der adressatengerichtete Beschluss gilt – wie die Verordnung – unmittelbar, d.h. er entfaltet mit seiner Bekanntgabe gegenüber dem jeweiligen Adressaten direkt seine Rechtswirkungen. Es bedarf – anders als bei der Richtlinie – weder einer Umsetzung noch eines konkreten Vollzugsbefehls auf mitgliedstaatlicher Ebene.

      408

      

      Das Merkmal der unmittelbaren Geltung des adressatengerichteten Beschlusses ist – anders als bei der Verordnung (vgl. Art. 288 UAbs. 2 S. 1 AEUV) – nicht ausdrücklich in Art. 288 UAbs. 4 AEUV normiert. Dennoch ist seine Existenz anerkannt. Der EuGH folgert die unmittelbare Geltung aus dem in Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV normierten Merkmal in allen seinen Teilen verbindlich (s. Rn. 415 f.). Aus der Verbindlichkeit des adressatengerichteten Beschlusses in allen seinen Teilen ergebe sich, dass dieser auch geeignet sein müsse, unmittelbare Wirkungen zu erzeugen (st. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 6.10.1970, 9/70 – Grad –, Rn. 5).

      409

      Gem. Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV ist der adressatengerichtete Beschluss an bestimmte Adressaten, d.h. an einen abgegrenzten Adressatenkreis, gerichtet. Dabei kann es sich um einen einzelnen Adressaten oder um mehrere Adressaten handeln. Der Adressat muss nicht unbedingt namentlich benannt sein. Es genügt vielmehr, dass der Beschluss individualisierbar ist, z.B. dadurch, dass sich der Adressatenkreis aus der Regelung des Beschlusses erschließen lässt.

      410

      

      Der adressatengerichtete Beschluss ist nur für den/die Adressaten, an den/die er gerichtet ist, verbindlich und hat damit lediglich individuelle Geltung. Insoweit entspricht er der Richtlinie, die ebenfalls lediglich für denjenigen Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, Verbindlichkeit beansprucht, und unterscheidet sich in diesem Punkt von der Verordnung, die als Rechtsnorm allgemeine Geltung (vgl. Art. 288 UAbs. 2 S. 1 AEUV) erga omnes hat.

      BBeschluss (Daniela Schroeder) › III. Adressatenloser Beschluss

III. Adressatenloser Beschluss

      411

      Der adressatenlose Beschluss stellt in der bisherigen Praxis eine typische Handlungsform der Union im Bereich ihrer Binnenorganisation dar und kommt hier mit unterschiedlichsten Regelungsinhalten zum Einsatz: z.B. zum Erlass von Intra- und Inter-Organrecht (→ Rechtsakte) und zur Politikgestaltung.

      412

      Wie beim adressatengerichteten Beschluss (s. Rn. 402) liegt die Zuständigkeit für den Erlass eines adressatenlosen Beschlusses entweder beim Rat und beim Europäischen Parlament gemeinsam, beim Rat allein oder bei der Kommission.

      413

      Im Gegensatz zum adressatengerichteten Beschluss (s. Rn. 403) hat der adressatenlose Beschluss – wie sein Name bereits verdeutlicht – keine bestimmten Adressaten und damit keinen abgegrenzten Adressatenkreis.

      414

      Der adressatenlose Beschluss zeichnet sich gem. Art. 288 UAbs. 4 AEUV