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Identitätskonzepte in der Literatur


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war, der mit seinem 1948 erschienenen opus magnum Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter die Ganzheitlichkeit des kulturtragenden Systems von Sprache und Literatur ebenso einklagte wie die Rückkehr der Hochzeiten einer emanzipativen Rhetorik nach den zwölf Jahren ihrer diktatorischen Unterdrückung gegenüber einer lauten, aber unlauteren Propaganda. Curtius hatte sich schon zu Beginn des Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg in die Konflikte Deutschlands mit dem „Erbfeind“ Frankreich eingemischt. Konkret mahnte er im Kontext der Besetzung des Rheinlandes, genauer, der von Maurice Barrès vertretenen Annektionspolitik der „penetration pacifique“, die Gemeinsamkeiten der Kulturen an, insbesondere gerade der Literatur, der intellektuellen Kultur und europäischen Denktradition in dieser historisch gesättigten Topographie rund um den Rhein. Diese Topographie und ihre Geschichte gehört zum Gegenstandsbereich des Instituts „Moderne im Rheinland“.

      Das Saarland ist heute in der mentalen Selbstpositionierung der Zeitgenossen weiter weg vom Rheinland, als es lange Zeit war. Das sollte nicht so sein. Auch auf diesem Wissenschaftsfeld lohnt es, an alternative Vergangenheiten anzuknüpfen. Die Autoren im „Bund rheinischer Dichter“, der zum Gegenstandsbereich der Forschungen des Instituts zählt, dachten z.B. vor hundert Jahren wieder einmal ganzheitlich und verstanden das Saarland als Teil der Herausforderung, die ihre Zeit bereithielt. Sie wollten nach dem Ersten Weltkrieg einen ‚Völkerfrühling‘, der in Gedichten, Manifesten und Reden beschworen wurde.1 Damit vertraten sie ein Projekt der europäischen Identität, das in unseren Diskurs gehört. Doch zwischen dem Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, dem sich diese Tagung verdankt, und unserem Institut gibt es schon eine Geschichte, die hier und heute weitergeschrieben wird. Das Symposium zu Yvan Goll, bei dem wir hier, an der Universität des Saarlandes und dem Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, zu Gast sein durften, um diesen Europäer und für beide Institute wichtigen Zeitgenossen der Moderne einmal in den Blick zu nehmen, haben wir als großen Gewinn erfahren. Und so nehme ich den Verweis auf Curtius noch einmal auf und betone die wissenschaftliche, kulturpraktische und, last but not least, die persönliche Bereicherung, die diesen Diskurs möglich machen, auch die Anreicherung, die wir hier einmal mehr in den gemeinsamen Topf hineingeben. Ich bedanke mich für die Einladung, die Arbeit und das Konzept des Instituts hier vorzustellen und damit eine weitere, nun auf das wissenschaftliche Selbstverständnis des transdisziplinären Diskurses zur Identitätsproblematik zielende Perspektive zu eröffnen.

      Wir treffen hier zusammen als gelernte Literaturwissenschaftler:innen, und sind doch immer auch Historiker:innen, Medien- und Kulturwissenschaftler:innen. Wir haben uns innerhalb unserer Disziplin bewegt, es hat uns bewegt, wir wurden bewegt. Wo begegnen wir uns aktuell, können wir uns hier und jetzt betreffen lassen? Um das herauszufinden, tauschen wir Erfahrungen aus, lassen uns in die Karten schauen. Ich spreche hier in Absprache und Rollenverteilung mit Jasmin Grande, der stellvertretenden Leiterin des Instituts „Moderne im Rheinland“. Mit ihr habe ich gemeinsam Vieles erarbeitet, zurzeit stehen Reste zum Thema „100 jahre bauhaus im westen“ und das Projekt „Die Bonner Republik. Forschung – Diskurs – Öffentlichkeit“ an. Letzteres ist transdisziplinär, insbesondere auf der Ebene der Philosophischen Fakultät angestoßen, also im Bemühen, eine fächersprengende Identität in der aktuellen, oft allzu spartengläubigen Universitätslandschaft zu realisieren. Ist das Neuland?

      Es gibt bekanntlich keine historische „Stunde Null“, die Jasmin Grande für das Projekt „Bonner Republik“ als Narrativ der Nachkriegszeit als Herausforderung angenommen hat, auch nicht für die Forschungen, die uns hier, heute und morgen beschäftigen werden. Und so gibt es auch keine ‚Stunde Null‘ hinsichtlich der Fundierung unserer Beschäftigung mit Regionen. Unsere Antwort auf diese wissenschaftliche Herausforderung ist die „Rhetorik der Region“. Diese theoretische und methodische Leitlinie ist in diesem Diskurs des Instituts seit langem virulent vorhanden. Konkret wurde sie mit der Titelgebung „Rhetorik der Region“. Es handelt sich um einen seit den späten 1990er Jahren vertretenen Forschungsansatz, der uns seither begleitet und natürlich weitergedacht wird.

      Für uns, das Institut „Moderne im Rheinland“, gab und gibt es Haltepunkte bei der Suche nach Ausdifferenzierung der theoretischen und methodischen Implikationen des Zugangs zur Analyse von Kulturtopographien:

      1 Die 1990er Jahre: Die Existenz zweier An-Institute an der Heinrich-Heine-Universität, nämlich analog zum Moderne-Institut das Eichendorff-Institut, das sich der Erforschung Oberschlesiens widmete, führte zu komparatistischen Blicken auf kultursoziologische und literarhistorische Zusammenhänge. Schon in diesem Diskurs war das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass dabei. Das Vergleichsmoment ergab sich insbesondere mit den literarischen Quellen. Oft sind es poeta minores oder allzu heimattümelnde, ja, bedingt durch die für alle drei Regionen vergleichbaren aggressiven Grenzdiskurse entsprechende Kontexte, durch vergleichbare Herrschaftsdiskurse mit annektionistisch instrumentalisierten Autoren auch ideologisch armierte Texte. Wenn uns nicht dieses kulturwissenschaftliche Interesse geleitet hätte, wäre es uns schlecht ergangen. Jedes methodische, an den Maximen der Werkimmanenz und ihrer Vorliebe für eine rein ästhetisch dimensionierte Höhenkammliteratur orientierte Programm hätte eine wahre Kassationsorgie zur Folge haben müssen. Der verbleibende Rest an Literatur hätte sehr bescheiden ausgesehen! Noch folgenreicher: Das eigentliche Interesse an Literatur und Kultur in Regionen ließ sich damit überhaupt nicht angehen. Ein paradigmatischer Wechsel in der Fragestellung musste vollzogen werden.

      2 Das erste Jahrzehnt in den 2000er Jahren bot weitere Perspektiven mit zwei DFG – Tagungen: „Kulturtheorie und Region“; und „Konstruktionsprozesse der Region unter dem Aspekt der europäischen Moderne“2 sollten die Forschungen zur Kultur in der Region fundieren. Hier wurde der gezielte Rekurs auf das tradierte und erstaunlich leistungsfähige Element der artes liberales noch ein wenig als Provokation in den Diskurs eingeführt. Doch die Perspektive wurde deutlich herausgearbeitet: Kultur ist, im Denken und der Pragmatik der Rhetorik, Gestus, erkennbar in Strukturen und generell als Transfer von Bedeutung zu lesen: produktions- und rezeptionsästhetisch relevant.

      3 Das zweite Jahrzehnt begann mit einem EU-Antrag im Rahmen des „Seventh Framework Programme“ zum Thema „TRIANGLE – Tri border areas as reality, paradigm and challenge for Europe“. Es führte aus dem Dilemma heraus, jede Region, die historisch als Grenzregion eine spezifische Geschichte mit sich führt, in bipolaren Mustern zu denken, diesseits und jenseits der Grenze Identität und Alterität zu verankern. Genau das, so zeigte sich mit der Ausdifferenzierung der Forschungen zur Erinnerungskultur, über Pierre Nora bis zu Jan und Aleida Assmann, ist zu eng gedacht.

      4 In den vergangenen Jahren haben Jasmin Grande und ich eine eigene Forschungsperspektive ausgearbeitet. Sie umfasst die Weiterentwicklung und Anwendung der „Rhetorik der Region“, darüber hinaus hat Jasmin Grande den Diskurs weiterbewegt, wie sich im nachfolgenden Beitrag erkennen lässt. Konstant bleibt dabei das Denkbild Dreiländereck. Das wollten und wollen wir als Paradigma entwickeln, um jeder bilateralen Versuchung trilateral zu entkommen. Damals war TRIANGLE ein EU-Antrag in der dort weitgehend festgelegten Dimension einer „large Challenge“. Wir mussten dennoch zugreifen, um das Thema der grenzüberschreitenden kulturhistorischen Forschung zu vertiefen. Konkret musste unser Projekt Mindestkosten von vier Millionen Euro einplanen. Das Geld für die Antragstellung hatte uns das Wissenschafts-Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen zum zehnjährigen Bestehen des Instituts geschenkt. Wir haben den Zuschlag bei einer zu erwartenden Erfolgsquote von 7,5% für EU-Projekt im Bereich Kultur nicht bekommen, aber etliche internationale Diskurse zu Dreiländerecken vom Bodensee bis zur Gemengelage von Kaschuben, Polen und Deutschen in Danzig zu „Konferenzen“ und Kooperationen generiert. Immer im Blick: das Paradigmatische des dreidimensionalen Blicks und die dazu entwickelten methodischen Konzepte: damals in Zusammenarbeit mit u.a. einem sozialwissenschaftlichen Institut in Wien, das mit dem Ansatz der Sozialkapitalforschung eine Vergleichsebene ausdifferenzierte und für die Untersuchung von nationalen Nachbarschaften fruchtbar machte. Wir haben daraus z.B. eine Möglichkeit entwickelt, solche Nachbarschaften in Dreiländerecken, also komplexe Zusammenhänge vermittels der „Sympathograhie“ erkennbar zu machen. Diese Form der Analyse der jeweiligen Urteile über den angrenzenden ‚Anderen‘ sind für nationale Literaturdiskurse geradezu ideal. In einem der Diskurse, nämlich auf der Suche nach der „Gedächtnistopographie“ waren die Saarbrücker Forschungen beteiligt.