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Identitätskonzepte in der Literatur


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natürlich und sehr laut und im Blick auf die Literaturgeschichte: ja! Wie begegnen sich die Ebenen? Wo werden sie greifbar? – Für das Institut gab es zu diesem Zeitpunkt eine klare Linie, ja, eine Antwort. Im Bescheidenheitsgestus formuliert: der Versuch einer Antwort. Wie in der Antike eine Vorstellung davon herrschte, dass das Gehirn ein Ort des Gedächtnisses ist, der die Gegenwart analysierbar und sinnvoll strukturierbar macht, lässt sich auch heute noch ein Ort ausmachen, sozusagen das heuristische Land, auf dem die Regeln dieses Systems anwendbar sind: Nennen wir sie: Kulturtopographie.

      5 Das Institut Moderne im Rheinland ist dabei, mit diesem Begriff Kulturtopographie kultursoziologische Arbeitsschwerpunkte, z.B. zu literarisch-kulturellen Gruppenbildungen, etwa „Künstlerkolonien“ zu bündeln und auszubauen. Genau genommen vertritt auch das Institut „Moderne im Rheinland“ selber eine Kulturtopographie. Im Kontext einer Tagung zur Erinnerung an 100 Jahre Sonderbund im Kölner Walraff-Richartz-Museum haben wir diese nationale Besonderheit für die Moderne in Deutschland sozusagen für uns reklamiert. Mit dieser Vergangenheit ergibt sich ein Konstrukt und doch auch lebendige Gegenwart, wie hier zu sehen, doch zukünftig auch weiter zu fassen sein würde, z.B. mit Fragen nach dem, was die Bonner Republik zu einer Kulturtopographie macht; und was mit dieser kulturwissenschaftlichen Sicht auf historische Zusammenhänge der Geschichtsforschung überlegen ist, wenn es um das Verständnis der Formate, der leitenden Ideen, der kulturellen Identität geht, die eo ipso den Verlauf der Geschichte lenken.

      Die Aktualität der Rhetorik

      Einen Rückgriff auf längst überholt Scheinendes bedarf der Legitimation und Erprobung:

      Die Rhetorik war in der Antike eine anwendungsorientierte Kulturtheorie und -praxis. Diesen Standpunkt haben wir genutzt und sprechen von der „Rhetorik der Region“. Das Thema impliziert eine Frage: Ist der Begriff „Rhetorik“ nicht schon längst zu eng? Das wollte auch das Wissenschaftsportals L.I.S.A. der Gerda Henkel-Stiftung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit von regionaler historischer Forschung wissen.1 Ja und nein: Der Begriff „Rhetorik“ verweist auf eines der tragenden Elemente unserer europäischen Bildungsgeschichte und es wäre ein Fehler, ihn in einem arroganten Akt als überflüssig oder überholt zu streichen. Tatsächlich lässt sich „Rhetorik der Region“ geradezu als Leitfaden, als unerschöpfliche Versicherung lesen für die Stabilität, die in die Streitdiskurse um die Identität von Regionen immer im Spiel ist, und wie man gerade im Blick auf die Streitdiskurse um den realen oder/und symbolischen Ort im Feld „Hauptstadtregion“, das wir uns gerade im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Bonner Republik“2 anschauen, durchaus sehen kann. Der Stabilität, die der Begriff und die Geschichte der Rhetorik in sich tragen, begegnet mit dem Begriff „Region“ ein weitaus weniger leistungsfähiger Referenzort. Einen solchen suchen wir, wenn es um eine „Rhetorik der Region“ gehen soll.

      Dennoch: Aus der Erkenntnis der vergangenen und gegenwärtigen Forschungsprojekte sollte der Begriff Region durch den Begriff Landschaft nicht getilgt, aber ausdifferenziert werden. Landschaften sind Teil von fluiden Topographien. Sie sind Konstrukte mit hohem Symbolwert, machen Regionen generierbar. Sie bergen die latente Kraft, Veränderungen und Verschiebungen zu suchen, zu fördern, kulturpraktisch (etwa mit der poetischen Version) zu begleiten. Eine Landschaft ist mehr als ein Konstrukt mit geologischen Besonderheiten. Ja, das materiale und zeitlose Phänomen „Region“ zieht als „Landschaft“ einen mehrfachen Schriftsinn an sich. Ein Blick auf den Rhein und das, was darüber geschrieben wurde und wie er in die Politik einwirkte, beweist das. Da geht es z.B. um eine Entwicklung vom ‚romantischen Rhein‘ zum ‚eisernen Rhein‘. Der Blick auf das romantische Herzstück des Rheins zwischen Koblenz und Bingen und die Genese der Seelenlandschaft, die wir damit verbinden und in der Literatur reichlich bedient finden, wandelt sich in den 1920er Jahren zum Ruhrgebietsrhein. Die Industrialisierung spielt eine Rolle, ebenso die politische Landschaft. Beides hat die Autoren im „Bund rheinischer Dichter“ bewegt. Sie verabschiedeten sich von der Romantik, die im Zuge der Genese einer „Politischen Romantik“ die fatale Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland hochgeschraubt hatte, und siedelten sich um Duisburg als zentralem Ort des „eisernen Rheins“ und der kulturellen Moderne des 20. Jahrhunderts wieder an. Die „Ruhrbesetzung“ lässt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls als politisches Ereignis lesen, aber auch als Adaption einer Region für die Literatur. Dieser Wechsel einer Landschaft bestimmte die 1920er Jahre. Ein weiteres Beispiel, das eng mit dieser Bedeutungsverschiebung zu tun hat: Von Westfalen als traditioneller agrarischen Landschaft ging es in dieser Zeit ins Ruhrgebiet. Ein Teil, Ostwestfalen und Schaumburg-Lippe blieben weitgehend in ihrer Identität erhalten, der westliche Teil Westfalens verbündete sich mit dem Ruhrgebiet. So entstanden das eigentliche „Ruhrgebiet“, die Ansammlung von Städten mit Kohle- und Stahlindustrie, und dem Teil eines „Ruhrgebiet-Westfalen“, das zwischen Industrialisierung und verbleibender und erinnerter agrarisch-stammesbiologisch behaupteter Identität beiden Seiten gerecht zu werden versuchte oder opponierte. Literarische Gruppen wie die „Ruhrland-Gemeinschaft“ haben diesen Landschaftswechsel literarisch aufgegriffen. Die Dortmunder Gruppe 61 fundierte in der Nachkriegszeit die erst in den späten 1920er Jahren zögerlich ansetzende Literatur eines Ruhrgebiets, das bereit war, sich über den Begriff „Arbeit“ befragen zu lassen.

      Fazit: Unser Projekt ist dem Erkenntniswert differenzierter Landschaftskonstrukte verpflichtet. Dabei richtet sich das Interesse auf das Landschaftskonstrukt „Rheinland“ – ebenso wenig mit genauen Grenzen festzuzurren wie der mäandernde Rhein selbst. Stromlandschaften sind, wie gesagt, fluide Topographien. Solch poltisch-gesellschaftlich geprägte Landschaftskonstrukte, die sich wandeln, sind ein Indikator für Regionen, lassen fragen, wie differenziert und nachhaltig (= LVR-Jargon) diese Verschiebung ist und als wie verwandlungsfähig sich dieser Hang zur Identitätssuche erweist. Der wissenschaftliche Zugriff ist die daraus folgende Aufgabe zur Vergewisserung, Auseinandersetzung. Daraus folgt die Frage nach dem Beitrag zur Prägung von Landschaft insgesamt. War die Veränderung eine kulturelle Erneuerung? War sie ein positiver Impuls? War sie oktoyiert, oder auch eine symbolische, wütende Abwehr à la Carl Einstein, dem im rheinischen Neuwied und in Karlsruhe, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Frankreich aufgewachsenen Schriftsteller und Ästhetiktheoretiker: „Landschaft ist eine archaische Frechheit – zerschlagen wir uns direkt“.3 Folgt daraus ein ästhetisches Prinzip? Wie vollzieht es sich? Wie z.B. wurde aus der sensiblen Rheinromantik die Rhein-Wein-Lyrik? Wie und wo ist dieser Wandel ablesbar, wird ein Gestus daraus? Eine Menge an Fragen. Aber genau dies macht die Rhetorik aus: Sie ist die Kultur des Befragens.

      Für solche Befragungen haben wir einen Standpunkt, vertreten die Interessen einer Topographie, wissen um die fluide Topographie und denken immer ein Drittes mit: eine Heterotopie. Doch ein weiteres Element ist in der Titelmatrix des Instituts angelegt: die „Moderne“. Was hat es damit auf sich?

      Regionen sind abstrakte terrae, geologisch zu vermessen und zu analysieren. Sie werden von politisch wirkenden Kräften verwaltet, ins Spiel gebracht, mal gut und mal schlecht behandelt. Landschaften sind mehr, binden Natur und Kultur zusammen und haben ihre eigene Würde. Sie sind nichts ohne die, die sie erkennen und auf den Punkt bringen, die ihrerseits nicht minder abhängig von etwas sind, was diesen Landschaften offensichtlich zu eigen ist und sich zu einem identitätsbildenden Prozess anbietet. Ein solcher Prozess kommt, wie z.B. gänzlich landschaftsunabhängig scheinende Intellektuelle und Dichter beweisen, da vor, wo wir sie am wenigsten vermuten. Das gilt für die produktionsästhetische Seite wie für die rezeptionsästhetische. Sie sind vor allem deshalb für eine Kulturwissenschaft, wie sie das Institut „Moderne im Rheinland“ mit seiner theoretischen Fundierung mit einer „Rhetorik der Region“4 vertritt, von Belang, weil sie sowohl mit ihrer subversiven Kraft überzeugen, als auch wegen ihres Identitätsbegriffs schlechthin unabdingbare Notwendigkeit sind im Diskurs um den Identitätsbegriff schlechthin, den Begriff von „Heimat“. Sie werden geradezu als Zeugen gegen jede Heimattümelei und einen sentimentalen wie rückwärtsgewandten Heimatbegriff auftreten. Sie retten etwas, was als sensus literalis keinen Anspruch auf Rettung haben dürfte, weil ein solcher Anspruch auf Heimat nichts mehr als einen Herrschaftsanspruch, ins Private verabsolutiert, bedeutet. Ihm zur Seite ein Verständnis von Heimat, das nicht mehr zu bieten hat als die Funktion eines Fluchtraumes. Der Identitätsbegriff „Heimat“,