Dave Gross

Prinz der Wölfe


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seit Beginn unserer Bekanntschaft wartete ich ungeduldig auf Kasomirs Rückkehr.

      Hinter dem Kutschenhaus in einer Koppel richtete ein strammer Pferdeknecht zwei ausgezeichnete Hengste ab. Durch die offenen Türen des Stalles sah ich sechs weitere gleichsam herrliche Tiere im nächstgelegenen Flügel des L-förmigen Gebäudes. Ein Zwinger war außen angebaut worden, dessen Abschnitte von drei riesigen Hunden bewacht wurden, die mich musterten, als ich vorbeiging. Zwei von ihnen waren ausgewachsene, ustalavische Wolfshunde, die Brustkörbe so mächtig wie die von Doggen, jedoch mit längeren Beinen und einem dichten, grauen Fell. Beide hatten herunterhängende Schnauzer über ihren vierkantigen Mäulern, und ihre Ähnlichkeit mit bestimmten Adligen Ustalavs hätte etwas Lachhaftes gehabt, wäre meine Laune nicht so getrübt gewesen. Der dritte Hund war eine jüngere Verkörperung der älteren, dessen adultes Fell sich erst noch entwickelte und dem der Schnauzer seiner Eltern fehlte. Er würde beide übertreffen, wenn er erst einmal ausgewachsen war. Die Ohren des Welpen stellten sich auf, als bellende Laute vom Fluss her zu hören waren, wo seine Kameraden spielten. Nach einem neidischen Blick in ihre Richtung wurde er wieder wachsam und hielt seine Augen auf den Fremden gerichtet, der das Land seines Herrn durchstreifte. Ebenso wie seine Eltern ­würde auch er einmal ein Wächter werden.

      Als ich meinen Rundgang beendet hatte, erwartete Felix mich in der nördlichen Rotunde. Er verneigte sich und rückte meinen Stuhl zurecht.

      „Die Herrin Tara bat mich, Euch ihre Entschuldigung für ihre Abwesenheit mitzuteilen“, sagte er. „Sie hofft, Euer Spaziergang hat Euren Appetit wieder angeregt.“

      „Richte ihr meinen Dank für ihre Rücksichtnahme aus“, antwortete ich und versuchte, nicht zu beklommen auszusehen, als er das Frühstückstablett und damit eine Ansammlung von Melonenscheiben, Beeren und dampfenden Brötchen aufdeckte. Felix sah zu, wie ich einen Bissen kostete. Er seufzte hörbar, als er bemerkte, dass ich zufrieden war.

      „Perfekt“, sagte ich, als er eine Tasse Tee eingoss.

      „Habt Dank, Exzellenz“, sagte er. „Gibt es noch etwas, das ich Euch bringen kann?“

      „Nein“, antwortete ich. „Du kannst mir jedoch einige Fragen beantworten.“

      „Natürlich, Euer Exzellenz“, erwiderte er. Ich konnte nicht umhin, einen Schatten des Widerstrebens über sein Gesicht huschen zu sehen.

      „Wann erwartest du, dass der Graf zurückkehrt?“, fragte ich. „Und sage nicht ‚vor dem Schnee‘.“

      Er nickte. „Wir erwarten, dass der Graf – genau wie der erste Hauch des Winters – innerhalb der folgenden Woche zurückkehrt. Vergebt mir, Exzellenz. Die Dauer der Herbstjagden meines Gebieters variieren von Jahr zu Jahr.“

      Obgleich sie mich nicht zufriedenstellte, war die Antwort nicht schlechter, als ich es verdiente, der ich die Gastfreundschaft eines Herrn ausnutzte, der nicht einmal von meinem Besuch in Kenntnis gesetzt worden war. Dennoch gab es noch viel, was ich während seiner und der Abwesenheit seines Stellvertreters, Kasomir, in Erfahrung bringen konnte. „Erzähle mir von dieser Seuche in Kavapesta.“

      „Herr Kasomir ist aufgebrochen, um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, doch wie wir gehört haben, hat sie Dutzende befallen. Mehrere sind verstorben, doch die Priester der Pharasma haben die Würdigsten unter den Kranken gerettet.“

      Er musste nicht klarstellen, dass unter den Geretteten die großzügigeren Geldgeber der Kirche waren. Wo auch immer die Priester ihre göttliche Heilung dem Volk zuteilwerden ließen, gab es immer dieselbe Hierarchie.

      „Ich habe an diesem Morgen einen Mann die Körper toter Vögel aufsammeln sehen“, sagte ich.

      „Odav, Euer Exzellenz“, sagte der Hausdiener. „Er ist der Gärtner meines Herrn Galdana.“

      „Ja, ja“, gab ich zurück. „Aber mich interessiert eher der Grund, aus dem die Vögel gestorben sind.“

      „Selbstverständlich. Vergebt mir, Exzellenz, aber ich kenne den Grund nicht. Es ist ein neues Phänomen.“

      „Aber man nimmt an, dass es mit der Seuche zusammenhängt?“

      Er hob die leeren Handflächen. „Vielleicht kehrt Herr Kasomir mit der Antwort auf diese Frage zurück, Euer Exzellenz. Bis dahin müssen wir jedwede kluge Vorsichtsmaßnahme ergreifen.“

      „Ich verstehe“, sagte ich. „Habt ihr, abgesehen vom Einsammeln der toten Vögel, ansonsten keine weiteren Schritte unternommen, damit diese Seuche sich nicht verbreitet?“

      „Euer Exzellenz, Fährfahrten sind untersagt, ausgenommen mit Erlaubnis durch den Bürgermeister oder, in Graf Galdanas Abwesenheit, Herrn Kasomirs. Die Bediensteten sind an Weidenweh gebunden, welches bisher noch nicht betroffen war.“

      „Sehr gut“, sagte ich. „Wann ist unsere Gesellschaft angekommen?“

      „Gestern Morgen, Exzellenz“, antwortete er. „Wenn ich es auch so verstehe, dass die Zeit, in der Ihr von der Senir-Brücke aus hierher gebracht wurdet, noch einen weiteren Tag betrug.“

      „Das erinnert mich an etwas“, sagte ich. „Wo ist meine Kutsche?“

      Das Gesicht des Hausdieners wurde bleich. Er zögerte mit der Antwort, doch auf meinen eindringlichen Blick hin sagte er: „Ich bedaure, Euch darüber in Kenntnis setzen zu müssen, dass das Fahrzeug zerstört wurde.“

      Seine Worte trafen mich wie Pfeile. Die rote Kutsche war mein einziges materielles Erbe von einem Vater, den ich nie kennengelernt hatte, und, abgesehen von meinem Heim in Grünkirchen, die einzig verbliebene Verbindung zu meiner verstorbenen Mutter. Sie war weit mehr als nur ein Besitztum. Seit beinahe einem Jahrhundert war sie ein wichtiger Bestandteil meines Hausstandes gewesen. Sie hatte mich länger begleitet als jeder Freund, Verwandter oder Rivale. Sie war ein Teil von mir gewesen; ich spürte ihre Abwesenheit wie einen Riss in meinem Herzen.

      „Wenn Euer Exzellenz allein zu sein wünschen“, sagte der Hausdiener, und sein Körper lehnte sich zurück, als wollte er die Flucht ergreifen.

      „Nein“, brauste ich auf. „Was ist mit dem Wrack? Wo sind die Überreste?“

      Es schien unmöglich, dass das Gesicht des Mannes noch weißer wurde, doch er erbleichte wie ein Gespenst, bevor er fast flüsternd antwortete: „Euer Exzellenz, ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie mitsamt den Leichen Eurer Diener verbrannt.“

      „Verbrannt?“

      „Ja, Exzellenz.“

      „Bist du dir auch sicher, dass die Leichen verbrannt wurden?“

      „Ja, Exzellenz“, sagte er. „Sie sind verbrannt, und die Asche wurde über dem Fluss verstreut.“

      Und somit wusste ich mit Sicherheit, dass jemand in Weidenweh mich anlog. Die Frage war: Warum?

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